Bettina Grossenbacher

19.9.  —
13.11.2011

Leaking Roof

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Bettina Grossenbacher, Mikado, 2010, Foto: Kunsthaus Baselland
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Bettina Grossenbacher, Mikado, 2010, Foto: Kunsthaus Baselland, Foto: Kunsthaus Baselland
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Bettina Grossenbacher, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2011, Foto: Kunsthaus Baselland
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Bettina Grossenbacher, Böses Haus, 2011, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2011, Foto: Kunsthaus Baselland

Unter dem Titel Leaking roof zeigt die in Basel lebende Künstlerin Bettina Grossenbacher (geb. 1960 in Thun) im Kunsthaus Baselland sowohl die Schweizer Uraufführung ihrer jüngsten Videoinstallation Mikado (2010) als auch eine Reihe weiterer, speziell für die Ausstellung konzipierter fotografischer Werke. Grossenbacher hat die Videofachklasse an der Schule für Kunst und Gestaltung in Basel absolviert und war davor als freischaffende Schauspielerin tätig.

Bettina Grossenbacher kann auf zahlreiche internationale Einzelausstellungen (u.a. Kunstraum Düsseldorf, 2004; Galerie im Kunsthaus Erfurt, 2000) und Beteiligungen an Gruppenausstellungen (u.a. Kasseler Kunstverein im Fridericianum, 2010; Kunsthalle Luzern, 2009; Laznia Zentrum der Modernen Kunst Danzig, 2008; Kunstmuseum Thun, 2008) verweisen.

Sie beschäftigt sich seit einiger Zeit mit Räumen und Häusern, wobei diese sowohl als Orte für Vertrautes und als Schutzorte verstanden werden können, als auch als Orte, an denen sich das Unheimliche seinen Platz sucht und wo die Fantasie aus dem Ruder geraten kann. In der Psychoanalyse und Traumdeutung stehen bestimmte Räume für psychische Zustände und Charaktereigenschaften. Mit «Leaking roof» kann jener sich durch die Ausstellung ziehende rote Faden umschrieben werden, der Räume als Projektionsorte für Sehnsüchte, Wünsche aber auch Ängste und Verborgenes umschreibt.

Im Film Mikado (2010) betritt eine junge Frau, die Protagonistin des Films, ein leeres Haus und unternimmt bei ihrem Streifzug durch die Zimmer mit in die Jahre gekommenem Mobiliar und angehäuften Gegenständen eine Zeitreise in die Vergangenheit. Trotz ihres jugendlichen Alters scheint bereits eine geballte Ladung an Erinnerungen an die Oberfläche zu gelangen. Das Mädchen zieht Schubladen auf und erkundet deren Inhalte, sie probiert einen Lippenstift aus, schiebt Vorhänge beiseite und tastet sich so durch die Reliquien einer fernen Zeit. Die Vergangenheit tritt in Beziehung zu ihr, ohne die genaue Verbindung aufzudecken. Dieses Stimmungsbild wird unterbrochen vom Auftauchen eines erwachsenen Mannes, der mal im Garten, mal im Inneren des Hauses umherstreift. Ein Dialog zwischen den beiden trägt jedoch nichts zum Verständnis ihres Verhältnisses bei. «Jedes Detail der Filmhandlung ist sorgfältig choreographiert, bestimmte Motive kehren dabei immer wieder: Spiegelungen, Reflektionen, Vorhänge von unterschiedlicher Transparenz, Einblicke von Innen nach Aussen und umgekehrt — das Haus wird zum Spiegel innerer Befindlichkeiten. Ähnlich wie bei Stücken Samuel Becketts wird das Bedürfnis des Zuschauers zu verstehen bewusst untergraben, auch die Befriedigung voyeuristischer Lust am familiären Drama erfüllt sich nicht. Die Künstlerin verführt uns dazu, die Sinnsuche aufzugeben und uns von der Kraft der Bilder und der Sprache tragen zu lassen.» (Eva Scharrer)

Auch die Videoarbeit 16º12’N/22º51W (2011) spielt mit der Geheimnishaftigkeit von Behausungen, wobei diesmal ein Schiff im Mittelpunkt steht. Mit fester Kameraeinstellung filmte die Künstlerin das Wrack eines Schiffes, das 1968 auf den Kapverdischen Inseln strandete und seither vor sich hin altert. Die langsame Zersetzung des Wracks durch die Meeresbrandung bildet das Hauptmotiv für eine Geschichte, die sich in den Untertiteln entwickelt. Der Text schildert detailliert eine Schlägerei zwischen drei Männern auf der Brücke eines Schiffes. Die Meeresbrandung im Bild, die zwischen Zeitlupe und normaler Laufgeschwindigkeit wechselt, korrespondiert mit den Atemzügen des Rezipienten, die sich, wenn er sich auf die geschilderte Geschichte einlässt, entsprechend den Wellengeräuschen verändern. Das Motiv des gestrandeten Schiffes wird zu einer Chiffre der Zeitlosigkeit, zu einem Gehäuse mit einem Geheimnis, das nur wenige kennen.

Die Arbeit Haus Nr. 13 (2011) besteht aus 9 Leuchtkästen, welche die Innenräume eines leer stehenden Hauses zeigen. Die Räume sind charakterisiert von Parkettböden, hölzernen Einbauschränken und einem schweren Holzgeländer. Dem Besucher ist das Haus unbekannt, und er wird es niemals kennenlernen. Die Leuchtkästen, selbst hölzerne Objekte, zeigen den Moment, an dem Räume vom alten an den neuen Benutzer übergehen. Die Abwesenheit persönlicher Spuren macht sie zur perfekten Projektionsfläche. Unterstützt wird diese Wahrnehmung durch Texte, die wie Filmtitel ins Bild hineinkomponiert sind und, durchgängig gelesen, von einem Mord berichten.

In einem weiteren Werk zeigt die Künstlerin Plots von verschiedenen Behausungen, die man an Stadträndern vermuten könnte. Sie trägt diese direkt auf die Wand auf, entfernt aber sämtliche Bezüge zur jeweiligen Umwelt, sodass lediglich das Gebaute zu erkennen ist. Für die BesucherInnen liegen in der Ausstellung wiederum Plakate bereit, die das jeweilige Umfeld, nicht aber die ausgesparten Objekte zeigen, und so das gesehene Motiv komplementieren. Die Behausungsobjekte bleiben in der Ausstellung, während ihre Umgebungen in den Besitz der Besucher übergehen.
Text von Sabine Schaschl

Kurator*in: Sabine Schaschl