Claudia & Julia Müller
5.5.2022
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29.1.2023
Jahresaussenprojekt 2022
Projektpartner
Zum nunmehr neunten Mal vergibt das Kunsthaus Baselland sein grosses Aussenbanner für die Dauer eines Jahres an Kunstschaffende. 2022 wird es durch das Künstlerduo Claudia & Julia Müller bespielt. Die Schwestern Claudia Müller (*1964 in Basel) und Julia Müller (*1965 in Basel), aufgewachsen im Baselbiet, leben in Basel und Berlin und arbeiten bereits seit 1991 zusammen. Die Künstlerinnen werden neben der über 8 Meter hohen Plane im Aussenbereich auch, für den Zeitraum von einigen Wochen, den über 30 Meter langen Annex des Kunsthauses einbeziehen. Das Jahresaussenprojekt ist bis Ende 2022 zu sehen.
Von der Zeichnung her kommend respektive von ihr ausgehend erweitern Claudia & Julia Müller das Medium innerhalb ihrer künstlerischen Praxis nicht allein in den Raum, sondern auf verschiedene Ebenen. So fokussiert das Künstlerinnenduo bei dem zusätzlichen Projekt für den Annex auf sich überlagernde Raumkörper, die konsequenterweise – für einen kurzen Zeitraum – sowohl Aussenraum als auch den Innenraum einnehmen werden. In ihrem Gesamtprojekt für das Kunsthaus Baselland öffnet sich so in Schichten – mit Überlagerungen und Verschiebungen – eine raumgreifende Zeichnung über Objekte, Collagen und weitere Bildebenen. Diese verweist zugleich auf die Möglichkeiten von Zeichnung, auf verschiedenen Trägern und über unterschiedliche Gattungen entwickelt.
Kraftvolle Verkörperung der Malerei
Zwei Körper – sich begegnend, miteinander verschlungen, verwoben, ringend, liebend. Ob sich die beiden Menschen in einer Zuwendung oder auch Abwendung begegnen, bleibt offen. Fast scheint das Moment ihrer Bewegung sich gerade in einer Ruheposition zu befinden, die jederzeit wie ein Pendel in die eine oder andere Richtung ausschlagen könnte. Ein Moment der Unruhe und bisweilen auch Unsicherheit. Genau dieses Moment scheinen Claudia und Julia Müller in ihrem Werk immer wieder zu suchen. Bereits seit 1991 arbeiten die beiden Schwestern als Künstlerduo zusammen, Claudia (*1964) von Basel, Julia (*1965) von Berlin aus, im ungebrochenen Austausch miteinander. Für ihre Ausstellungsprojekte im In- und Ausland treffen die beiden aus dem Baselbiet stammenden Künstlerinnen immer wieder tage- oder auch wochenlang aufeinander, laden Malerinnen ein, mit ihnen ihre meist raumgreifenden, über die gegebene Architektur sich erstreckende Malerei zu realisieren. Eine Malerei, die zum Aktions- und Erfahrungsraum wird, die den eigenen Körper aufnimmt und ihn zugleich in dem Augenblick von Bewegung, Stillstehen und Unruhe reflektiert. Gerade hier wird der so oft zitierte Begriff von der Erweiterung der Malerei greifbar und führt in das Zentrum des Schaffens der beiden Künstlerinnen.
Einerseits breiten sich ihre grossformatig angelegten figürlichen Malereien und malerischen Zeichnungen über meterlange Wände aus und ermöglichen dem Gegenüber einen begehbaren Bildraum, der uns statt als passiven Betrachtenden als einen aktiven Teilnehmenden ansieht. Andererseits zieht sich ihre malerische Formsprache sowohl über Wände, Ecken und Architekturelemente wie auch über Keramiken und Objekte. Dass sie nun das über acht Meter hohe Aussenbanner an der Frontseite des Kunsthaus Baselland für ein Jahr bespielen und zugleich – bis Mitte Mai – in den Innenräumen des Annex ihre Malerei in Schichten über Wandlängen und Lampenobjekte ausbreiten, ist eine grosse Chance, um ihr Werk vollumfänglich zu erfahren. Doch auch hier steckt die Unsicherheit im Detail, kommt mit den Brüchen, die auch im scheinbar Eindeutigen liegen. Dies wird bereits deutlich, wenn man den Parcours beschreitet, den die beiden Künstlerinnen für das Kunsthaus Baselland entworfen haben. So begegnet man beim Eintritt in den Raum Formen in malerischer Geste, die sich nach den Betrachtenden zu strecken scheinen. Nicht unmittelbar sind sie als das zu erkennen, was sie sind: Füsse und Beine der grossen liegenden Figuren, die sich durch die trennende Wand zu arbeiten scheinen. Erst im zweiten Raumteil wird denn auch die ganze Form deutlich und verständlich.
Es wären nicht die Malerinnen Claudia und Julia Müller, wenn sie nicht gerade dieses Kippmoment interessieren würde – zwischen Eindeutigem und Irritierendem, zwischen Narration und Abstraktion. So ist es nicht von ungefähr, dass die Künstlerinnen die Betrachtenden in unterschiedliche Distanz zur Wandmalerei und den im Raum hängenden Lampenkörpern führen. Gerade in der Nahsicht zur Wandzeichnung scheint sich das, was gerade noch bekannte Form war, in breite Flächen von changierenden zu einem dichter werdenden Schwarz aufzulösen.
Dem entgegen stehen die raumeinnehmenden und zugleich raumdefinierenden starkfarbigen Lampenkörper, die sich gleich einer femininen Körperlandschaft im Raum ausbreiten.
Und noch etwas fällt auf im nahen Vis-à-Vis mit der Malerei. Über die Liegenden bringen die Künstlerinnen in rascher, unprätentiöser Geste kreisrunde Sticker mit kleinen Motiven auf: Es sind alltägliche Gegenstände, die so geläufig sind, dass sie kaum mehr ins Auge zu fallen scheinen: Strümpfe, Turnschuhe, Mehrfachsteckdosen, Kopfhörer. Es sind vor allem aber auch Szenen, die in ihrer Unscheinbarkeit von den vielen positiven Räumen erzählen, die sich tagtäglich um uns herum auftun und sowohl Begegnungen als auch ein Miteinander möglich werden lassen. Es sind zärtliche Zuwendungen zwischen Menschen, die in aller Ungezwungenheit und Offenheit einander begegnen können.
So legt sich über zuvor gesetzte Geste der Huldigung an die Malerei eine weitere Ebene der Souveränität und zugleich zärtliche Narration, die – wie kleine Gucklöcher – den Blick auf zwischenmenschliche Begegnungen weiten.
Claudia und Julia Müller nehmen die Malerei ernst, zollen ihr Respekt, aber sie anerkennen auch die Notwenigkeit ihrer steten kritischen Befragung. Was passiert im Raum, wenn sich der Bildraum von der Wand über die Sticker mit kleinen Zeichnungen auf die Lampen – ihre körperhafte Gestalt und das gedämpfte Licht – in den Aktionsraum des Gegenübers ausdehnt? Was, wenn sich die Dimensionen der Zeichnungen ändern, ihre Trägerunterlage, der Übertrag? Was gerade noch bekannt war und vielleicht auch mit einem Hauch von Gefälligkeit wahrgenommen wurde, wird nunmehr instabil und irritierend.
Das ist der Moment, in dem man am besten verstehen mag, worum es den beiden Künstlerinnen seit vielen Jahren in ihrem umfangreichen und vielschichtigen Werk geht: Wie begegnen wir als Menschen einander? Wann und wodurch öffnen sich diese positiven Räume, in welchen ein vertrauensvolles Miteinander und ein ungezwungener Austausch möglich ist? Wie fragil und verletzbar aber ist zugleich der menschliche Körper, wie rasch präsentiert sich dieses Kippmoment von Dominanz und dominiert, von Zuneigung und Abwendung? Wie werden Machtstrukturen im Miteinander ausgelebt? Wie hochaktuell diese Fragen sind, zeigt die gegenwärtige Zeit, in der wir nach über zwei Jahren Pandemie nun bereits seit Wochen einen Krieg in der Mitte Europas erleben. Dieser zeigt nicht nur die Fragilität von friedlichen gesellschaftlichen Strukturen auf, sondern auch unser trüglicher Glaube an Unabhängigkeit und beständige demokratische Verhältnisse. Es wird einmal mehr deutlich: Humanistische Werte sind nicht naturgegeben, sondern sie müssen jeden Tag aufs Neue verhandelt und verteidigt werden. Es gilt wach zu bleiben. (Text von Ines Goldbach)