Collectif_fact
12.8.
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30.11.2007
Just around the corner
In den UG Räumlichkeiten und der Shedhalle des Kunsthaus Baselland präsentiert die zumeist in Genf basierte Künstlergruppe Collectif_fact ihre bislang grösste institutionelle Einzelausstellung. Annelore Schneider (geb. 1979 in Neuchâtel), Swann Thommen (geb. 1979 in Saint-Imier) und Claude Piguet (geb. 1977 in Neuchâtel) arbeiten seit 2001 zusammen, nachdem sie sich an der Ecole supérieure des beaux-arts Genève kennengelernt hatten. Die Gruppe Collectif_fact realisiert ihre Werke mit einem digitalen, auf die Spitze getriebenen Samplingverfahren. Elemente und Details von Fotos, Videos, digitalen Datensätzen und Bilddatenbanken werden, ähnlich dem Kompositionsverfahren für elektronische Musik, isoliert, herausgeschnitten, verschoben, multipliziert, wieder zusammengefügt, ihrer ursprünglichen Räumlich- und Körperlichkeit enthoben und so in völlig neue Zusammenhänge und nicht narrative aber dennoch kohärente Bildabläufe zusammen gebracht. Die Werke spiegeln eine digitalisierte Gesellschaft, in welcher ein paralleles, austauschbares Leben mittels standardisierter, virtueller formaler und funktionaler Elemente möglich ist. Bei aller Virtualität bleibt dennoch eine direkte Verbindung zur Realität, da jenes was da neu entsteht, seine Vorlage dem real Erlebten entnimmt. Auf dieser inhaltlichen Ebene basiert die Faszination der Werke von Collectif_fact, welche aufgrund genauer Observation, gegenwärtige gesellschaftliche Phänomene zugespitzt zu formulieren vermögen.
Im Kunsthaus Baselland zeigt die Gruppe die grossräumig angelegten Installationen Ce qui arrive (2005/07) und Reliefs (2005/07) in einer Zusammenführung mit Drag & Drop (2006/07). Collectif_fact reinszeniert bestehende Werke, ähnlich ihrem eigenen, ursprünglichen Werkgenese-Prinzip und lässt in der Folge weitere Leseweisen und neue visuelle Ergebnisse zu. In der Fotoserie Ce qui arrive wird das Grundprinzip heutiger Büroeinrichtungen und die Stimmungslage der funktional orientierten Arbeitsabläufe aufgegriffen: Mit standardisiertem Mobiliar ausgestattet, zweckorientiert, unpersönlich und per se vervielfältigbar präsentieren sich die konstruierten Räume, die jedoch aus dem üblichen Schema insofern ausbrechen, als sie eine weitere, standardisierte Einrichtungsform integrieren — jene des Flugzeugraumes: Sauerstoffmasken, Sicherheitsjacken, Notausgangs-beleuchtungsstreifen und Rutschen mischen Büro- und Flugzeugraum zu einem utopischen Ort, welcher die Möglichkeit des Hereinbrechens eines unheilvollen Ereignisses ausstrahlt. Die Installation, in welcher die Fotoserie präsentiert ist, greift jene Stimmungslage auf. Das räumliche Bild des Büroteppichs mit zahlreichen Papierstapeln und überquellendem Mülleimer voller Papierflugzeuge scheint noch zu verstärken, was die Fotos ankündigen: «Ce qui arrive» — «Das, was geschehen könnte» trifft die Atmosphäre unserer gegenwärtigen, stärker den je von Wertedifferenz und Terrorängsten geplagten Gesellschaft.
Eine völlig neue Präsentationsform erfahren die beiden Werke Reliefs und Drag & Drop. Ursprünglich voneinander getrennt gezeigt, werden sie im Kunsthaus Baselland zu einer grossen Gesamtinstallation kombiniert. In einem Raum voller realer Objekte, die an virtuelle, gebastelte Bäume aus Karton erinnern, steht in der hintersten Ecke ein einseitig unter die Bodenebene gekipptes Gartenhaus. Licht flackert darin. Bei genauerem Hinsehen entdeckt man im Innern das Video Reliefs. Das Gartenhaus, ein ursprünglich typisiertes, vorfabriziertes Modell, wird von Collectif_fact einem «Drag & Drop»-Verfahren unterzogen; jenem in den digitalen Medien angewandte Verfahren, welches Teile aus dem ursprünglichen Zusammenhang entfernt und anderswo wieder einsetzen kann. Analog hierzu wurden die Bauteile nicht plankonform zusammengefügt, sondern einzelne, beabsichtigte Fehler einbezogen. Das Resultat ist ein teilweise in die Wand und in den Boden eingesunkenes Häuschen, welches auch die Imagination des Besuchers ins Wanken geraten lässt, unterstützt von der kalten, komatösen und menschen-leeren Stimmung im Video. Reliefs vereint das formale und stilistische Repertoire der Arbeiten von Collectif_fact: In Grautönen gehaltene Basisszenarien, meist urban geprägt mit reliefhaft wirkenden Fahrzeugen und Bauteilen, farbigen Leuchtreklame-Schildern, Lichtquellen, die nichts anderes beleuchten als Leere; abrupte Szenenwechsel auf eine andere räumliche Ebene; es wird keine Geschichte erzählt, es gibt weder Vergangenes und noch Zukünftiges. Selbst die Gegenwart springt übergangslos vom einzelnen räumlichen und inhaltlichen Fragment zum nächsten. Die Installation XIT (2006/07), eine vermeintliche, teils verdeckt in die Wand gebaute Tür mit dem Fragment des Notausgangssignets Exit, greift auf die gleiche künstlerische Strategie wie in Drag & Drop zurück. XIT, platziert neben dem Treppengang, ironisiert die Funktion des originalen Signets. Der suggerierte rettende Notausgang endet buchstäblich an der Wand.
In einem weiteren Video On Stage (2007) wird das Thema der politischen Demonstration aufgegriffen. Normierte Figuren, die wie Spielzeug wirken und als visuelle Formel auch wiederholt auftauchen, marschieren gleichmütig, beinahe laut- und emotionslos in eine vorgegebene Richtung. Die von den Figuren getragenen Banner mit Forderungen wie «Kein Mensch ist illegal» oder «Viande meurtre» verbinden das virtuelle Szenario mit der Realität. Zitate von Werken einiger Künstlerkollegen verteidigen die Kunst als Träger politischer Anliegen: «On est tous coupable» steht auf einem Banner mit der Signatur und in den charakteristischen Schriftzügen des Künstlers Ben Vautier; «I am Desparate» ist ein direkter Verweis auf Gillian Wearings «Signs that say what you want to say and not signs that say what someone else wants you to say». Die Ruhe und Gelassenheit, die das Video verbreitet, stehen in starkem Kontrast zur meist lärmigen realen Demonstration. Bedenkt man, dass Demonstrationen in der Medienberichterstattung meist als Fussnote und indirekt als Verkehrsbehinderung abgehandelt werden, kann das Video auch als Medienkritik gelesen werden. Die einzige Störung des beinahe beängstigend ruhigen Demonstrationszuges entsteht im Moment des plötzlichen Bild-Unterbruchs, so als wäre eine Kamera umgestossen worden. Hier kippt das Szenario und die unterschwellig mitschwingende Gefahrenstimmung wird manifest.
«Das digitale Zeitalter steht im Zeichen von Zahl und Austauschbarkeit: Das Bild ersetzt die Sache, die Vorstellung das Sein, die mediale Realität die Wirklichkeit. Aus distanzierter Perspektive evozieren Collectif_fact ein umfassendes Gefühl von Unausweichlichkeit. Sie lassen den Wunsch entstehen, aus einem System auszubrechen, das auf der freiwilligen Preisgabe der Freiheit und der Entwürdigung zu Arbeitsameisen beruht.» (Simon Lamunière)