Daniel Göttin
29.3.
—
17.5.1998
Intervention im Raum
Pressespiegel (Auswahl)
Daniel Göttin interveniert — in den Untergeschossräumen des neuen Kunsthauses greift der Basler Künstler dreifach zu auf Wand, Boden, Raum. Direkt auf die Wände sind Rahmenfelder aus schwarzem Textilband geklebt. Dem Boden ist mit Abstand zu den Wänden ein rechteckig umlaufendes Band grünen Rasenteppichs aufgelegt. Der Raum ist versperrt durch horizontale Parallelschraffuren aus transparentem Klebeband, die freistehende Deckenstützen verbinden. Alles orthogonal geordnet horizontal, vertikal.
Auf die spezifischen architekturalen Vorgaben des Ausstellungsraums reagiert der Künstler in Anwendung eines vorgeplanten Systems einfacher proportionaler Muster. Die durch das Verbinden von Regelhaftem und baulich Vorgegebenem deutlicher hervortretenden Mängel der Architektur und die folgenotwendigen Abweichungen innerhalb des bildnerischen Systems werden augenfällig, wenn wir versuchen, das Vorgehen des Künstlers umfassender nachzuvollziehen. Sein ideales, subjektiv bestimmtes System ist die Reihe aller tatsächlich möglichen, eindeutigen Teilungen vorgegebener rechteckiger Felder in Hälften, Viertel und Achtel. Rahmen werden entweder vom linken oder rechten, vom oberen oder unteren Rand des Felds ausgehend eingepasst, beziehungsweise horizontal oder vertikal gemittet. Die konzeptuellen Teilungslinien sind im Ausstellungsraum durch wahlweise 10, 5, oder 2.5 cm breites, schwarzes Klebeband markiert. Aus insgesamt 378 möglichen Formationen hat Daniel Göttin nach Massgabe der Wände 21 Varianten ausgewählt, um beides, sowohl das System als auch den Ort, im Zusammenspiel zu befragen. Über die Arbeit Daniel Göttins zu sprechen, heisst daher, besonders auch auf die Vorgaben der architektonischen Situation einzugehen. Der Ort, vom Künstler besetzt, fordert für das anschauliche Erkennen seiner Qualitäten eine Beharrlichkeit, die dem dynamischen Bewegungsimpuls alles Öffentlichen unserer metropolen Gesellschaft widerspricht. Orte werden in jüngerer Zeit fast nur noch als private und geschützte Refugien konstituiert, kaum mehr als gemeinschaftstiftende Versammlungsstätten. Öffentlicher Raum dient der Verteilung, ist Durchgangsraum, auch in einem Ausstellungshaus. Wie Bettler und Wohnungslose in den Passagen unserer Städte und in den Eingängen unserer Bahnhöfe, den oft heruntergekommenen Kathedralen des Verkehrs und Warenumschlags, durch ihre Gegenwart und Platznahme als gesellschaftlicher Störfall städteplanerische Anstrengungen um die Re-lnstallation von Orten im Öffentlichen konterkarieren, so agiert Daniel Göttin gegen das widerspruchsfreie Durchreichen von Kunstwerken in wechselnden Ausstellungsinstituten. Auch sein Eingriff findet statt am Ort und auf Zeit. Nichts Vorgefertigtes wird in den Ausstellungsraum eingebracht, alles vor Ort gefügt. Auch nach Ablauf der Ausstellung bleibt kein Werk zu transportieren. Das vom Künstler benutzte, industriell hergestellte Material verliert im Moment des Abbaus der Installation seine «geformte» Gestalt, wird sozusagen Abfall, die Architektur erscheint in verändertem Licht. Die wiederholte Deklination seines planmässigen Systems auf den Wänden des Kunsthauses rückt mit ihren vielfältigen, sich räumlich überlagernden oder gegenseitig verdeckenden formalen Lösungen immer nur Aspekte des Ganzen ins Blickfeld. Nie bietet sich die Gesamtschau der Elemente als Systemüberblick, es sei denn, rekonstruiert in der Vorstellung. Zwischen den sich überlagernden Ordnungen ergeben sich lnterferenzen; Abweichungen und Störungen werden signifikant. Nicht Zeichnung im Raum, wie zum Beispiel bei Eva Hesses Hang Up von 1966, sondern Zeichnung und Raum, nicht humorvolle Inszenierung des Raums als ungewöhnliche Form der Dekoration, wie zum Beispiel Duchamps Fadenverspannung für First Papers of Surrealism (New York) 1942 wohl bewertet wurde, sondern Klärung der elementaren Verhältnisse und präzisierende Wahrnehmung sind zentrales Interesse Daniel Göttins: Mass, Zahl, Proportion das Spiel mit Fragment, Teil und Element von Installation sowie Architektursich im Raum orientieren, forschen, den Ort kennenlernen, subjektiv Bezug nehmen.
Text von Andreas Baur