Elodie Pong

Where is the Poison

17.1. —
29.6.2004

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Elodie Pong, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2004, Foto: Virginie Otth
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Elodie Pong, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2004, Foto: Virginie Otth

Die Künstlerin Elodie Pong, Gewinnerin des Swiss Award 2003 beim Internationalen Film- und Videofestival Viper, zeigt im Kunsthaus Baselland ihre erste Einzelausstellung in der deutschsprachigen Schweiz. Zu sehen sind nebst Werken der letzten drei Jahre vor allem neue, bisher nicht gezeigte Videos, Installationen und eine Skulptur.

Unter dem Titel Where is the Poison lotet Pong die potentiell ‹giftige›, ironische, vielleicht auch subversive Kraft von Kunst aus. In einem überdimensionierten, am Boden liegenden Hundehalsband mit stachelförmigen Nieten und einer Kette als Leine lässt sie beispielsweise die Stimmungseindrücke zwischen Gewalt und Bändigung, zwischen Verweigerung, Entschlüpfen und Losgelassen-Sein oszillieren. Jenen metaphorischen Moment wiedergefundener Freiheit nimmt Pong auf und für die Kunst per se in Anspruch.

Zu ihren wichtigsten Themen zählen das inhaltliche Ausleuchten des Begriffs von Intimität, die Verwendung des Körpers als Ausdrucksmittel, die visuelle Inszenierung um den Körper zur Identitätsfindung und das Festhalten von subtilen zwischenmenschlichen Gefühlen.

In dem über den Zeitraum von drei Jahren erarbeiteten und über verschiedene mediale Ebenen geführten Projekt ADN/ARN Any Deal Now/Any Reality Now, sammelte Pong weit über 300 Geheimnisse, die sie gegen ein individuell ausgehandeltes Entgelt den jeweiligen Eigentümern abkaufte. In einer speziell produzierten, künstlichen Architektur entschieden über 600 Besucher des Systems ADN/ARN in Lausanne und Paris über den Einsatz von Masken, Perücken, einer Stimmverzerrungsmöglichkeit und der Verwendung eines vorgefertigten Hintergrundmotivs, um die Aufzeichnung der Geheimnisse nach individuellen Wünschen zu anonymisieren. Im gesamten Verhandlungs- und Aufnahmeprozess blieb die Künstlerin auf Distanz zum Spektakulären. Der daraus resultierende Film Secrets for Sale, der sowohl die Spielregeln als auch die zahlreichen, ausgewählte Umsetzungen wiedergibt, behält seine unprätentiöse, visuelle Sprache bei und rührt bei jedem Betrachter an Empfindungen eines ‹Zuviel›, ‹Noch nicht genug› oder einem Verlangen nach ‹Mehr›. Wir sehen uns mit der eigenen Lust auf Spektakel und auf voyeuristisches Wahrnehmen konfrontiert und müssen selbst über den Umgang des Empfundenen entscheiden. Mit Secrets for Sale legt die Künstlerin den Finger auf jenes zeitgenössische gesellschaftliche Phämomen, das Menschen in zahlreichen Live-TV-Shows dazu bringt, Privatangelegenheiten und Intimes vor einer anonymen Öffentlichkeit auszubreiten. Secrets for Sale gibt ein verstörendes Röntgenbild einer Gesellschaft wieder, in der alles (ver-)käuflich geworden ist.

Während in Secrets for Sale die Künstlerin mit unbekannten Menschen arbeitet, sind in einer ihrer neuesten Werke Freunde die Hauptakteure. Für das Video A certain general bringt Pong bei ihrem Besuch einen roten Teppich mit — das visuelle Symbol zur Unterstreichung der Wichtigkeit einer Person — und lässt die Menschen nach Lust und Laune agieren. Nicht die Darstellung, der Akt einer Handlung steht im Vordergrund, sondern das, was bereits vorhanden ist. Auch im Video Smoke Rings gibt die Künstlerin den Schauspielern kein Drehbuch vor, sondern will die Gefühlslage des Dazwischen, des Undefinierten festhalten. Ein Mann und eine Frau, beide auf einer Couch sitzend: er raucht, während sie manchmal versucht, die Rauchringe mit der Zunge ‹aufzuspiessen›. Erotik, Melancholie, Einsamkeit, Verspieltheit ... — alle diese Stimmungsen sind auszumachen, obwohl keine davon eindeutig wird. Pongs Filmvorstellung erklärt das Videoresultat am besten: «They had to be there. Nothing else. Just that. A stolen glimpse. Like a paradox — that lasted as long as his smoke».


Charakteristisch für Pongs Arbeitsweise ist auch das Aufgreifen bereits verwendeter ‹Materialien›, Motive und Inhalte: Die aufgezeichneten Videoszenen innerhalb des ADN/ARN-Systems finden Eingang im Film Secrets for Sale; das 1998 gedrehte Video Pretty.Pretty, welches junge Mädchen zeigt im Zustand von Unschuld und gleichsam ihrer verführerischen Lolita-Qualität bewusst, wird Jahre später zum Ausgangspunkt der Videoarbeit Five years later. In einer Art dokumentarischen Schilderung sind zwei der damaligen Hauptakteurinnen zu Erwachsenen geworden. Aufnahmen von Performances, die an vereinzelten Events stattfanden, stellenweise ergänzt mit weiterem Filmmaterial, greift Pong wiederum in den Videos These Boots ... und in 5 a.m. auf. Im Prozess von Wiederbelebung und neuerlicher Betrachtung entwickelt sich das Werk Pongs ständig — und teilweise aus sich selbst heraus — weiter. Ihre Videos schildern Momente, in denen Beiläufiges besonders und Besonderes beiläufig erscheint. Die Künstlerin spielt die zeitgenössische Gefülsklaviatur rauf und runter und entdeckt unter so mancher harmlos scheinenden Oberfläche die Tiefe einer leisen, oftmals von aussen übertönten Welt.
Text von Sabine Schaschl

Kurator*in: Sabine Schaschl