Inside the Amazon

Claudia Andujar, Hiko/Porako, Felipe Castelblanco, Leah Nehmert, Laurie Mlodzik, Mariana Murcia

5.11.2021 —
2.1.2022

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Claudia Andujar, Untitled from Sonho verde azulado series, 1982; Hiko/Porako, Sem título - da série Ñoamu, 1976; Claudia Andujar, Untitled from Sonho verde azulado series, 1982. Collection of the artist, Courtesy Galeria Vermelho. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2021. Foto : Gina Folly
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Claudia Andujar, Untitled from Através do Fusca series, 1976-2013. Collection of the artist, Courtesy Galeria Vermelho. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2021. Foto : Gina Folly
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Felipe Castelblanco, Upriver from the series Cartographies of the Unseen, 2018 - 2021; Andaki Territory and the Invisibles. Southern Edge of the Churumbelos National Park, Colombia, 2018. Courtesy of the artist; Claudia Andujar, Untitled from Sonho verde azulado series, 1982. Collection of the artist, Courtesy Galeria Vermelho. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2021. Foto : Gina Folly
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Claudia Andujar, Untitled from Sonho verde azulado series, 1982; Untitled from Sonho verde azulado series, 1982; Untitled from Através do Fusca series, 1976-2013; Untitled from Através do Fusca series, 1976-2013. Collection of the artist, Courtesy Galeria Vermelho. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2021. Foto : Gina Folly
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Claudia Andujar, Toototobi warrior - from the Yanomami dreams series, 2015; Ecstasy - from the Yanomami dreams series, 2015; Falling from the sky - from the Yanomami dreams series, 2015. © Musée d’ethnographie de Genève; Felipe Castelblanco, Andaki Territory and the Invisibles. Southern Edge of the Churumbelos National Park, Colombia, 2018. Courtesy of the artist. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2021. Foto : Gina Folly

Projektpartner


Ein Gebiet wie den südamerikanischen Amazonas von Europa aus zu verstehen, ist kein einfaches Unterfangen. Auch scheint erst langsam verständlich zu werden, in welchem beträchtlichen Ausmass diese grüne Lunge der Erde mit ihren Wäldern und Flüssen, ihrer unglaublichen Biodiversität und zugleich massiven Gefährdung einen Einfluss auf unser Klima hat – weltweit.

Es ist daher mehr als dringlich, sich eingehender mit diesem biologisch vielfältigen und noch nicht annährend vollständig erforschten Urwald im Norden von Brasilien dezidierter zu befassen. Im Besonderen gilt dies mit einem Blick auf jene, die dieses Gebiet seit Jahrhunderten bewohnen, verstehen, schützen und die zugleich wie kaum eine indigene Gruppe in Brasilien bedroht ist: die Gemeinschaft der Yanomami.

Dieser indigenen Gruppe Amazoniens, die sich durch ein unglaubliches Verständnis auszeichnet für den sie umgebenden Kosmos und seine Wälder, Flüsse sowie Geister, Mythen und Rituale, die daraus erwachsen, hat die Fotografin Claudia Andujar (*1931) ihre Arbeit und auch ihr Leben gewidmet. Das Fotomuseum Winterthur richtet der Künstlerin aktuell eine umfangreiche Einzelausstellung aus – eine Wanderausstellung in Kooperation mit Claudia Andujar, die über 6 Stationen weltweit umfasst und ihren Ausgang 2018 in São Paolo genommen hat. In Form eines erweiterten Blicks zeigt die Ausstellung im Kunsthaus Baselland nun eine Auswahl an Fotoserien aus den 1970er und 1980er Jahren. Diese Werke aus privaten und öffentlichen Sammlungen aus Europa und Brasilien werden neben Zeichnungen des Yanomami-Künstlers Porako (ca. 1905–1990) sowie des jungen, aus Bogota stammenden Künstlers Felipe Castelblanco (*1985) präsentiert.

Claudia Andujar, die im schweizerischen Neuenburg geboren wurde, gehörte einer jüdischen Familie an. Ihr gelang noch rechtzeitig zusammen mit ihrer Mutter als Einzige ihrer Familie aus Siebenbürgen, dem Land ihrer Kindheit, die Flucht über die Schweiz nach Brasilien – und damit auch dem Entkommen der Deportation. Bereits 1971 trat Andujar in Kontakt mit den Yanomami im Amazonas, deren Leben sie im Halbdunkel des Urwaldes fotografisch begleitete und schon bald selbst ein wichtiger Teil der indigenen Gemeinschaft wurde. Seither setzt sie sich nachhaltig politisch und aktivistisch für diese unterdrückten und durch die Regierung und vor allem illegale Goldschürfer bedrohten Menschen ein.

Rein dokumentarisch sind Andujars Aufnahmen nie. Sie erzählen vielmehr von einer zärtlichen Nähe sowie einem Verstehen-Wollen dessen, was unbekannt und faszinierend zugleich ist, davon, wie Natur und Mensch in einem symbiotischen Verhältnis von Werden und Vergehen einander begegnen und bedingen. Insbesondere der Bau der Bundesstrasse Perimetral Norte durch das vormals unerschlossene Gebiet der Yanomami und deren Ökosystem war ein gewaltiger Einschnitt durch das Leben der indigenen Gemeinschaft. Er brachte Krankheiten, aber auch Gewalt und Tod zu den Yanomami, deren Leben vom Gleichgewicht mit der Natur grundlegend abhängt. Auch von der gegenwärtigen Krise durch COVID-19 sind die Indigenen besonders schwer betroffen. Darüber hinaus befeuert die Politik der Regierung unter Jair Bolsonaro den brutalen, blutigen Rohstoffabbau insbesondere von Gold sowie die Rodung grosser Flächen der lebenswichtigen Urwälder.

Während die frühen Fotografien von Andujar meist noch in Schwarz-Weiss gehalten sind, bereits jedoch wichtige Elemente wie den Einsatz von Vaseline auf der Linse, das Überlagern von Bildern oder auch den Rhythmus von Tanz und Bewegung aufnehmen, setzt die Fotografin später immer stärker auf experimentelle Momente, etwa durch den Einsatz von Ultrarotfilm, und intensiviert oder verändert bestehende Farben. Die in der Ausstellung gezeigten Serien verdeutlichen sowohl durch den unterschiedlichen Einsatz von Kamera, Bildbearbeitung und Seriengestaltung das Nebeneinander von urbanem Leben mit einem Leben, das in völligem Einklang mit der Natur steht. Zugleich erzählt es vom Weg der Fotografin selbst, die mit ihrem schwarzen VW Käfer immer wieder in Gebiete aufgebrochen ist, um den Yanomami Medizin oder auch andere Materialien wie Zeichenpapiere und Stifte zu bringen.

Ab den frühen 1970er Jahren etwa engagierten sich Claudia Andujar und Carlo Zacquini, ein Missionar in der Nähe der Yanomami-Gemeinde, mit der die Künstlerin den intensivsten Austausch pflegte, Papiere und Filzstifte in das Gebiet des Catrimani-Flusses zu bringen. Das Zeichenmaterial sollte eine künstlerische Sicht der Gemeinde selbst auf ihr Leben, die sie umgebende Natur und ihre Gemeinschaft ermöglichen. Mithilfe eines Stipendiums konnte dieses Zeichenprojekt in den Folgejahren weiter ausgebaut werden. In der Folge schufen die Yanomami-Künstler wie Hiko (Porako), Taniki (André) und einige andere ein Konvolut aus Zeichnungen, die einen ganz besonderen Einblick ermöglichen.

In einem kürzlich geführten Gespräch zwischen Carlo Zacquini und Ines Goldbach beschreibt Zacquini, wie er den Künstler Porako 1968 kennenlernte. Dieser lebte in einem Yanomami-Dorf am Rande eines kleinen Sees (Xaxanapi = Ort mit vielen Opisthocomus-Hoazin-Vögeln), wenige Kilometer vom rechten Ufer des Catrimani- Flusses entfernt. An dessen linkem Ufer, etwa zehn Kilometer flussabwärts, hatte sich Zacquini selbst im Januar 1965 niedergelassen. Ab Mitte der 1970er Jahre lebte Porako in einem Dorf seiner Verwandten in der Nähe der Mission, das den Namen Wakathau trägt. Inzwischen betagt und unter einem schweren Augenproblem leidend, konnte er nicht mehr an der Jagd teilnehmen. Er besuchte die Mission fast jeden Tag und versuchte sich nützlich zu machen. In jenen Jahren entstanden Serien von Zeichnungen. Ein Teil von ihnen ging in die Sammlung von Claudia Andujar über, wie jene, die im Kunsthaus gezeigt wird, andere sind hier und da verstreut. Porako starb in den 1990er Jahren mit über 80 Jahren. Gerade im Verbund mit den Fotografien von Claudia Andujar entsteht eine intime und zugleich zärtliche Nähe.

Der in Basel lebende, aus Bogota stammende Künstler Felipe Castelblanco ist in der Ausstellung mit seiner Arbeit Rio Arriba [Upriver] vertreten, einer Zwei-Kanal-Videoinstallation. Zu sehen ist eine Reise entlang des Putumayo-Flusses in der kolumbianischen Pan-Amazonas-Region. In einem zarten Fluss der Bilder eröffnet Castelblanco eine Landschaft mit globaler Bedeutung, in der indigener Widerstand, Bäume, Böden, Wolken, Licht und Schatten aufeinandertreffen. Vom Siona-Territorium im unteren Amazonasgebiet auf 300 Metern Höhe bis zum Quillacinga-Territorium im Hochland der kolumbianischen Anden auf 3000 Metern Höhe führt der Film die Betrachter*innen entlang eines sich schlängelnden Flusses, der umstrittene Territorien durchschneidet. Hier kommt es zu Konflikten zwischen sich überschneidenden Zuständigkeiten sowie zwischen der Rohstoffindustrie und menschlichen und nichtmenschlichen Gemeinschaften, die der Gewalt auf einer vertikalen Achse von Macht, Spiritualität und Besetzung ausgesetzt sind.

Am Eröffnungstag hat zudem das Künstlerkollektiv aus Basel, fffff, mit den Künstlerinnen Leah Nehmert (*1994, Genf), Laurie Mlodzik (*1988, Heidelberg) und Mariana Murcia (1988, Bogotá, Colombia) eine Performance realisiert, die im Zusammenhang mit der Ausstellung Inside the Amazon entsteht und der Frage nach einem mit der Natur verbundenen Leben thematisiert. Der Fokus des Künstlerkollektivs fffff liegt auf Fermentationsprozessen, um jene Verbindungen zu erforschen, die ein Leben in jedem Maßstab möglich machen. (IG)

Kurator*in: Ines Goldbach; Ausstellungsassistenz: Patricia Hug