Jan Hostettler

Beweise

Einzelausstellung

23.1. —
12.4.2015

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Jan Hostettler, Beweise, 2015, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2015, Foto: Serge Hasenböhler
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Jan Hostettler, Beweise, 2015, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2015, Foto: Serge Hasenböhler
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Jan Hostettler, Beweise, 2015, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2015, Foto: Serge Hasenböhler
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Jan Hostettler, Beweise, 2015, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2015, Foto: Serge Hasenböhler
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Jan Hostettler, Beweise, 2015, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2015, Foto: Serge Hasenböhler

Auf der gesamten Ebene des Untergeschosses des Kunsthauses führt der in Basel tätige Jan Hostettler den Besucher in eine Abfolge an neuen Werken, installativen Arbeiten und Vorgängen, die sein anhaltendes Interesse aufzeigen: seine dezidierte Spurensuche von eigenen und fremden Eingriffen im öffentlichen und institutionellen Raum und deren Auswirkung auf unser alltägliches Leben. Es sind kritische, aber auch poetische und humorvolle Arbeiten, mit denen Hostettler unser Agieren und alltägliches Funktionieren in der Welt befragt und uns zugleich eben dafür sensibilisiert.

Im ersten Raum des Untergeschosses bedeckt eine grünlich schimmernde, dicke Wachshaut Partien des Ausstellungsbodens und die im Raum neu eingebaute Wand. Einer im Raum stehenden riesigen Leinwand gleich benutzt Hostettler eben diese Wand ähnlich einer Oberfläche für seine spezielle Malerei. Zum Erhitzen gebracht, presste er zuvor durch einen mehrere Meter langen horizontalen Wandschlitz rund 200 Liter flüssiges Parafin. Das flüssige, mit Malachit gefärbte Material floss in unterschiedlich dichten Bahnen sowohl über die von ihm entworfene Wand als auch über den davor liegenden Boden und liess eine dicke Wachsschicht zurück. Es gleicht einer gewaltigen malerischen Geste und erzählt zudem von einer unmöglichen Möglichkeit, mit all den genannten Mitteln und Umständen ein solches Werk zu schaffen.

Beweise nennt Hostettler denn auch seine Ausstellung, die den Besucher in ein komplexes und vielschichtiges Werk eintauchen lässt, das von Grenzüberschreitungen, Wagnissen und bisweilen kühnen Entdeckungen des Künstlers erzählt, die er meist im Gehen und Wandern durch Landschaften und städtisches Gefüge erfährt und ihn zu Handlung verleitet. Seine Eingriffe sind meist zart, feinsinnig und temporär. Seit Längerem etwa spürt der Künstler Löchern in Hauswänden, auf Mauerwerk und Oberflächen im urbanen Kontext auf und füllt diese in Wasser gelöste Kreide. Die weisse Flüssigkeit fliesst unmittelbar die Wand hinunter und hinterlässt feine Spuren, die nur für eine kurze Dauer sichtbar sind. Doch weit mehr als nur eine humorvolle Geste wird dieser künstlerische Akt zu einer zeitlich beschränkten, feingliedrigen Zeichnung im öffentlichen Raum, der das Gehen und Handeln im öffentlichen Raum zu einem sinnlichen Akt werden lässt.

Seine Wandzeichnungen Run out, Nr. 5—9, 2015 im Kunsthaus erzählen eben von dieser Neugier, aber auch seinem sicheren ästhetischen Gespür. Kürzere und längere Linien, die Hostettler mit feinen, aneinandergereihten Löchern in der Wand formuliert, werden mit schwarzer Tusche gefüllt und rinnen, sich der Kontrolle des Künstlers entziehend — den Boden hinunter. Je nach Linienwinkel bilden sie mal ein dichteres und dunkleres, mal ein helleres Liniengefüge auf der Wand.

An Zeichnungen erinnern denn auch die zarten, unzähligen präzis aufgebrachten Grafitpunkte und -flächen, die an den beiden Schnittstellen der groben Steine zu sehen sind, die Hostettler im Raum platziert hat. Gleich einem Bildhauer mit Hammer und Spitzeisen setzt Hostettler die dicke Grafitgriffel an und trägt es nach und nach auf den Steinen aus Solothurner Muschelkalk auf. Als Resultat präsentiert sich eine zarte, temporäre Bleistiftzeichnung auf dem jahrtausend alte (Natur-)Geschichte speichernden Gestein.

Ebenso im gleichen Raum präsentiert Hostettler eine in drei Stücke geteilte und im Raum verteile Fotografie Karsplatz, 23.06.2014, die er auf einer Reise in Wien aufgenommen hat; eine analoge Schwarz-Weiss-Aufnahme, die unweigerlich an den Film Blow up von Michaelangelo Antonioni erinnern lässt. Eine scheinbar friedliche Situation in einem öffentlichen Park. Junge wie ältere Menschen sitzen hier beisammen, unterhalten sich, lesen, telefonieren. Im Hintergrund eine kleine Menschenansammlung, die kaum registriert wird. Erst in der Nahsicht wird das ganze Ausmass dieser zufällig vom Künstler entdecken Situation sichtbar. Polizisten agieren um eine am Boden liegende Persom. Hostettler kommentiert nicht, was dort passiert sein mag, nicht das davor oder das danach, wohl aber die Gleichzeitigkeit von Situationen, Geschehnissen, Gefahr und Idylle, Recht und Unrecht, die in jedem Moment präsent sind — sich aber zugleich unserer Aufmerksamkeit und Wahrnehmung entziehen.

Es sind dies denn auch die Fragestellungen, die den Künstler kontinuierlich begleitet: Wann glauben wir etwas? Stimmt das, was wir sehen, was scheinbar geschehen ist? Erfassen wir es richtig bzw. glauben wir dies oder jenes, obwohl unser Verstand oder auch unsere Erfahrung etwas anderes behauptet? Nur für einen kurzen Moment ist diese oder jene Situation sichtbar, als sei sie nicht da gewesen, gleich einer feinen Wandzeichnung mit Kreide, die der Regen im nächsten Moment wieder fort wäscht.

Mit der Arbeit Brunnen, 8.01.2015 im letzten Raum seines Ausstellungsrundgangs zeigt Hostettler seine feinen Eingriffe in öffentliche Brunnenanlagen, die humorvoll, zugleich gewagt und doch auch poetisch sein können. Für einen Moment wird — mit einem raschen, gekonnten Griff — die Wasserzufuhr von öffentlichen Brunnen für eine kurze Dauer verändert. Statt den für ihn vorgesehenen Behälter zu treffen, überwinden die beiden Wasserstrahle für einmal das Bassin, schiessen in freien Bahnen auf das Trattoir und fliessen zurück in die Kanalisation. Man mag sich die ein oder andere erstaunte Reaktion gerne vorstellen.

Hinter Schichten und Systeme zu gelangen, Prozesse auszulösen und für einen Moment aus dem Regelwerk auszubrechen, ohne die grossen Eingriffe oder Gesten zu bemühen, scheint eine wichtige Motivation für den Künstler zu sein. Ob er diese ‹Feldforschung› denn in subversiven Handlungen in situ enden lässt oder aber Material von seinen Gängen und Wanderungen mitnimmt, entscheidet sich im Moment des In-Bewegung-Seins, des Findens und Sehens. Dafür steht etwa das Werk Nest, 2014, das er bei einer seiner Stadtwanderung fand und sämtliche darin nachweisbare Chemikalien notierte. Das Ergebnis ist ernüchternd.

Jan Hostettler spürt auf seine eigene, neugierige und präzise hinterfragenden Art gesellschaftsrelevanten Themen nach, lässt aufhorchen, was um uns herum passiert, was dort vor sich geht, wo wir uns bewegen, sei es im urbanen, sei es im natürlichen Umfeld, sei es mit Dingen und Materialien, mit denen wir oder andere tagtäglich zu tun haben. Oft ist es das Unerwartete, das sowohl ihn selbst als auch den Betrachter irritiert und eine gewisse Unruhe auslöst. Mit an Grenzen zu gehen, andere Fragestellungen zu erlauben, das Unmögliche ein bisschen verhelfen möglich zu machen, das ist es, was Hostettler interessiert — und es zugleich auch von dem ein Stück weit erwartet, der mit ihm arbeitet. Das Abenteuer lohnt sich: manche erstaunliche Beweise vermag eben nur die Kunst zu erbringen.
Text von Ines Goldbach

Ausstellung und Katalog wurden grosszügig unterstützt durch die Partner des Kunsthaus: kulturelles.ch, Gemeinde Muttenz, werner sutter AG sowie den Roldenfund, Ernst und Olga-Hablützel-Stiftung, SOKultur, Kanton Basel-Stadt Abteilung Kultur und der Stiftung Edith Maryon.

Parallel zur Einzelausstellung von Jan Hostettler waren jene von Oliver Minder und Katharina Anna Wieser im Kunsthaus Baselland zu sehen.

Kurator*in: Ines Goldbach