Laurent Montaron
21.1.
—
21.3.2010
Pace
Laurent Montaron (geb. 1972 in Verneuil-sur-Avre, lebt in Paris) zählt mittlerweile nicht nur in Frankreich zu den aufstrebenden Künstlern einer jüngeren Generation. Seine Einzelausstellungen im Kunstverein Freiburg i.Br., am Institut d’Art Contemporain in Villeurbanne/Lyon, in der FRAC Champagne-Ardenne, seine Solo-Präsentation an der letzten Frieze Art Fair (Galerie Schleicher+Lange) und zahlreiche internationale Ausstellungsbeteiligungen haben das Werk in einen europaweiten Diskurs gestellt. Laurent Montaron arbeitet mit diversen Medien: Film, Video, Fotografie und Skulpturen sind in seinem Werk ebenso zu finden wie Sound-Installationen. Im Mittelpunkt seines Interesses steht das Ausloten von visuellen Repräsentations-Codes: Montaron hinterfragt das Verhältnis und die Konflikte zwischen Bild und Realität, der jeweiligen Erzählung und ihrer Interpretation.
Die Ausstellung im Kunsthaus Baselland trägt den Titel Pace, benannt nach der gleichnamigen Filminstallation. Pace (engl. Geschwindigkeit, Schritt, Tempo…) ist eine 16mm Filmprojektion hinter einer Wand und einem Glasfenster, welche den Blick auf das pulsierende Herz eines Karpfens, gehalten in der Handfläche, zeigt. Das durch die Wand leicht gedämmte Geräusch des Projektors und das Pulsieren des vom Körper befreiten Herzen gehen eine akustische Symbiose ein; das Fenster unterstreicht einen voyeuristischen Moment im Beobachten jenes Bildes. Laurent Montaron untersucht das gleichermassen Unangenehme und Schöne, lässt jedoch offen, ob es sich hier um ein ‹wahres› oder ‹fiktives› Bild handelt.
Der HD-Film Will There Be a Sea Battle Tomorrow? (2008) basiert auf dem gesellschaftlich und wissenschaftlich wiederkehrenden Interesse nach übersinnlichen Erfahrungen. Eine Maschine aus dem Institut für Parapsychologie in Freiburg i.Br., auch Psi-Recorder genannt, steht im Mittelpunkt des Films. Das Gerät, das zufällige Zahlen generieren kann, wird für Experimente eingesetzt, welche den Phänomenen Telepathie, Vorausahnung und Hellsehen nachgehen. Die Frage «Will There Be a Sea Battle Tomorrow?» basiert auf logischen Überlegungen des griechischen Philosophen Diodorus Cronus, der Thesen zu Aussagen über Sachverhalte in der Zukunft stellte, die weder zwingend der Wahrheit entsprechen noch unbedingt falsch sind. Der Philosoph vertrat die Meinung, dass nur diejenigen Dinge möglich sind, die auch tatsächlich sind oder sein werden bzw. alles, was nicht sein wird oder ist, auch nicht sein kann. Folglich handelt Laurent Montarons Film von der Fragestellung, ob unsere Zukunft vorbestimmt ist, bzw. ob eine Vorahnung mit exakter Wissenschaft vereinbar ist. Er thematisiert die Phänomene Zeit und Zufall, wozu er fundamentale Fragen aufwirft, die, obwohl unbeantwortet, eine poetische Disposition darstellen.
Auch die Lichtinstallation How is it that this long night is interrupted? (2008) greift das Thema des Zufallsprinzips auf. Zwei identische Glühbirnen sind symmetrisch auf einer Wand montiert. Ein in der Nähe angebrachter Lichtschalter löst einmal den einen, dann den anderen elektrischen Impuls aus, worauf die jeweiligen Glühbirnen aufleuchtet. Der Künstler greift für das Generieren von zufälligen Impulsen auf einen elektronischen Chip zurück, der im Jahre 1960 erfunden wurde. Laurent Montarons Interesse für Geräte und Instrumente aus einer vor-computerisierten, vergangenen Zeit sind in seinem Werk immer wieder augenfällig. So erscheint der Amboss D (2010) am Eingang zu seiner Ausstellung wie ein visueller Code, der auf eine ganz andere Zeit verweist, in welcher Pferdehufe beschlagen oder andere rechteckige oder runde Formen gehämmert wurden. Das Objekt trägt die eingravierte Inschrift «Isn’t this what we like to believe rather than being left to the night?», ein Satz aus dem Video Will There Be a Sea Battle Tomorrow?. Laurent Montaron stellt zu Beginn der Ausstellung eine generelle Glaubensfrage, die sich nicht zuletzt auch auf die Kunst bezieht: Wollen wir das glauben, oder es lieber dem Dunkeln, der Nacht überlassen? Der Titel wiederum ist das Ergebnis einer Klanggabelabstimmung mit dem Amboss — also einer durchaus verifizierbaren Messeinheit, die jedoch nichts zur Interpretation des Werks beiträgt.
Zwei Fotografien im ersten Raum der Ausstellung zeigen einen langhaarigen Mann, der ein Hackbrett spielt. Dulcimer Player in Front of a Shotgunhouse (2010), so der Titel der Fotofolge, erinnert an Kinofilmsequenzen. Die leicht unterschiedlichen Momentaufnahmen liegen zeitlich eng beieinander. Als viel komplexer erweisen sich die zeitlichen Elemente bei genauerer Betrachtung: Das Hackbrett ist ursprünglich ein Instrument des Mittelalters. Es wurde in seiner mittelalterlichen Form beinahe unverändert in Amerika aufgegriffen und findet bis heute v.a. in der Folkmusik Verwendung. Der Musiker speichert sein Spiel unmittelbar mit einem älteren Rekorder. Das für den Süden der USA typische Shotgunhouse ist ein visuelles Überbleibsel aus der Zeit zwischen dem amerikanischen Bürgerkrieg (1861—65) und den 1920er-Jahren. Visuelle Codes aus unterschiedlichen Zeiten und mit unterschiedlichen Konnotationen treffen aufeinander und bestimmen so die Inhalte der Bildsequenzen mit.
Ein weiteres Instrument, das bis heute v.a. in der Jazzmusik gebräuchlich ist, ist die elektromechanische Hammond B3-Orgel (oder Leslie-Orgel, benannt nach dem Leslie Lautsprechersystem). Laurent Montaron verwendet eine solche für seine Installation Doppler (2009), die ein merkwürdiges, beinahe irrsinniges Lachen jeweils verdoppelt und verzerrt. Gezeigt in der kalten Shedhalle des KHBL, verstärkt sich die Absurdität des Lachens, das an einem Ort und zu einer Zeit eingesetzt ist, welcher keine logischen Beweggründe liefert.
Montarons neueste, erstmals in dieser Ausstellung gezeigte Arbeit integriert einen Phonograph, welcher auf Wunsch und mit Handbedienung eine eigens kreierte Tonrolle abspielt. Phoenix (2010, Arbeitstitel), stellt die Frage nach Repräsentations- und Wahrnehmungsmechanismen. Was bedeutet ein kaum mehr benutzbares Musikabspielgerät heute. Welcher Musik-Ära gehörte es an? Was geschieht, wenn mit den dem Instrument ein- und zugeschriebenen Musikgenres gebrochen wird? Laurent Montarons Werke verstricken den Betrachter in Wahrnehmungs- und Interpretationsfragen. Sie sind weder dokumentarisch noch fiktiv, sie handeln von Strategien des Andeutens und Verbergens. In vielen seiner Werke jongliert Montaron zwischen Wissenschaftlichkeit und Glaubenssystemen, zwischen Logik und Intuition. Mit Maschinen und Instrumenten aus einer vergangenen Zeit, mit speziellen Objekten und poetischen Titeln deutet er vieles an, das Rätselhafte bleibt dennoch erhalten. Eine wichtige Rolle fällt der räumlichen Präsentation seiner Werke zu.
Text von Sabine Schaschl