Maude Léonard-Contant

Digs

9.9. —
13.11.2022

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Maude Léonard-Contant, Earth-moving, 2022. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2022. Foto: Gina Folly
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Maude Léonard-Contant, Tafel, 2022; Earth-moving, 2022. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2022. Foto: Gina Folly
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Maude Léonard-Contant, Bedrock Stories, 2022. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2022. Foto: Gina Folly
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Maude Léonard-Contant, Tafel, 2022; AAAAABBCCCCDD DDDEEEEEEEEEEFFFGHHHHIIIIIKLLLLLLLLMMNNNNN OOOOPPPQRRRSSSSSSSSSTTTTTUUUUUVWWXYYZ, 2022; Earth-moving, 2022. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2022. Photo: Gina Folly
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Maude Léonard-Contant, Tafel, 2022; AAAAABBCCCCDD DDDEEEEEEEEEEFFFGHHHHIIIIIKLLLLLLLLMMNNNNN OOOOPPPQRRRSSSSSSSSSTTTTTUUUUUVWWXYYZ, 2022. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2022. Photo: Gina Folly

Projektpartner


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Der Titel der Ausstellung benennt es bereits: Es geht darum etwas auszugraben – im übertragenen Sinne; etwas hervorzuholen, das bislang eher im Verdeckten, also unter der Oberfläche und dem Eindeutigen, liegt. Seit vielen Jahren beschäftigt sich die in Basel lebende, aus dem französischsprachigen Kanada stammende Künstlerin mit Räumen, die Sprache ermöglichen, verändern oder auch verschliessen. Zugleich reflektiert sie über die Darstellbarkeit von Sprache, ihrem Benennen-Können und Auslassen-Müssen, jedoch auch über ihrer veränderten Bedeutung im Moment der Übersetzung in eine andere Sprache und damit auch in eine andere Kultur.
Maude Léonard-Contants
Werkauslage ist kein abgeschlossenes Statement, sondern ein Ort des Zuhörens, der Einladung und der Veränderung; ein Ort, der die Materialien zu einem Teil der Sprache werden lässt – eine Abfolge von Räumen und Zeiten, begleitet von der Künstlerin, die mit jedem Besuch der Ausstellung einen anderen Zustand angenommen haben wird – und das Gegenüber dabei aktiv mit einschliesst.

Maude Léonard-Contant wird während der Ausstellungsdauer regelmässig vor Ort sein und das Werk fortführen.


Ein Raum gleich einem Garten, einem Feld aus Sand, einer glatten Fläche, einem Blatt Papier, bereit für das Kommende. Ein Raum, in welchem sich Wörter verdichten, verschwinden, wieder auftauchen werden; in welchem Sprache, gleich einer archäologischen Stätte, nach und nach freigelegt, erinnert, verdichtet und neu verstanden werden darf. Denn Sprache ist für die Künstlerin Maude Léonard-Contant Instrument. Ein Instrument etwa, um einen Garten anzulegen, aber auch um Neues mit Altem zu überdecken und überwuchern zu lassen. Ein Garten, der wild oder auch gezähmt und geordnet sein kann und sich mit Unbekanntem und Exotischem zu mischen vermag.

Sie selbst ist in vielen Sprachen zu Hause, in deren Rhythmen und Bedeutungen. Aufgewachsen ist Léonard-Contant in Quebec, im französischsprachigen Teil von Kanada. Vor einigen Jahren zog die Künstlerin in die Schweiz, zuerst nach Luzern, später nach Basel, wo sie aktuell mit ihrer Familie lebt. Englisch, Französisch, Schweizerdeutsch und Schriftdeutsch sind für sie Mutter- und Fremdsprache zugleich. Und sie sind Alltag und Material für ihr fortschreitendes Werk.

Digs ist daher nicht nur der Titel ihrer Gesamtauslage im Kunsthaus Baselland. Vielmehr beschreibt das Wort treffend ihre Art des künstlerischen Arbeitens. Das Ausgraben, Eintauchen, Herausschälen von Worten, Sprache, Bedeutung; zugleich auch das Sich-Einrichten an einem bislang unbekannten und unbewohnten Ort – sprachlich wie körperlich. Digs steht aber auch für das Erkunden von Materialien, die sich unter der Oberfläche befinden. Sand, Ton, Schiefer, Wasser, Öle und Meeresschwämme werden verbunden mit Kreide, Gips, Tinte – oder eben auch Sprache, die sich bisweilen mit der Zunge vielleicht schon sprechen, aber in der Bedeutung noch nicht erschliessen lässt.

Maude Léonard-Contant spricht mit ihrer Auslageordnung eine Einladung aus. Eine Einladung an das Gegenüber, die Räume im Kunsthaus Baselland nicht zu durchschreiten, sondern sich in ihnen aufzuhalten. Den sich verändernden Sandgarten aus Textfragmenten und Wörtern immer wieder aufzusuchen, das Kommen und Verschwinden von Bedeutungen und Zusammenhängen zu lesen und sich selbst zu verorten. Auch der grosse Schiefertisch im mittleren Raumgefüge lädt zum Innehalten ein. Über Kopfhörer buchstabiert eine Sprecherin in drei Sprachen und dem jeweiligen Klang und Rhythmus Wörter, die im Mitschreiben mit Kreide auf die Schieferplatte mal fremd und mal vertraut sein mögen. Jede Sprache ist für uns zu Beginn neu, unverständlich, nur Ton und Rhythmus; jedes Kind muss sich allmählich an die umgebende Sprache der Eltern gewöhnen – muss dem Gesagten Bedeutung und Verständnis zuschreiben.

Auch im grossen Fensterraum lädt die Künstlerin zum Verweilen ein und zeigt zugleich auch eine Form der Verdichtung. Ähnlich wie aus Buchstaben Wörter und Sätze werden können, Poesien, Texte und Kommunikation miteinander, so sind hier aus Materialien wie Sand Tongefässe entstanden, aus Salzen plastische Gebilde, aus Pigmenten Farbtöne. Es ist bezeichnend für ihr Werk, dass die Künstlerin aus unterschiedlichen Materialien wie Ton, Sand, Bambus, Holz, Papier, Gips, Glas usw. zarte Skulpturen schafft, denen meist lange Wachstums- und Naturprozesse zugrunde liegen.

Ähnlich wie Sprache und Kultur formbar und wandelbar sind, ist auch Maude Léonard-Contants Werk innerhalb des prozesshaften Arbeitens zu verstehen. So wird die Künstlerin während der Laufzeit immer wieder in ihrer Ausstellung anzutreffen sein – um die Auslageordnung weiterzuschreiben, aber auch um sich dort mit ihrer wenigen Monate alten Tochter aufzuhalten – Mutter und Künstlerin zu sein heisst auch, Zeit einzuteilen, zu nutzen und Werk und Leben miteinander in Einklang, aber auch zum Klingen zu bringen.

Die über mehrere Räume und die Galerie sich ausbreitende Werkeinrichtung von Maude Léonard-Contant gleicht daher einer zarten, zugleich präzis und bestimmten Spur, persönlich, intim und kollektiv zugleich. Eine Sprache, die in Schichten und Zeiten entschlüsselt werden kann sowie ein Verständnis von Zusammenhängen ermöglicht. Immer wieder veranschaulicht und hinterfragt die Künstlerin zugleich die im Sprachgebrauch, aber auch im Verständnis gängige Trennung zwischen Natur und Kultur. Warum sprechen wir von einem Entweder oder statt einem Sowohl als auch? Daher sind auch die Materialien wie Sand, Salze, Schiefer etc. mit ihren Geschichten und komplexen Zusammenhängen die Protagonisten der Ausstellung. Mit ihnen ermöglicht sie uns den Dialog. Denn eine Ausstellung ist für die Künstlerin eine geöffnete Tür zum Eintreten, Zuhören, – unabhängig vom eigenen sprachlichen respektive kulturellen Hintergrund. Jede Sprache formt sich neben dem Sinnstiftenden und klar zu Benennenden auch über ein Leise und Laut, einen Klang und einen Rhythmus, eine Poesie des Grundsätzlichen. (Ines Goldbach)


Maude Léonard-Contant, geboren 1979 in Joliette, Québec, Kanada, lebt und arbeitet in Basel. Studium an der UQAM, Tiohtià:ke / Mooniyang / Montreal sowie der Concordia University, Tiohtià:ke / Mooniyang / Montreal – GSA, Glasgow. Seit 2007 diverse Auszeichnungen und Förderungen u.a. durch den Canada Council for the arts (2022, 2012/13, 2009, Kunstkredit Basel (2017), Publikation Junge Kunst Luzern (2021), Cristina Spoerri Preis (2020), Preis der Luzerner Kunstgesellschaft (2019), Conseil des arts et lettres du Québec (2011/2012/2007/2008).

Einzelausstellungen: Digs, Kunsthaus Baselland (2022); No Edit Can Fail Tint, Kunstmuseum Luzern (2020), Chatty lot, Alpineum Produzentgalerie, Lucerne (2016), Palm plot, Abrons Arts Center, NYC (2011), 3 plants. 11 fruits. A recollection, Market Gallery, Glasgow (2011). Eine Edition von Maude Léonard-Contant ist in Planung für 2022 gegen Ende der Ausstellung im Kunsthaus sowie eine Publikation 2023 anlässlich ihrer Ausstellung im Rahmen des Preises Publikation Junge Kunst in Luzern.

Ein herzliches Dankeschön an die Förderer und Unterstützer der Ausstellung im Kunsthaus Baselland: Prohelvetia. Schweizer Kulturstiftung, Canada Council for the Arts, Ernst und Olga Gubler-Hablützel Stiftung, Embassy of Canada Bern sowie an jene, die nicht namentlich genannt werden möchten. Ebenso ein sehr grosses Dankeschön an alle Helfer*innen, die zum Gelingen der Ausstellung beigetragen haben: Jürg Bader, Sylvain Baumann, Tom Kuhn, Sandra Häuptli, Jan Hostettler, Matteo Mina, Oliver Minder, Benedikt Notter, Camillo Paravicini, Giacomo Paravicini, Sergio Rojas Chaves, Catherine Schelbert, Tobias Schläfli, Suzanne Schmidt, Martina Stähli, Marcella Tönz Mina, Ines Tondar, Salome Tramèr sowie Dinamo Type Foundry.

Kurator*in: Ines Goldbach