Mireille Gros
19.9.
—
14.11.2010
The use of the useless
Mireille Gros (*1954 in Aarau, lebt und arbeitet in Basel) zeigt im Kunsthaus Baselland eine Einzelausstellung, die unter dem Einfluss ihrer Auseinandersetzung mit China und im speziellen mit dem chinesischen Philosophen Zhuang Zi entstanden ist. Die Künstlerin studierte in Basel an der Kunstgewerbeschule bei Werner von Mutzenbecher und Werner Jehle sowie in New York an der Cooper Union bei Vito Acconci und Hans Haacke. Mireille Gros verbrachte längere Zeit in New York, Liverpool und Barcelona. Reisen nach Italien, Norwegen und vor allem jene nach Westafrika waren für ihr Schaffen ebenso wichtig.
In den letzten Jahren richtete sich der Fokus von Mireille Gros‘ künstlerischer Auseinandersetzung fast ausschliesslich auf China, nachdem ein Stipendium der Christoph Merian Stiftung einen ersten längeren Aufenthalt dorthin ermöglichte. Gros beschäftigt sich seither mit dem Erlernen der chinesischen Sprache und Kultur und stiess dabei auf das Werk des Dichters und Philosophen Zhuang Zi. Das nach dem Philosophen benannte Buch, das u.a. die berühmten Textsammlungen Das wahre Buch vom südlichen Blütenland und Das Buch der Spontaneität: Über den Nutzen der Nutzlosigkeit und die Kultur der Langsamkeit beinhaltet, wurde zur wichtigsten Anregungsquelle der Künstlerin. Sie entdeckte darin eine neue Grundstrategie des künstlerischen Handelns, die mehr Spontaneität zulässt und auch das vermeintlich Nutzlose neu belebt bzw. es in seiner Nutzlosigkeit grundsätzlich hinterfragt. Im Gegensatz zu ihren früheren Zeichnungen und Malereien dominiert in den jüngsten Werken eine experimentelle, spontane und dem Zufall Raum gebende Haltung. In ihren Malereien und Zeichnungen verwendet die Künstlerin traditionelle chinesische Materialien wie beispielsweise handgeschöpftes Chinapapier als Bildträger oder die klassische China Tusche als Malmittel.
In ihren Werken werden oftmals Gesten und/oder Materialien ausbalanciert: Dort wo sie etwas wegnimmt, fügt sie etwas anderes wieder hinzu; oder der einen Bewegung stellt sie eine entsprechende Gegenbewegung gegenüber. So entstanden mit den Fingerkuppen ausführte Malereien, aber auch solche, die durch das Herausritzen mit Nägeln oder ähnlichem ihre Form erhalten. Die Bilder erinnern trotz ihres spontanen Entstehungsprozesses oft an Wiesen, Blumen, Gräser, Geäst oder Flüsse und Reisfelder. Schon in ihren früheren Arbeiten interessierte sich die Künstlerin nicht für das Abstrahieren; vielmehr ist für sie alles figürlich. Sie lotet das ‹Nichts› so lange aus, bis es zu ‹Etwas› wird, anstatt von etwas Figürlichem auszugehen und dieses bis zu einem bestimmten Punkt zu abstrahieren. Diese Vorgangsweise findet sich auch in den jüngsten Werken wieder, jedoch gepaart mit einer auf Spontaneität bedachten Haltung.
Auch in den Fotografien ist diese grundsätzliche Haltung spürbar. Die Momentaufnahme eines Schattens oder die letzte Ruhestätte ausgedienter Buddhafiguren (männlichen und weiblichen!) werden festgehalten: Das Schnelle steht dem Langsamen nicht zuletzt aus thematischer Perspektive gegenüber.
In einer räumlich konzipierten Arbeit greift Mireille Gros auf zahlreiche Blätter zurück, die über einen langen Zeitraum hinweg entstanden, wobei das Erfassen der chinesischen Kultur über seine Schriftzeichen im Mittelpunkt stand. Zusammengeklebt und als Zeichengrund wiederverwendet, gibt die Künstlerin dem vermeintlich Nutzlosen etwas Wertvolles zurück: als Träger von festgehaltenen Worten und Gedanken wird das Ensemble zu einer raumgreifenden Installation, in welcher sich der Rezipient im Detail verlieren kann. Auch hier werden Erinnerungen an frühere Arbeiten wach, in denen die Künstlerin das ganze Universum als Ansatzpunkt für ihre Arbeiten verwendet. Das Hin- und Her-Zoomen von Mikro- zu Makrokosmos, von ‹Gross› zu ‹Detail› bleibt weiterhin ein wichtiger Ausgangspunkt in ihrem Werk.
Text von Sabine Schaschl