Nives Widauer

Do I dream or am I alive

19.9. —
13.11.2011

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Nives Widauer, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2011, Foto: Kunsthaus Baselland
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Nives Widauer, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2011, Foto: Kunsthaus Baselland
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Nives Widauer, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2011, Foto: Kunsthaus Baselland
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Nives Widauer, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2011, Foto: Kunsthaus Baselland
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Nives Widauer, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2011, Foto: Kunsthaus Baselland

Nives Widauer (geb. 1965 in Basel), die an der Schule für Gestaltung in Basel studiert hat, lebt seit vielen Jahren in Wien und zeigt erstmals in der Schweiz eine umfassende Einzelausstellung im Kunsthaus Baselland. Die Künstlerin, die auch für ihre Videoinstallationen und ihr Lichtdesign für diverse Theaterbühnen bekannt ist, arbeitet seit Anfang der 90er-Jahre als bildende Künstlerin, worauf die Ausstellung ausschliesslich eingeht.

Ein Teil Nives Widauers Arbeiten besteht aus Interventionen mit gefundenen Materialien. Fotografien, Postkarten, Texte oder auch Skulpturen, die sie auf Flohmärkten oder in Antiquariaten fand, werden Teil ihrer künstlerischen Umdeutung. Grosse Bekanntheit erlangte die Künstlerin u.a. mit einer Serie von Stickbildern — minor catastrophies (2006 bis heute), wobei Widauer die Bildvorlagen von Schlössern, Tieren, verschiedenen Porträts und ähnlichem mit Motiven ergänzt, die das ursprüngliche Bild meist umdeuten. Eine Stickbildvorlage mit dem Motiv eines Pferdes bekommt so in der Endfassung einen gestickten, durch die Nüstern gezogenen Knochen, ein idyllisches Haus am See geht mit dem gestickten Eingriff in Flammen auf. Widauers Strategie des Kombinierens hat viel mit der jeweiligen Motivwahl selbst zu tun. Ihre Interventionen werden vom Ausgangsmaterial mitbestimmt, wobei es keineswegs so ist, dass sie sich auf die Suche nach vorher festgelegten Materialien macht. Vielmehr lässt sie sich vom emotionalen Gehalt leiten, welche alte Postkarten, Fotos, Stiche, Bücher, Skulpturen, Stickvorlagen etc. in sich tragen. Oft lagern die Fundstücke jahrelang in ihrem Archiv, bevor die Künstlerin Interventionen an ihnen vornimmt. Mit ihrem Interesse für altes Bildmaterial und ihrer Fähigkeit, diese zumeist historischen Bilder zu lesen, bereitet sie die Grundlage für die in der Folge kreierten künstlerischen Eingriffe vor. Der Kombination von alten Materialien mit weiteren neuen und/oder alten Materialien wohnt auch die Verschränkung mit der zeitlichen Ebene inne. Die Vergangenheit, ausgedrückt durch die historisierten Bildmaterialien, wird von Überlegungen bzw. Möglichkeiten der Wahrnehmung der Gegenwart überlagert, die sich jeweils in die Zukunft auszubreiten vermögen.

Auch in einem ihrer jüngsten Werke sind diese Überlagerungen spürbar. In Lora et ses amies (2011) ergänzt die Künstlerin farbige Drucke unterschiedlicher Papageienbildnisse von Edward Lear (1812—1888). Papageien üben bekanntlich eine spezielle Faszination auf den Menschen aus. Ihnen wird eine grosse Intelligenz bescheinigt, ihre Lebenserwartung deckt sich in etwa mit der des Menschen, aber es ist die Fähigkeit, Stimmen zu imitieren, zu «sprechen», die ein spiegelbildliches Verhältnis zum Menschen bildet. Die Farbenpracht des Gefieders, beziehungsweise das «Kleid» der abgebildeten Vögel nimmt die Künstlerin als Ausgangspunkt, um die Illustrationen mit selbst hinzugefügten einzelnen menschlichen Extremitäten zu erweitern. Meist sind es aquarellierte weibliche Beine, die aus dem Körper der Papageien ragen, die jedes Mal eine individuelle Ausformung erhalten. Nives Widauer betitelt die Arbeiten mit Frauennamen aus der Literatur, dem Freundeskreis oder der Phantasie. Auf diese Weise verbindet sie Reales mit Fiktivem und äussere Tarnung mit emotionaler Empfindsamkeit.

Gesammelte Objekte und Materialien spielen auch eine Rolle in ihren — meist raumgreifenden — Installationen. In Global Globes (2011) blicken wir auf die allseits bekannte schematische Darstellung der Weltkarte, wobei die einzelnen Kontinente aus zahlreichen Globen zusammengefügt sind. Der generelle Blick von oben, das Hinterfragen der Welt und ihrer Zusammenhänge, ebenso wie das Aufgreifen multimedialer Sprachen und die Bereitschaft, diese zu teilen, charakterisiert Widauers Schaffen.

Ein weiterer Teil in Widauers Werk sind die Videoarbeiten. In der Serie der so genannten Symbioscreens (2005 bis heute) kombiniert Widauer zwei unterschiedliche Medien: Ein Videostill, der meist den Ausschnitt einer Videoarbeit aufgreift, wird auf Leinwand oder eine sonst fixierte Form aufgezogen. Über das Bild wird im nächsten Schritt das dazugehörige Video projiziert und so Videostill und das laufende Video aufeinander abgestimmt. Ohne Projektion verharrt der Skispringer in Balanced (2003) in einem fixierten Sprungzustand. Mit der Projektion wird der Sprung als Bewegung aktiviert, wobei sich das fixierte Bild mit dem laufenden nur an einem Punkt deckt.

Ebenso konzipierte die Künstlerin für die Ausstellung Settle/Aufraum (2011) eine Skulptur aus Bronze, in welche zahlreiche Videokassetten eingegossen wurden. Widauer gibt darin den Überlegungen zur Kurzlebigkeit des Mediums Video Ausdruck. Sie überführt das Ausgangsmaterial der schwer archivierbaren Videokassetten in eine vermeintlich «ewige» Form: mit Bronze zu einer Couch gegossen, können wir uns nun auf ihnen ausruhen. Das was wir einst auf der Couch konsumiert haben, wird nun selbst zum Material, auf dem sitzend wir zum Nachdenken angeregt sind.
Text von Sabine Schaschl

Kurator*in: Sabine Schaschl