Regionale 11

28.11.2010  —
9.1.2011

Was vor vielen Jahren als Weihnachtsausstellung begann, ist mittlerweile zu einem der grössten grenzüberschreitenden Projekte der Region Basel, Südbaden und Elsass geworden. Es sind mittlerweile mehr als ein Dutzend Institutionen aus dem trinationalen Raum, welche regionalen Kunstschaffenden aller Altersgruppen eine Ausstellungsmöglichkeit bieten. Aus den zahlreichen Bewerbungen wählen dabei jeweils die Jurys der einzelnen Häuser die von ihnen gewünschten Positionen oder stellen nach eigenen Konzepten die jeweilige Regionale-Ausstellung zusammen. Die Regionale ist somit nicht nur Spiegel für das schöpferische Potenzial der Region und ihrer kulturellen Diversität, sondern auch Plattform für den grenzüberschreitenden Austausch zwischen Kunstschaffenden, Kulturinstitutionen und kunstinteressiertem Publikum.

Für die diesjährige Regionale 11 hat das Kunsthaus Baselland den Künstler Eric Hattan zu einem kuratierten Ausstellungsprojekt eingeladen. Nach zahlreichen Gesprächen ist das Ausstellungskonzept «radikal subjektiv» entstanden. Die Tätigkeit des Kuratierens ist per se keine objektive, und individuelle und persönliche Vorlieben des Kurators spielen beim Auswahlverfahren immer wieder eine Rolle. Die Ausstellung erhebt dieses Faktum zum Konzept. Gemeinsam mit den Künstlern wurde sowohl in direkten Ateliergesprächen als auch aus den eingereichten Dossiers eine Werkauswahl getroffen, bei welcher nicht ein demokratisches Platz-Verteilen im Vordergrund stand, sondern die radikale Subjektivität des Kurators.

KuratorIn: Sabine Schaschl und Eric Hattan, Künstler

Alacam Selma G 2010 1
Selma Alacam, Isolated And Protected From The World Around, 2009, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2010, Foto: Kunsthaus Baselland

Die Werke von Selma Alacam (*1980 in Mannheim, lebt in Karlsruhe) bilden den Auftakt und den Schlusspunkt der Ausstellung im Kunsthaus Baselland. Eingangs zeigt die Künstlerin das Video Turkish National Anthem in welchem sie Videos von in Wohnzimmern singenden Kindern, gefunden auf U-Tube zusammenfügt. Mit grosser Inbrunst singen sie die türkische Hymne und werden von klein auf ihre Nationalität eingeschworen. Alacams Werke greifen Fragestellungen nach kultureller Identität, dem sozio-kulturellen Umgang mit der neuen Heimat, Integration und die aus den kulturell unterschiedlichen Denkweisen resultierenden gesellschaftlichen Probleme auf. Die Künstlerin, selbst halb Türkin und halb Deutsche, arbeitet als Erziehungsbeistand im sozialen Dienst, wo sie versucht, türkischen Familien bei ihrer Integration in Deutschland zu helfen. In ihrer Videoinstallation Isolated And Protected From The World Around — A Portrait Of A Turkish Family (2009) widmet sie jedem Mitglied der betreuten Familie ein Videoporträt, welche hinter einem Vorhang aus Bügelperlen durchschimmern. Der Vorhang erinnert an Einsätze ornamentaler Sichtfenster oder an verschleierte Frauen in der islamischen Kultur. Die Idee von Schutz und jene von Ausgrenzung treffen dabei unweigerlich aufeinander. In Fotos, in denen ornamentale Muster über den Körper der Künstlerin gelegt sind, wird sowohl das Umhüllen und Schützen betont, als auch die im Körper wortwörtlich eingeschriebene kulturelle Prägung. In einem Video kämmt die Künstlern ihre eigenen Haare zurück um sich darauf eine Perücke aufzusetzen, die sie letztlich gleich aussieht wie ihr eigenes Haar; dem islamischen Diktum, die Haare nicht zu zeigen wurde dabei jedoch Genüge geleistet. In einem weiteren Video überklebt die Künstlerin ihr Gesicht mit so genannten «Nazaren», die gegen den bösen Blick schützen sollen, zu einer Maske voll. Dieser Schutz wird v.a. Frauen mit blauen oder grünen Augen empfohlen, da sie besonders von bösen Blicken befallen seien — so zumindest der landläufige Aberglaube in der Türkei. Im benachbarten Video joggt die Künstlerin im Wald und man kann nur erahnen, dass es sich dabei vielleicht auch um ein Davonlaufen vor den kulturellen Konventionen der türkischen Kultur handelt. In der Diaprojektion überlagert die Künstlerin Dias aus dem Familienfundus, wobei aus der Mischung der Bilder ihrer deutschen Mutter und jenen ihres türkischen Vater eine beinahe surreal anmutende Welt entsteht — und zumindest auf dieser bildlichen Ebene scheinen alle sonstigen Differenzen vergessen.

Bächli Silvia G 2010 1
Silvia Bächli, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2010, Foto: Kunsthaus Baselland

Silvia Bächli (*1956 in Baden, lebt in Basel) hat ihr zeichnerisches Werk in wechselnden Formaten und Techniken über drei Jahrzehnte hin kontinuierlich entwickelt. Zeichnen ist eine Bewegung des Sehens, der leisen Abweichungen und Verschiebungen im Gravitationsfeld ungerichteter Achtsamkeit auf Dinge und Traumnahes, die auch im Gezeichneten nicht wirklich zum Stillstand kommt. Einige Blätter sind einfach lesbar, benennbar, bei anderen liegen Namen und Worte auf der Zunge, um sich im nächsten Augenblick unwiederbringlich zu verlieren: «DAS». «Ich weiss, was ich nicht will: keine journalistischen Arbeiten, keine Dinge, die in einer andern Sprache besser gesagt werden können. Zeichnen ist Neuland betreten, und darin herumgehen. Raum schaffen und erkunden, mit den und gegen die Ränder des Papiers arbeiten.» (Silvia Bächli) Dabei ereignen sich nicht nur malerische Momente, oft scheint auch ein filmischer Blick auf Körper und Dinge oder deren Details, auf Landschaften, Gesten, Strukturen oder Verläufe wie in Stills eingefangen. Jedes Blatt hat seinen ausgewählten Ort in der Konstellation eines Raumes, so dass das Sehen immer auch zwischen den Bildern unterwegs bleibt und vielfach Beziehungen sucht, Beständigkeit im Komplexen. Und auf einmal kommt ein verwandtes Motiv wie ein Echo aus einer entfernten Ecke des Raumes zurück. Fast unmerklich treten in den neusten Zeichnungen Farbtöne auf, als zeigten sich im Schwarzweissen bislang unbekannte Nuancen. […] Schliesslich zeigt sich auch das einzelne Blatt als Prozess, indem es die Spuren des Pinsels oder des Stiftes bewahrt, mit dem Linien und Flächen gezogen sind. In der Bildtheorie beansprucht die Zeichnung einen permanenten Status der Vorläufigkeit. Zeichnungen legen Spuren auf eine Vorstellung, sie verharren dabei im Suspense. Sie bewahren aber auch die Spuren ihrer Entstehung, sind unwiderruflich gesetzt und doch verletzlich.
Text von Hans Rudolf Reust

Bailey Mia Frattini Manuel G 2010 1
Mia Bailey und Manuel Frattini, Area Studies, 2010, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2010, Foto: Kunsthaus Baselland

Die Gruppe von fünf Videos mit dem Titel Area Studies ist eine Zusammenarbeit der Künstler Mia Bailey (*1975 Bangkok, lebt in Basel, Paris und St. Blasien) und Manuel Frattini (*1968 Offenburg, lebt in Freiburg i.Br.) Der Begriff «Area Studies» (Örtlichkeitsforschung) bezeichnet die interdisziplinäre Forschung auf einem bestimmten geographischen, nationalen oder kulturellen Gebiet. Im Video Ghosts erzählt ein vermeintlicher Indianer mit deutschem Akzent über seine kriegerischen Vorfahren, bevor er auf einer Spielzeuggitarre die musikalische Tradition seines Volkes demonstriert — in Form der deutschen Nationalhymne. In Ending (Sorrow) weint ein Mann vor einer Spielzeuglandschaft, während auf einem zweiten Monitor Ending (Wheel), ein buntes Rad sich schneller und schneller dreht, bis alle Farben ineinander laufen. In Germany rezitieren zwei Männer abwechselnd eine Liste von Produkten, die in deutschen Supermärkten erhältlich sind und eine Liste deutscher philosophischer Begriffe aus einem englischen Hegel-Glossar. In Uncovering spricht eine Stimme über ein apokalyptisches Geschehen an einem unbekannten Ort, während eine Nahaufnahme auf das drehende Rad zeigt, dass der Mittelpunkt der Scheibe trotz Bewegung immer noch am schärfsten zu sehen bleibt.
Text von Mia Bailey und Manuel Frattini

Blöndal Margret G 2010 1
Margrét H. Blöndal, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2010, Foto: Kunsthaus Baselland

Die skulpturalen Installationen und Zeichnungen von Margrét H. Blöndal (*1970 in Reykjavik, lebt in Reykjavik, 2010 Laurenz-Stiftung Stipendiatin, Basel) zeichnen sich durch ihre poetische Sprache aus, die ebenso auf räumliche wie konzeptuelle Gegebenheiten bzw. Bedingungen einer (Ausstellungs)Situation eingehen. Gefundenen Materialien aus dem Alltag, Stoffe oder einzelne Objekte arrangiert die Künstlerin zu räumlichen Erzählungen. Adam Budak schreibt dazu: «Blöndal’s fragile sculptural arrangements bear a quality of nomadic, almost personified objects, always on the move, in a search for their proper place and identity in the crowd of formal noise and randomness.»

Bringolf Maya G 2010 1
Maya Bringolf, Camouflage, 2010, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2010, Foto: Kunsthaus Baselland

Die jüngsten Werke von Maya Bringolf (* 1969 in Schaffhausen, lebt in Basel und Zürich) umkreisen die thematische Bandbreite von Körper / Körperdeformation, Künstlichkeit / Natur, Schönheit / Hässlichkeit und Fragilität / Monstrosität. Sie sind skurril, manchmal humorvoll, lösen aber gleichzeitig Unbehagen aus. Das räumlich skulpturale Arrangement für die Ausstellung im Kunsthaus Baselland zeigt den Abguss eines weiblichen Körpers, gepaart mit Beinen, die aus gedrechselten Stangen alter Möbeln zusammengesetzt sind; einen Armabguss, der die Proportionalität des vorgegebenen Körpers überschreitet und an der Schnittstelle auswuchert; eine scheinbar barocke Halskrause und einen in Falten gelegten Teppich. Die Skulptur wird zu einem versatzstückhaft zusammengestückelten Zitat für Körperlichkeit, die sich gleichzeitig in einem bürgerlich-bourgeoisen Ambiente wiederfindet. Bringolfs Inszenierung wird zu einem körperlichen und assoziativen Spielraum, in welchem Leichtes mit Schwerem, Bekanntes mit Unbekanntem und das vermeintlich Normale mit dem Anormalen verschmilzt.

Brunner Brugg Peter G 2010 1
Peter Brunner-Brugg, Teile zu einem möglichen Ganzen, 2010, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2010, Foto: Kunsthaus Baselland

Seit Jahren arbeitet Peter Brunner–Brugg (*1946 in Brugg, lebt in Basel) mit Wellpappe. Minutiös und sorgfältig baut er daraus komplizierte Skulpturkörper und Reliefs. Formal erinnern die Arbeiten an die Tradition der Konstruktiven und Konkreten Kunst.[…] Karton ist billig, empfindlich und vor allem äusserst ephemer. Kein Material, das man mit Skulptur assoziiert, sondern ein Werkstoff, der die Dauerhaftigkeit als Kriterium für künstlerische Qualität hinfällig werden lässt. Ein Werkstoff also, der herkömmliche Wertvorstellungen in Frage stellt und subversive Qualitäten entwickelt. […] Brunner-Brugg arbeitet mit parallelen Lesarten und inhaltlichen Pointen. Reliefs werden auf den zweiten Blick zu Hausfassaden, abstrakte Formen zu Architektur. […] Die Dualität zwischen abstrakter Skulptur und architektonischem Modell beschäftigt Brunner-Brugg seit einigen Jahren.
Text von Claudia Spinelli

Cogitore Clement G 2010 1
Clément Cogitore, Scènes de Chasse, 2010, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2010, Foto: Kunsthaus Baselland

Clément Cogitore (*1983 in Colmar, lebt in Strassburg und Paris) greift in seinem Video Scènes de Chasse auf die Geschichte der Überwachungstürme an der österreichisch-ungarischen Grenze zurück. Im Jahre 1989, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, begann der Staat Österreich mit dem Bau von 146 Überwachungstürmen mit dem Ziel, die illegale Immigration zu bekämpfen. Die Operation trug den Titel operation limes in Anlehnung an die römischen Befestigungsanlagen, welche das Empire vor den Barbaren beschützen sollten. Als 2007 Österreich und Ungarn das Schengen Abkommen unterzeichneten, wurden die Überwachungstürme obsolet und ein Jahr später in einer ungewöhnlichen Auktion versteigert. Der Künstler filmte die neuen Besitzer der Wachtürme, meist Jäger, und thematisierte deren neue Nutzung. «At the gates of the empire this film is about fortress, landscape, metamorphosis and the ability of the political, social or military power to turn a human being into game when it feels or assumes its borders threatened.» (Clément Cogitore)

David Enrico G 2010 1
Enrico David, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2010, Foto: Kunsthaus Baselland

«In den Skulpturen, Gouachen, Stickereien, Fotografien und Installationen von Enrico David (*1966 in Ancona, lebt in London, 2010: Stipendiat der Laurenz Stiftung, Basel) findet sich ein breites Spektrum an kulturellen Referenzen und Bezugssystemen. Es umfasst unter anderem Arte Povera, Assemblage, Bühnenbilder und Designmotive aus den 1920er- und 30er-Jahren, so wie zahlreiche literarische Quellen und Elemente aus der Tradition des Handwerks. Die Arbeiten sind gekennzeichnet von rätselhaften Darstellungen des Körpers, die verzerrt oder in Fragmente zerlegt, Ausdruck der Unmöglichkeit einer körperlichen Einheit sind. Verschiedene Elemente fügen sich zu einem Rest zusammen, einem Kopf, Gliedmass oder einer unbestimmbaren Schwulst.» (Auszug aus dem Pressetext des Museums für Gegenwartskunst Basel)

Für seine Vitrine in der Regionale-Ausstellung greift er auf ein Pinboard zurück, das ihm überlassen wurde und arrangiert gefundene Bilder, die ein spezifisches Verhältnis zu einem Gegenpart aufweisen. Wir finden zwei getrocknete Rosen, das Bild eines Pudels neben einer Holzmaske, eine Hand gegenüber einer mundartigen Form voll mit Haaren bedeckt oder die Postkarte von zwei Fechtern. Enrico David gibt Einblicke in ein persönliches Universum und lässt trotzdem die jeweilige Lesart offen.

Feldmeier Sonja G 2010 1
Sonja Feldmeier, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2010, Foto: Kunsthaus Baselland

«Das Arbeitsmaterial von Sonja Feldmeier (*1965, lebt in Basel) ist ihr Bildarchiv: ein beständig wachsender Fundus von stillen und bewegten, eigenen und fremden Bildern, der während vieler Reisen und den Aufenthalten in mehreren internationalen Grossstädten. […] angesammelt und archiviert wurde. Eine Art Wühlkiste oder systematischer Bildatlas, aus dem geschöpft und immer wieder neu zusammengestellt werden kann — die Welt im Koffer sozusagen. Das Bild interessiert Feldmeier nicht als Kunstwerk per se, sondern, im Plural, als eine Art universeller Code zur Vermittlung von Realität und ihrem Verständnis.» (Eva Scharrer)

In der Ausstellung zeigt die Künstlerin ihr neuestes Video Real India, bei dem unser Blick vom Detail eines farbenprächtigen Kleidungsstückes langsam hin zum ganzen Bild geleitet wird. Eine Ziege, die dieses Kleidungsstück trägt, steht vor einem Motorrad. Der Kopf der Ziege steht jenem des Motorrads gegenüber — am ersten Blick erscheint uns das Bild einer Chimäre, das sich am zweiten auflöst und die Gegensätze von traditioneller Lebensweise mit der modernen paart.

Födinger Karsten G 2010 1
Karsten Födinger, Ohne Titel, 2010, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2010, Foto: Kunsthaus Baselland

«Einfache Baumaterialien und die Auseinandersetzung mit dem Raum dienen Karsten Födinger (*1978 in Mönchengladbach, lebt in Karlsruhe) als Ausgangspunkt für seine künstlerische Arbeit. Er reagiert auf ausgesuchte Räume, provoziert durch seine gezielten Eingriffe neues Wahrnehmen und erschliesst damit unentdeckte Perspektiven und Potentiale. Seine vor Ort realisierten Arbeiten treten in einen spannungsreichen Dialog mit der Architektur und vorgefundenen Materialien.» (Margit Fritz)

Im Kunsthaus Baselland ergänzt er eine ‹angeschnittene› Wandkante wieder zu, so als ob die als fehlerhaft lesbare Architektur eine Korrektur erfahre und rechteckig gemacht wird, was eigentlich schon ursprünglich so sein sollte. Ebenso wird ein offen zur Schau gestellter ‹T-Träger› mit Putz angeworfen, der meist sowieso nicht sichtbar ist. Die Spuren des Wurf-Gestus bleiben sichtbar und stehen nicht zuletzt auch für eine künstlerische Signatur, eine Handschrift. Als dritten Eingriff verbindet Födinger zwei Eisensäulen, deren vorgefundene Öffnungen eine Verbindung ein ‹Einhaken› zu evozieren scheinen. Eine weitere Arbeit greift auf eine Methode von Baustellen in Abbruchhäusern zurück: Vorhandene Waschbecken werden dort nicht mehr abmontiert, sondern schlichtweg zerschlagen. Der Künstler zitiert diesen Vorgang und kehrt ihn in eine Geste des klassischen skulpturalen Wegnehmens von Material. Dabei legt er wiederum innere Systeme des Objekts frei und erneut eröffnen sich ungeahnte Perspektiven.

Frey Marcel G 2010 1
Marcel Frey, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2010, Foto: Kunsthaus Baselland

«In Marcel Freys (*1980 in Mönchengladbach, lebt in Karlsruhe) Arbeiten wird die strikte Trennung von Malerei und Objekt aufgehoben. Komposition, Strukturierung und Hell-Dunkel-Kontraste verleihen seinen Bildern räumlichen Charakter. […] Dabei interessieren Frey sowohl die Möglichkeiten des Objekthaften in der Malerei als auch die malerischen Qualitäten seiner gefundenen Objekte — darunter gläserne Lampenschirme und Bowlendeckel.» (Maike Stricker-Ernst)

Im Kunsthaus Baselland verwendet der Künstler als reale Motivvorlage Bambusvorhänge, die übersprayt werden und so illusionistische Wandbilder hinterlassen. Überall dort, wo ein realer Ausgang vorhanden ist, öffnet Frey zumindest auf illusionistische Weise das Pendant dazu. Es ist die Idee der Abbildung eines Objekts, das mit sich selbst dargestellt wird, welche Frey verfolgt. Die ursprüngliche Materialität des Ausgangsmaterials wird in eine andere überführt: Bild und Abbild stehen sich konzeptuell gegenüber.

Heitz David G 2010 1
David Heitz, Motive (Projektion), 2010, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2010, Foto: Kunsthaus Baselland

«So lapidar die Arrangements von David Heitz (*1983 in Wurmberg, lebt in Karlsruhe) erscheinen mögen, so rigoros verlangen sie dem Betrachter eine Schärfung seines Blickes ab, wenn er denn bereit ist, sich auf diese Arbeiten einzulassen. Denn oft beginnt die Auseinandersetzung bereits mit der Identifizierung eines Werks als solches, zumal der Künstler auf die räumlichen Gegebenheiten des jeweiligen Ausstellungsortes sensibel reagiert, sich in diese beinahe einschreibt und dabei gerade durch seine zurückgenommenen Interventionen gewisse Irritationsmomente in Szene setzt.» (Naoko Kaltschmidt)

David Heitz hat in den letzten Jahren immer wieder Arrangements mit tischähnlichen Objekten inszeniert oder Tische als Träger von Fotografien verwendet. Der Künstler hat seit 2002 ein Archiv an Fotografien angelegt, die in unterschiedlicher Verbindung und verschiedener Kombination zum Einsatz kommen können. Im Kunsthaus Baselland zeigt er 17 in SW gehaltene Mittelformatdiapositive, die rhythmisiert und mit ausgewählten Pausen gezeigt werden. Für die Auswahl war die jeweilige offene Lesbarkeit der Bilder ebenso wichtig, wie ihre formale Aneinanderreihung. Auch für diese Präsentation hat der Künstler eigens ein Gestell gebaut — wohl wissend, dass der Projektor selbst und sein Träger im Raum ebenso präsent sind wie die Bilder selbst.

Hiepler Esther G 1
Esther Hiepler, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2010, Foto: Kunsthaus Baselland

Vorläufige Komposition der Künstlerin Esther Hiepler (*1966 in Stuttgart, lebt in Basel) vereint Fotos, Zeichnung, Malerei und ein Video. Bei allen Werken spielen Zufall und Offenheit in der Bildfindung eine wichtige Rolle. Durch die Hängung entstehen Verbindungen, so dass der Blick von einem Bild zum Nächsten springen kann. Die Fotos aus Sammlung: Weiss zeigen im Alltag gefundene Kompositionen in der Farbe Weiss. In den Fotos aus Sammlung: Schläuche/Gewirr führen Schläuche oder Kabel durchs Dickicht. Als Gesten gehen diese Linien in den Zeichnungen weiter. Im Video Bilder würfeln, bestimmt die Lage der gefallenen Würfel die Form des Flecks, der darum herum gemalt wird. Diese Geste kann als Impuls gesehen werden für eine vorläufige Komposition, welche wie in einem Spiel immer weitergehen kann, mit den unterschiedlichsten Medien. Bei allen Werken spielen Zufall und Offenheit in der Bildfindung eine wichtige Rolle. Durch die Hängung entstehen Verbindungen, so dass der Blick von einem Bild zum Nächsten springen kann.

Himmelsbach Rut G 2010 1
Rut Himmelsbach, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2010, Foto: Kunsthaus Baselland

«Rut Himmelsbach (*1950 in Zug, lebt in Basel) bewegt sich unfestlegbar im Zwischenbereich fast aller Medien bildender Kunst, von der Photographie über die Malerei bis zur Objektkunst. Hierbei geht es ihr weniger um das Erforschen der diversen Medien, sondern um deren wechselseitige Vernetzung innerhalb meist mehrteiliger Arbeiten. Das Zusammenführen unterschiedlichster Realitätsbereiche und –ebenen ist ihre Absicht. So zählen die einzelnen Elemente eines Werkes nur wenig, für sich betrachtet sind sie ohne grosse Bedeutung, worauf es ankommt, ist der Zusammenhang zwischen ihnen.» (Matthias Haldemann)

In der Ausstellung im Kunsthaus Baselland inszeniert die Künstlerin Fotografien hinter einer Bretterwand, die stellenweise von hinten beleuchtet wird. Erst beim genauen Hinsehen entdeckt man die Löcher im Bretterarrangement, die detaillierte Blicke auf die Fotografien freigeben. Einzelne Objektkonstellationen am Boden stellen andere ungeahnte Betrachtungsmöglichkeiten her, die oftmals durch Witz und Humor geprägt sind. Das Schnittzeichenmuster eines Mantels auf Papier wird mit einem verkleinerten Model aus Glas kontrastiert. Wie Wunsch und Realität stehen sich die beiden gegenüber und könnten auch als Sinnbild des Lebens gelesen werden. «Rut Himmelsbach bleibt wie eine Nomadin stets unterwegs mit den Dingen ihrer und unserer Welt, die sich unaufhaltsam fortbewegen, endloses Mitgehen und Suchen nach neuen, den Veränderungen angepassten Verbindungsmöglichkeiten erfordern, ohne dass ein richtungsbestimmtes Ziel dieses Sich-Orientierens auszumachen wäre.» (Matthias Haldemann)

Hueber Karin G 2010 1
Karin Hueber, Ausläufer, 2010, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2010, Foto: Kunsthaus Baselland

«Wie Mobiliar, nur ohne gewohnte Funktionen, erscheinen einige der neueren Arbeiten Karin Huebers (*1977 in Zwingen, lebt in Basel und Rotterdam). Auf der Zoo Art Fair in London zeigte sie im letzten Jahr ein skulpturales Objekt, das an einen mit Spiegeln besetzten, halb aufgeklappten Paravent oder einen fast dekonstruktivistisch anmutenden dreieckigen Schrank erinnert. Verspiegelte, bewegliche Flügelelemente lassen weder den Betrachter noch dessen Umgebung vollständig im Bildwerk erscheinen. Nähe und Distanz halten ein labiles Gleichgewicht. Die so erzeugte Segmentierung des Blicks manifestiert sich zudem in der Form des Baukörpers selbst. Er scheint durch seine Faltungen von keiner Seite her in seinen Ausmassen fassbar. Allein eine unverspiegelte Nische oder Öffnung lässt Rückschlüsse auf die Statik des Objekts zu und ermöglicht dem Betrachter, ihm ‹unreflektiert› gegenüberzutreten oder sich in ihm zu verbergen. Das Innen und Außen architektonischer Räume und deren Wirkung auf den Betrachter ist zentrales Anliegen in Huebers Werk. Ihre Objekte und Interventionen fungieren dabei wie Vergrösserungs-, Kipp- oder Zerrspiegel und ermöglichen dem Betrachter sich selbst nebst dem ihn umgebenden Raum facettenreich — mal spielerisch, mal streng mathematisch abstrakt — zu reflektieren.» (Sören Schmeling)

In der Ausstellung zeigt Hueber zusätzlich zur paraventartigen Installation eine Bildreihe, die aus mehreren übereinander gefalteten Zeitungen besteht, die allesamt auf die Formatgrösse der Basler Zeitung orientiert sind.

Hummel Cécile G 2010 1
Cécile Hummel, Wunsch-Ordnungen, 2010, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2010, Foto: Kunsthaus Baselland

Bei Cécile Hummel (*1962 in Basel, lebt in Basel) sind Zeichnen und Fotografieren gleichermassen experimentelle Formen. […] Hummels künstlerische Praxis — Zeichnen und Fotografieren — fokussiert den Vorgang des Sehens selbst: Der seismische Charakter der Zeichnung lässt sich auf den dokumentarischen Index der Fotografie ein und beide scheinen die Möglichkeit authentischer Darstellung zu thematisieren. Soll die Fotografie in der gängigen Auffassung auf einen bestimmten Blick von äusseren Erscheinungen rekurrieren und diesen festhalten, sucht die Zeichnung den Fokus auf die inneren Vorgänge zu richten und diese zu erkunden. In den Arbeiten von Cécile Hummel verlagern sich gerade diese Zuschreibungen mit jedem weiteren Bild: In vielen Zeichnungen wird durch die Grauwerte der Gouache und das Übereinanderzeichnen ein Prozess des Analysierens von Gegenständen, Räumen und Erinnerungsvorgängen sichtbar. In diesem Sinne verspricht die Zeichnung das Dokumentieren von inneren und äusseren Bildern sowie ihrer unterschiedlichen materiell fingierten Zustände. Dahingegen schälen manche Fotografien das Subjektivistische geradezu heraus: Davon sprechen die Wahl der Ausschnitte, der Standpunkt und damit die Präsenz der Fotografierenden sowie die aufgenommenen Orte, Plätze und Strassen, die durch das Fotografische zu Bildern des Traums und des Begehrens werden.
Text von Maja Naef

Husson Mathieu G 2010 1
Mathieu Husson, A coup sur, 2006, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2010, Foto: Kunsthaus Baselland

In seiner Arbeit A coup sur! stellt Mathieu Husson (*1980 in Strassburg, lebt in Strassburg) ein Objektensemble bestehend aus einem gläsernen Baseballschläger und einer Baseballkugel aus Metall zusammen. Dieses im Sport zusammengehörende Paar wird in dieser Arbeit durch die ungewohnte Materialität massiv in seiner Selbstverständichkeit gebrochen. Würde der Schläger den Ball treffen, ist klar, dass der Schläger selbst zu Bruch gehen würde. Mathieu Husson stellt in diesem Werk die Frage nach Schwäche und Stärke und gibt zu bedenken, dass manchmal auch der vermeintlich Schwächere zum Stärkeren werden kann. Für ihn hat die Arbeit auch eine politische Note, die das Kräfteverhältnis zwischen Politik und Bevölkerung relativiert. Der angeblich sichere Schlag bzw. der «Home Run» ist in dieser Arbeit alles andere als sicher.

Kretschmann Schirin G 2010 1
Schirin Kretschmann, If you're lucky, your car is red, 2010, Kunsthaus Baselland 2010, Foto: Kunsthaus Baselland

Schirin Kretschmann (*1980 in Karlsruhe, lebt in Basel und Berlin) arbeitet an einer Erweiterung der Malerei zum bewegten Bild sowie in den dreidimensionalen institutionellen und öffentlichen Bildraum. Ihre Recherchen werden vom Interesse geleitet, Raum zu verstehen, Formen der räumlichen Aneignung zu untersuchen und raumzeitliche Dimensionen unserer Wahrnehmung begreifbar zu machen. Die Arbeitsweise mit Farbe ist einer Idee der Betrachter- und Situationsabhängigkeit verpflichtet und widersetzt sich sowohl konventionellen Auffassungen von Malerei als auch einer damit verbundenen Idee ästhetischer Werkautonomie. Während der Ausstellung findet die handlungsbezogene Arbeit If you’re lucky, your car is red statt. Dabei werden im Innenraum in Fensternähe 20 identische rote T-Shirts auf einem Sockel gestapelt. Zur Eröffnung und zu bestimmten Zeiten im Verlauf der Ausstellung reist die Künstlerin an und tauscht ihr eigenes T-Shirt gegen eines der roten T-Shirts im Ausstellungsraum aus. Das eigene T-Shirt wird als Putzutensil für eine Aktion verwendet, bei der mit Glasreiniger alle roten Autos geputzt werden, die sich zum jeweiligen Zeitpunkt auf den sichtbaren Parkplätzen vor dem Kunsthaus Baselland befinden. Anschliessend werden die Putzutensilien zurück in den Ausstellungsraum getragen und beiläufig neben dem T-Shirt-Stapel platziert. Das rote Hemd geht in den Besitz der Künstlerin über. Die Aktion wird fortlaufend dokumentiert und zum Ende der Ausstellung ein Leporello gestaltet. Aus den gebrauchten Kleidungsstücken wird nach der Ausstellung eine Edition hergestellt, die mit dem Leporello käuflich erworben werden kann.

Levi Renée G 2010 1
Renée Levi, Ohne Titel, 2010, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2010, Foto: Kunsthaus Baselland

«Renée Levis (*1960 in Istanbul, lebt in Basel) Spray-Arbeiten, die den wichtigsten Werkkomplex der letzten Jahre bilden, entstehen aus dem inneren Dialog zwischen Levi, der Künstlerin, und Levi, der ausgebildeten Architektin mit dem Seitenblick auf soziokulturelle Kontexte. Der Dialog aus doppelter Perspektive ist analytisch und emotional, entscheidend für die stets selbstbewusste Präsenz ihrer grossen markierenden Interventionen. […] Diese Kunst passt sich nicht domestiziert ihrer Umgebung an, sondern wirkt deutlich verändernd auf deren Identität ein. Neue Räume werden aufgetan, keine illusionistischen Bildräume, sondern Raumbilder und Farbräume, stimulierende Reizzonen, Kräftefelder, energiegeladene Denkräume. Levi erzeugt sie mit dem Instrument der Spraydose, die sie in einem gleichsam tänzerischen Vorgang und mit einem, in variablen Rhythmen vollzogenen Duktus führt. Während des körperlich performativen Akts bespielt sie in wenigen Stunden weite Wandflächen, Paneele oder Papierbahnen. So klein der Aufwand an Zeit und Material, so gross die Wirkung. Die Arbeiten sind Würfe, Würfe im wörtlichen Sinn, denn mit der Sprühkraft des Treibgases setzt sich die Farbe schwebend leicht auf die Oberfläche der Malgründe auf, auch auf solche, die keinen Pinselauftrag halten würden. Ein Charakter der Vorläufigkeit und Vergänglichkeit haftet diesen Strukturen aus Luft und Farbe an, als wollten sie nicht ewig und unwandelbar einen Ort besetzen, als wären sie schwerelos wie fliegende Teppiche vorübergehend an einem geeigneten Ort gelandet.» (Jacqueline Burckhardt)

Seit 2010 arbeitet Renée Levi mit anderen experimentellen Malereiutensilien, wie Putzlappen, die aufgespannt zum Pinsel werden. Mit ihnen führt sie fort, was im gesprayten Bild seit vielen Jahren zum Einsatz kam.

Marinov Antoanetta G 2010
Antoanetta Marinov, Ohne Titel, 2010, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2010, Foto: Kunsthaus Baselland

Antoanetta Marinovs (*1971 in Latina/Italien, lebt in Karlsruhe) Arbeiten sind immer wieder stark mit ihrer unmittelbaren Umgebung, der Architektur oder dem Alltag verwurzelt. Häufig fügen sich ihre Interventionen so leicht in das Vorhandene ein, dass erst der genaue Blick die Abweichung offenlegt. Im Kunsthaus Baselland fiel ihr Blick auf den architektonisch dominierenden Treppenbereich, der jeweils von Haltestangen flankiert ist, so dass ein sicherer Auf- und Abstieg ermöglicht wird. Die Künstlerin verlängert diese an zwei Stellen und schafft so minimale Eingriffe, die den Ausstellungraum nur unmerklich verändern. In einer weiteren Arbeit versuchte die Künstlerin ohne Hilfsmittel aus blauem Papier A5 Formate zu schneiden. Das Ergebnis zeigt eine Bildserie, die sich ähneln und doch von einer individuellen Handschrift geprägt sind.

Mathis Muda Zwick  Sus G 2010 1
Muda Mathis / Sus Zwick, Das Prekäre des Vertikalen, 2009, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2010, Foto: Kunsthaus Baselland

Das Künstlerpaar Muda Mathis / Sus Zwick (*1959 in Zürich/*1950 in Fribourg, leben in Basel) ist seit langem durch ihre Performances, Videos und Installationen bekannt. Sie arbeiten sowohl zu zweit als auch in wechselnden Formationen mit weiteren Künstlerinnen. Die bekannteste Gruppierung nennt sich Les Reines Prochaines. «Uns inspiriert das Physikalische, Philosophische, Alltägliche, das Mythologische, Absurde, Pop und die Kulturgeschichte», schreiben sie auf ihrer Website. Die Fotografie Das prekäre des Vertikalen entwickelten Mathis/Zwick für das Foyer des Stadttheater Winterthur. Platziert im Aussenraum des Kunsthaus Baselland erfährt die Arbeit eine weitere, von den sie umgebenden Bäumen interferierende Lesewendung. «Das Bild ist komplett konstruiert, es deutet viele Dinge an, es nimmt so zusagen Begriffe in den Mund und stellt sie leicht verschoben zu einander. Das Bild ist erzählerisch ohne ein Geschichte zu erzählen. Es kreiert eine geheimnisvolle fast sakrale Atmosphäre, obwohl nur ganz gewöhnliche alltägliche Dinge die Szenerie beleben. Trotzdem scheint nichts normal. Die Beine sind zu gross, die Türe zu gelb, die Tasse zu entfernt zum Krug, die Lampe wird zum Mond, der Innenraum ist Aussenraum zugleich, der Tag wird zur Nacht. Die Frau im roten Kleid guckt hinter den grossen Beinen hervor, als wären es Kulissen. Die Bretter, die die Welt bedeuten sind vertikal, das Licht spritzt von hinten hinein. Die Türe verweist auf etwas Anderes das ausserhalb liegt, im Vordergrund monumentale Beine. Das Beckettsche Theater findet im dunklen verstaubten Estrich statt. Wir sehen Dimensionsverschiebungen, die das Reale fiktiv werden lassen.» (Muda Mathis / Sus Zwick)

Müller Claudia U Julia G 2010 1
Claudia und Julia Müller, Habitus vs. Habitat, 2009/2010, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2010, Foto: Kunsthaus Baselland

«Das Werk von Claudia und Julia Müller (*1964 und *1965, leben in Basel) hat sich aus der Zeichnung auf Papier entwickelt, jedoch schon seit Mitte der 1990er Jahre den Raum erobert. Riesige Wandzeichnungen verwandeln in Kombination mit Collagen und skulpturalen Objekten, mit Video oder Alltagsgegenständen die Ausstellungsräume in vielschichtige Erzählräume. Ausgehend von einem Fundus an medialen Bildern und Fotos, zu denen auch eigene Familienfotos gehören, haben sie ein Oeuvre entwickelt, das humorvoll und kritisch zugleich kulturelle Kontexte untersucht und Fragen nach den Mechanismen von Identitätsbildung und Prägung stellt. […] Dabei geht es stets um Beziehungen, Verhaltensmuster, Posen und Rollenspiele, um die Annäherung an den Anderen. Die Künstlerinnen schaffen mit einem anthropologisch sensibilisierten Blick bühnenartige, allegorische Inszenierungen, in denen sich die menschliche Sehnsucht nach naturnahen Spiel- und Lebensformen spiegelt und manifestiert.» (Beate Ermacora)

Den zentralen Raum in ihrer Wandinstallation nimmt eine monumentale Rückenfigur ein, die sich selbst umarmt. Umgeben wird sie von farbigen Linien, welche die Bewegungsandeutung und Dynamik der Figur zuspitzen. Hinzu kommen weisse Gipsreifen, die an die Säulen gelehnt, sowohl an Hula-Hoop Spiele der Kindheit als auch an eine kompositionelle absolute geometrische Form erinnern.

Nussbaum Guido G 2010 1
Mitte: Guido Nussbaum, Spielball Erde, 2010, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2010, Foto: Kunsthaus Baselland

Guido Nussbaum (*1948 in Muri, lebt in Basel), versteht künstlerisches Schaffen als einen Prozess permanenter Reflexion über Kunst. Für ihn erschöpft sich Kunst nicht in der Findung eines eigenen, unverwechselbaren Idioms. Konsequenterweise mag er sich auch nicht auf ein einzelnes Medium festgelegen. In seiner künstlerischen Arbeit bedient sich Guido Nussbaum ebenso sehr der Malerei wie der Fotografie, der Skulptur wie auch der Video-Installation. Mit einer künstlerisch vermittelten Reflexion über Entstehungs- und Rezeptionsweise eines Bildes ordnen sich Nussbaums Gemälde in den Zusammenhang konzeptueller Kunst ein. Im Unterschied zu der kühlintellektuellen Tendenz reiner Ideenkunst trägt Nussbaum seinen Kommentar in sinnlicher Form, im wahrsten Wortsinn mit viel ‹Fleisch› vor. Zum sinnlichen Genuss von Nussbaums Reflexions-Arbeit verleitet vor allem, neben dem ironisch-augenzwinkernd verstandenen Bildmotiv die bravourös vorgeführte Malerei.
Text von Martin Schwander

Obert Natalie G 2010 1
Natalie Obert, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2010, Foto: Kunsthaus Baselland

«Natalie Obert (*1981 in Villingen, lebt in Karlsruhe) interessiert sich für Räume und Materialien, in denen das menschliche Leben Spuren eingeschrieben hat. Das Zuhause, individuelle Räume und die öffentliche Architektur bilden dabei meist den Ausgangspunkt ihrer künstlerischen Arbeit. Durch die intensive Auseinandersetzung mit unseren Lebensräumen und die Transformation der verwendeten Materialien und Formen entstehen eigenständige Arbeiten.» (John Bock)

Ihre speziell für den Aussenraum des Kunsthaus Baselland produzierte Arbeit nimmt auf die unmittelbar in der Umgebung gefundenen Materialien Bezug. Ein Maschendraht findet ebenso Einsatz wie Betonpfosten, die Kunsthaus Baselland von der benachbarten Betonfirma gekauft wurden, um die Absperrung zur Kantonsstrasse zu markieren. Ihre Arbeit präsentiert sich als collagierte Skulptur, die gleichzeitig an Architektur erinnert. Auch in der Arbeit petite maison, im Innenraum des Kunsthaus Baselland, wird Vertrautes mit Unbekanntem vermischt. Die Installation bestehend aus diversen Blumenkästen mit vertrockneten Pflanzen und einem Türschmuckarrangement entfaltet in ihrer fragmentarischen Zusammensetzung eine besondere Sinnlichkeit, die beim Betrachter Erinnerungen wachrufen. Den einzelnen Objekten und Gegenständen liegt scheinbar ein gemeinsamer, kultureller Erlebnishorizont zu Grunde, sie öffnen aber in ihrem neuen Arrangement auch ganz persönliche Erinnerungsräume.

Oderbolz Edit G 2010 1
Edit Oderbolz, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2010, Foto: Kunsthaus Baselland

Edit Oderbolz (*1966 Stein am Rhein, lebt in Basel) setzt vordergründig das geometrische Formenvokabular und mathematisch klare Konzepte des Konstruktivismus fort, wie sie sich seit den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts in Russland, im Bauhaus oder bei de Stijl manifestierten. Eine Glasscheibe ist dicht vor die Wand gesetzte, eine zweite lehnt lediglich an ihr. Beide bilden einen Winkel, unter dem sich ein Hohlraum bildet. Es entsteht eine Art Schaukasten, der von allen Seiten einsehbar ist und sowohl den Zwischenraum wie die dahinter liegende Wand präsentiert. Es entstehen reduzierte Arbeiten von grosser Präzision, mit Sinn für Harmonie und Proportion. Über diese formalen Bezüge hinausgehend füllt sie ihre gläsernen ‹Vitrinen› mit im bisherigen Zusammenhang fremd anmutenden Materialien und Objekten.
Text von Sabine Mila Kunz

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Senam Okudzeto, Capitalism and Schizophrenia, 2003—2010, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2010, Foto: Kunsthaus Baselland

In ihrer Arbeit Capitalism and Schizophrenia greift Senam Okudzeto (*1972 in Chicago/USA, lebt in Basel, Accra, London und New York) die Überbleibsel eines seit 2002 verschwundenen und von Interpol gesuchten Schweizer Betrügers auf. Neben rund 200 Business-Selbsthilfebücher wurden in seiner Wohnung gefälschte Verträge, Briefe mit Aufzeichnungen seiner Aktivitäten und Tagebuchnotizen hinterlassen. Die Künstlerin stellt die Buchumschläge mit den oft absurden Titel neben den neurotischen Kritzeleien in einer Vitrine zur Schau. Die gesammelten Objekte bezeugen sowohl die Instabilität der Person, als auch die Fragilität der globalen Märkte. Diesem Stimmungsbild gegenüber stellt Okudzeto ein Archiv von elektronischen, so genannten «419 Scams» (auch «Nigerian scams» oder «West african scam» genannt), die vermeintlich von afrikanischen Geschäftsleuten, Politikern oder Funktionären mit der Einladung, ihnen beim Weisswaschen des Geldes zu helfen, in den Westen versendet werden. Der Erfolg dieser Briefe (gemäss NY Times wurden amerikanische Bürger pro Jahr mit diesen Emails um ca. 100 Millionen Dollar erleichtert) — sozusagen Beleg für eine spezifisch afrikanische Unehrlichkeit — wird der westlichen (Schweizer) Unredlichkeit gegenübergestellt. Es geht jedoch nicht um die Darstellung eines Konflikts der Nationen, sondern vielmehr um die zunehmend problematischen Entwicklungen des globalen Finanzsystems (Spekulation, Korruption, Gier nach schnellem Geld...).

Rieder Maja G 2010 1
Maja Rieder, Ohne Titel, 2010, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2010, Foto: Kunsthaus Baselland

«Maja Rieders (*1979 in Niederbipp, lebt in Basel) Arbeiten entstehen anhand fotografischer Vorlagen. Sie stellen meist Architektur dar: Von Abbildungen ganzer Gebäudeflächen bis hin einzelnen Architekturdetails. Für ihre Zeichnungen wählt Rieder einen Ausschnitt der Fotografie, um diesen anschliessend in mehreren Schritten in eine neue Komposition umzusetzen. Ihre Auswahl trifft sie auf Grund von ästhetischen Aspekten, wie beispielsweise reduzierte klare Formen, ein spezieller Lichteinfall oder von Leichtigkeit durchflutete Fensterelemente. Mit Hilfe eigenes Rastersystems, das die Künstlerin über die Vorlage legt, wird dem Ausgangsbild eine klare geometrisch-metrische Struktur verliehen.» (Tina Balint)

Ihre Wandinstalltion im Kunsthaus Baselland ist speziell auf die 12 m Wand konzipiert und besteht aus zwölf Teilen Plotterpapierrollen, deren standardisierte Breite die zur Verfügung stehende Wandfläche ausfüllt. Als Ausgangspunkt für die Gesamtkomposition diente die Höhe der Brüstungsmauer neben der Treppe. Die zwölf Papierbahnen wurden am Boden so lange aus- und übereinander gelegt bis eine Fläche entstand, die vollständig mit Graphitpulver eingerieben werden konnte. Durch die Überlagerung der Bahnen und ihr Auseinanderziehen wurden die weissen Felder sichtbar.

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Hinrich Sachs, Ethidium Gould, Goldin+Senneby und Jochen Schmith, Galanight of the Cannibals, 2008, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2010, Foto: Kunsthaus Baselland

Mit seinen Templates aus Plexiglas hinterfragt Hinrich Sachs (*1962, lebt in Basel) die Erwartungen eines wiedererkennbaren künstlerischen Stils, einer Handschrift. Die ausgestanzten Sätze sind Aussagen von Künstlern zur Kunst generell oder zu ihrer Arbeit (z.B. «Diese Tänzerin, das bin ich in ihrer Naivität oder Blindheit, der Welt gegenüber fühle ich mich ihr verwandt»). Jede der einzelnen Template-Arbeiten zeigt einen solchen prägnanten Satz, der zumeist die Begriffe «Ich» und «mein» enthält. Die Buchstaben stehen allerdings als Negativformen in der transparenten Plexiglasfläche, das Werkstück wird zur Schablone. Diese Werkgruppe bringt die parallel zu Werken kursierenden und Authentizität steigernden Aussagen von Künstlern handfest in die Ausstellungsebene, lässt deren ‹Subjektivität‹ aber zugleich als Produzierte erkennen. In der Videoarbeit Galanight of the Cannibals, die Sachs zusammen mit Ethidium Gould, Goldin+Senneby und Jochen Schmith produzierte, steht die online Welt von Second Life im Mittelpunkt. Auf dem Höhepunkt des Hypes um diese Plattform hat die Autorengruppe zweimal eine Inszenierung in Realzeit organisiert, die das Format der von Francis Picabia in den 1930er-Jahren ausgestatteten Galanächte lose aufgriff: 2005 im CAC Vilnius, anlässlich der Baltic Triennial, 2006 in der Jan van Eyck Academie, Maastricht. Die jeweiligen Räumlichkeiten waren als virtueller Nachbau in Second Life präsent, die Partys fanden weltweit gleichzeitig am jeweiligen Ort und im Netz statt. In der daraus entwickelten Videoinstallation wird neben der kritischen Aktivierung der rollenspielartigen Selbstinszenierungen und Versprechen auch der nicht hintergehbare Verbrauch von realer Lebenszeit zur — sisyphosartigen — Metapher des Loops.

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Jürg Stäuble, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2010, Foto: Kunsthaus Baselland

«Weiche Wellen, an- und abschwellende Linien, unregelmässig nach oben und unten ausschlagende Amplituden, konvexe und konkave Wölbungen prägen die Arbeiten der letzten Jahre von Jürg Stäuble (*1948 in Wohlen, lebt in Basel), ob als minimalistische Zeichnung an der Wand, als objekthafte Wand- oder skulpturale Bodenarbeiten. […] Jürg Stäuble interessiert sich nicht für eine wie auch immer ausformulierte Übersetzung eines Naturvorbilds. Ganz im Gegenteil: Die Werkentwicklung des Künstlers zeigt, dass er den Intentionen der Minimal Art verpflichtet ist.» (Markus Stegmann)

Stäubles Arbeit basiert auf geometrischen Gesetzmässigkeiten und präzisen Spielregeln. Trotz Anwendung strenger Methoden und Konzepte entstehen meist organisch oder amorph wirkende Formen und Volumen mit grossem assoziativem Potenzial.

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Gerda Steiner & Jörg Lenzlinger, Halber Hausgeist, 2008, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2010, Foto: Kunsthaus Baselland

«Gerda Steiner & Jörg Lenzlinger (*1967 Etiswil/*1964 in Uster, leben in Langenbruck) sind ein Künstlerpaar. Sie arbeiten seit 1997 an gemeinsamen Projekten. Gerda Steiner ist als Autorin raumgreifender Wandmalereien bekannt, deren geschwungene Linien und kräftige Farben an die psychedelischen Muster der 60er-Jahre erinnern. Jörg Lenzlinger hat sich auf den experimentellen Umgang mit industriell hergestelltem Harnstoff spezialisiert, der unter seiner Präparation zu bunten Tropfsteingebilden und kristallinen Landschaften abscheidet. Gemeinsam entwickeln sie grossräumige, vielteilige Installationen, kleine Wunderländer, die ihre Geschichten mit verspieltem Charme und ironischem Augenzwinkern erzählen.» (Andreas Münch)

Die Ausstellung im Kunsthaus Baselland zeigt zwei Einzelarbeiten, die jeweils von einer Maske bestimmt sind. Handygott ist aus einer afrikanischen Maske mit zahlreichen Handys anstelle von Haaren zusammengesetzt. Die Skulptur spielt sowohl mit der Omnipräsenz von Mobiltelephonen, welche die Welt erobert haben, als auch als technische Wundermittel in Teilen Afrikas eine gottähnliche Verehrung erfahren. Der Halbe Hausgeist hingegen scheint einer profaneren Welt zu entspringen. Sein Gesicht aus einer Kokosnuss geschnitzt, lächelt er an oberster Stelle der hängenden Installation dem Betrachter entgegen. Mehrere kleiner Geweihe, mit Fell überzogene Äste, Plastikfiguren, Plastikblumen, Knochen und eine Flosse charakterisieren seinen Körper. Unklar bleibt, inwiefern diese einzelnen Utensilien auch vom Geist selbst eingesetzt werden können.

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Maria Tackmann, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2010, Foto: Kunsthaus Baselland

Maria Tackmanns (*1982, lebt in Karlsruhe) Installationen sind geprägt von räumlichen Überlegungen, auf die sie in oft sehr poetischer Manier antwortet. Bezugnehmend auf den Sisal-Teppich im Kunsthaus Baselland und seine mit der Zeit erworbenen Spuren, produzierte die Künstlerin einzelne, gestrickte Flächen, die sowohl auf die Farbigkeit des Bodens als auch seine Struktur eingehen. Die einzelnen Flächen werden zu einem Gefüge addiert, auf welchen einzelne Steine platziert werden. Die weiche Unterlage wird dabei gleichsam zum Sockel. Für eine Arbeit, die man im weitesten Sinne als ‹Zeichnung› verstehen kann, trug die Künstlerin für einen halben Tag eine Kette aus geschnitzten Grafitstiften auf einer weissen Bluse. Der Halsschmuck hinterliess Spuren wie mit Bleistift gezeichnet. Maria Tackmann hinterfragt die den Materialien vermeintlich zugewiesenen Funktionen und bricht mit unseren gewohnten Sehweisen.

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Tina Z'Rotz, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2010, Foto: Kunsthaus Baselland

Tina Z’Rotz (*1970 in Stans, lebt in Basel) ist sowohl durch Musikprojekte, Performances und Kooperationen mit anderen KünstlerInnen als auch durch ihre Arbeiten in der Bildenden Kunst bekannt. In der Ausstellung zeigt sie drei aktuelle Arbeiten, die durch ihre minimale und poetische Haltung auffallen. Ensemble, so der Titel einer auf einem Sandkreis platzierten Anhäufung von Eibenholzscheiten, weist Schnitzereien auf, welche die Ansammlung der Hölzer so verbindet, dass sie als skulpturale Einheit in Erscheinung treten. Von einem mit Sägemehl überzogenen Ast wiederum baumelt ein in Farbe getränkter Faden, dessen Farbigkeit im Kontrast zum gesprayten Hintergrundskreis steht. Z’Rotz weist ihren skulpturalen Objekten jeweils eine Art Sockel in Form von gesprayten oder mit Sand ausgelegten Kreisformen zu. Auf oder vor diesen können sich die poetischen Bildkreationen entfalten. Die Titelgebung legt dabei Fährten, ohne diese jedoch unverrückbar festzulegen.