Regionale 25
1.12.2024
—
19.1.2025
Regionale Internationale
Thérèse Bolliger, Anja Braun, Lara und Noa Castro Lema, Pia-Rosa Dobrowitz, Dorota Gawęda und Eglė Kulbokaitė, Charlotte Horn, Simon Krebs, Tim Kummer, Céline Lachkar, Lena Laguna Diel, Maude Léonard-Contant, Manuela Libertad Morales Délano, Lisa Mazenauer, Jorge Morocho, Katrin Niedermeier, Ulrich Okujeni, Lou-Anne Pommé, Margherita Raso, Marion Ritzmann, Lionne Saluz, Moa Sjöstedt, Julia Steiner, Vital Z’Brun
- Thérèse Bolliger
- Anja Braun
- Lara and Noa Castro Lema
- Pia-Rosa Dobrowitz
- Dorota Gawęda & Eglė Kulbokaitė
- Charlotte Horn
- Simon Krebs
- Tim Kummer
- Céline Lachkar
- Lena Laguna Diel
- Maude Léonard-Contant
- Lisa Mazenauer
- Manuela Libertad Morales Délano
- Jorge Morocho Ibarra
- Katrin Niedermeier
- Ulrich Okujeni
- Lou-Anne Pommé
- Margherita Raso
- Marion Ritzmann
- Lionne Saluz
- Moa Sjöstedt
- Julia Steiner
- Vital Z'Brun
Auf den ersten Blick bilden die beiden Begriffe „regional“ und „international“ einen Widerspruch. Doch liesse sich dieser für Künstler*innen und ihre Handlungsräume nicht leicht auflösen? Denn hier geht das Spezifische, Einzigartige und lokal Verortete mit der weltweiten Vernetzung, Bedeutung und Wirkkraft häufig Hand in Hand. Viele Kunstschaffende tauchen für längere Zeit in neue Alltagssituationen ein, aus denen sie neue Kollaborationen, Gedanken und Werke entwickeln. Sie bringen unterschiedlichste Hintergründe mit, die nunmehr zum Wachsen und Wirken kommen.
Doch was bedeutet es, ausserhalb des eigenen kulturellen und sozialen Kontexts zu arbeiten, und wie gehen Künstler*innen mit globalen Themen und Krisen um, die heute mehr denn je eine starke internationale Zusammenarbeit und vor allem Perspektive verlangen?
Die Jubiläumsausgabe der 25. Regionale, die dieses Jahr erstmals im neuen Kunsthaus Baselland auf dem Dreispitz stattfindet, zeigt, dass hier vor Ort Künstler*innen aus unterschiedlichsten Orten der Welt wirken. Umgekehrt sind Kunstschaffende aus der Region über Residency-Programme, Ausstellungen oder Recherchereisen im internationalen Ausland unterwegs und bringen ihr Wissen und ihre Kunst an entfernten Orten ein. Sie alle agieren zeitgleich regional wie international und tragen über ihre künstlerischen Ideen und Projekte zu einem fruchtbaren Austausch bei.
Das grosse Geschenk des Voneinander-Lernens und die Qualität, die durch ihre stetige Bewegung auch die trinationale Region Deutschland, Frankreich und Schweiz bereichert, gilt es in dieser Ausgabe der Regionale hervorzuheben.
Zur diesjährigen Regionale werden in Kooperation mit dem Masterstudio Design, Industrial Design der Hochschule für Gestaltung und Kunst Basel die Masterstudierenden für den Shop des Kunsthauses explizit neue Objekte mit höchst kreativen Ansätzen entwickeln.
Die Regionale ist eine jährliche Gruppenausstellung, entwickelt im Kontext einer grenzüberschreitenden Kooperation von 18 Institutionen in Deutschland, Frankreich und der Schweiz mit dem Fokus auf lokale, zeitgenössische Kunstproduktion in der Drei-Länder-Region um Basel.

Im Zentrum von Thérèse Bolligers künstlerischer Praxis steht die Sprache. Sie erforscht in ihren multimedialen Arbeiten deren Wirkmacht und die Art und Weise, wie Sprache unser individuelles und kollektives Erleben und auch Handeln prägt. Die im Jahr 1998 entstandene zweiteilige Serie Correspondences (Meret) untersucht die Rezeption der Schweizer Künstlerin Meret Oppenheim und ihres Œuvres. Korrespondenzen zwischen der Künstlerin und den Kunstkritiker*innen Christiane Meyer-Thoss und Jean-Christophe Ammann werden einander gegenübergestellt. Indem Bolliger die kritischen Texte über Oppenheim auf ihre Essenz reduziert und einzelne Adjektive hervorhebt, rückt sie Oppenheims eigenen literarischen Sprachgebrauch in den Vordergrund. Ihre Handschrift kontrastiert die gedruckten und listenartig präsentierten Worte von Meyer-Thoss und Ammann. Thérèse Bolliger betont mit dieser Arbeit das Verhältnis zwischen Kunstschaffenden und Rezipient*innen und weist auf sprachliche Gemeinsamkeiten und Unterschiede hin. Das gitterhafte, durchscheinende Trägermaterial zeigt die Schriften bildhaft und lässt sie zugleich immer wieder verschwinden.
Correspondences (Meret) ist Teil eines umfassenden Projekts der Künstlerin, das aus textbasierten Arbeiten besteht, in denen Bolliger auf komplexe, oft unerwartete oder kontroverse Rezeptionsformen hinweist. Neben Oppenheim beschäftigt sie sich auch mit Kunstschaffenden und Schriftsteller*innen wie Robert Walser oder Bas Jan Ader, deren Werke auf widersprüchliche, doch nie abschliessend geklärte Weise diskutiert wurden und immer noch werden. Diese Widersprüche zu thematisieren und daraus eine Spur der eigenen Wahrheitsfindung zu legen, ist für Bolligers Werk zentral.

Anlässlich der Regionale im Kunsthaus Baselland stellt Anja Braun zwei Werkserien aus: Fünf kleinformatige Arbeiten aus der Werkgruppe Windows (Klingental) (2022) werden einem Werk aus Variations of Presence (2021) gegenübergestellt. Die Farbe und Spiegelung des Materials stehen im Zentrum ihrer künstlerischen Auseinandersetzung. Anja Braun arbeitet in erster Linie mit Farbpigmenten, die – mit Leim gebunden – in raschen Pinselbewegungen auf den Bildträger aufgetragen und zwischen Glasplatten eingeschlossen werden. Manchmal bemalt die Künstlerin auch das Vorderglas. In der Überlagerung der Farbtöne entstehen sowohl harmonische als auch irritierende Momente, in denen das Zarte auf das Grelle, das Helle auf das Dunkle trifft. Durch die Spiegelung können die Rauminstallationen als Fenster verstanden werden, die kontinuierlich sich verändernde Momentaufnahmen schaffen. Im Zusammenspiel von Bewegung und Licht werden Betrachter*innen direkt in die Werkbetrachtung einbezogen. Die Reflexion der eigenen Silhouette und des Ausstellungsraums wirkt destabilisierend und betont die Zeitlichkeit, aber auch die Subjektivität unseres Wahrnehmens, Erlebens und Erfahrens im Hier und Jetzt.

Die Performance A couple of years (Un par de años) von Lara und Noa Castro Lema untersucht das Verhältnis von Fakt und Fiktion. Im Projekt erinnern sich die Schwestern an die vergangenen zwei Jahre ihres Lebens und erzählen fragmentarisch von Freuden und Schmerzen, die sie empfunden haben. Ausgehend von der Auffassung, dass der Akt des Erzählens bereits Fiktion ist, verbinden die Künstler*innen in A couple of years (Un par de años) ihre individuellen Erfahrungen mit Zitaten und Lautpoesie. Bild- und Schriftprojektionen sowie Bewegungssequenzen ergänzen die auditive Ebene.
Im Zentrum der Performance stehen mündliche Traditionen, kollektive Wissensformen und die Geschichte des Alltäglichen, die als „intra-history“ bezeichnet wird. Hierbei beziehen sich die beiden Künstlerinnen immer wieder auch auf ihre galizische Herkunft und die Costa da Morte. Es entsteht ein sowohl poetischer als auch träumerischer Raum, in dem das Erzählen von Geschichten zentral ist: Wie erzählen wir Erfundenes, Erfahrenes, Geschriebenes, und wer darf an diesen Erzählungen teilhaben? A couple of years (Un par de años) fügt sich in das künstlerische Werk von Lara und Noa Castro Lema ein. In ihrer kollaborativen Praxis, die Video, Text, Sprache und Performance umfasst, untersuchen sie gemeinschaftliche Prozesse und Formen der Fürsorge. Dabei distanzieren sie sich von einer hyperindividualistischen Kunstpraxis. Dies wird in A couple of years (Un par de años) im Lied, das die Künstler*innen zyklisch zu Beginn und am Ende der Performance gemeinsam mit dem Publikum singen, verdeutlicht. Das Musikstück schafft einen Rahmen für die Performance ebenso wie einen Moment der kollektiven Verbundenheit.

Digitale Skizzen dienen Pia-Rosa Dobrowitz als Grundlage für ihre Malerei. Die Dimensionslosigkeit dieser Werkzeuge, die als eine Art architektonischer Plan verstanden werden können, ermöglicht es ihr, grossformatig zu arbeiten. Dazu breitet die Künstlerin die Leinwand auf dem Boden aus und projiziert eine Vorlage auf den Bildträger.
Indem sich die Farbe matt und opak schichten lässt, tritt die malende Hand – der Pinselduktus – zugunsten der Beschaffenheit der Oberfläche zurück. Es geht der Künstlerin vor allem darum, ein Gleichgewicht zwischen Farbe und Form zu finden. Als eine der Grundfragen der Malerei wird dieses Verhältnis durch Wiederholung und Variationen immer wieder neu ausgelotet. Die wiederkehrenden heraldischen Formen und Kreismotive schaffen einen Wiedererkennungsmoment, verweisen zusammen mit der Titelwahl auf Serialität und stellen Verbindungen im künstlerischen Schaffen her. Der Reiz von Pia-Rosa Dobrowitz’ Arbeiten liegt in den malerischen Elementen, die trotz der seriell anmutenden Produktion und der Verdrängung des Pinselstrichs immer wieder sichtbar werden. Die Farb- und Formkombinationen reizen die Netzhaut und prägen sich in das Auge der betrachtenden Person ein.

Das Künstler*innenduo Dorota Gaweda und Egle Kulbokaite, das in Basel lebt und arbeitet, stellt im Kunsthaus Baselland die Arbeit The Enclosure Series (2023/24) aus. Die installativen Elemente, die sich auf Prozesse der Landprivatisierung beziehen, unterteilen den Ausstellungsraum und schränken die Bewegung der Besuchenden ein, schaffen jedoch zugleich auch neue, intime Räume. Die Grenzen sind sowohl starr als auch flüchtig. In ihrer Transluzidität kontrastieren die membranartigen Chiffontextilien die Aluminiumeinfassung der modularen Bildträger. Es entstehen sich überlagernde, hybride Bilder: Motive botanischer Chimären treffen auf eine Neuinterpretation einer Szene aus Paolo Pasolinis Il Decamerone sowie auf eine algorithmisch veränderte Dokumentation der -lalia Performance (2020) des Duos. Die Figur des lügenden Erzählers, der durch seine Überzeugungskraft Erlösung findet, und die in der slawischen Folklore beschriebene Hexe Poludnica werden beide gequeert und in einen digitalen Kontext verortet. Betrachtet man die semi-transparente Darstellung frontal, wirken sie durchlässig. Das Werk wird erst durch die Bewegung der betrachtenden Person aktiviert. Indem die Sättigung der Chiffontextildrucke je nach
Positionierung der Betrachtenden zu- oder abnimmt, distanzieren sich die Künstler*innen von einer linearen Kunstbetrachtung. Hierbei wird das Sehen im Kontext von The Enclosure Series zu einer verkörperten Praxis, die von anderen Sinneswahrnehmungen nicht losgelöst werden kann. Diese Form der multisensuellen Erfahrung ist für das Werk des Künstler*innenduos typisch. In ihrer Praxis, die sich über die Medien Performance, Skulptur, Videoinstallation und olfaktorische Arbeiten erstreckt, suchen sie immer wieder nach neuen Ausdrucksformen, um etablierte Sehpraktiken infrage zu stellen.

Subtile Irritationsmomente prägen die Auseinandersetzung mit dem künstlerischen Werk von Charlotte Horn. In Arrow (2024), einer grossformatigen Ölmalerei, widerlegt die Künstlerin die weit verbreitete Annahme, dass Hase und Kaninchen derselben Spezies angehören. Der Verweis auf die Spezifität der Arten dient der kritischen Auseinandersetzung mit etablierten Zuschreibungen. Es geht Horn hierbei darum, die Unzulänglichkeit solcher Typologisierungsprozesse aufzuzeigen. Statt starre Kategorien zu verfestigen, plädiert sie für ein prozesshaftes und fliessendes Verständnis von Lebensformen in ihrer Vielfalt als „artübergreifendes Miteinander“. Als wiederkehrendes Thema in ihrer Praxis fordert die Multimediakünstlerin dazu auf, das Verhältnis von Mensch und Umwelt als ein Mit- und Verbundensein zu denken. Eine weitere Arbeit von Charlotte Horn trägt den Titel Cathexis.
Die Landschaftsmalerei bezieht sich auf das gleichnamige psychoanalytische Konzept und beschreibt, wie Gegenstände, Personen und Vorstellungen mit Bedeutungen, Emotionen und Erinnerungen aufgeladen werden. Dargestellt ist eine scheinbar verdoppelte Landschaftsansicht, die nicht nur an der Wand, sondern auch auf dem Boden platziert ist. Das Bild zeigt keine weite, idyllische Landschaft, sondern einen See und eine ausgetrocknete Wiese. Obwohl man annehmen könnte, dass sich die beiden Darstellungen spiegeln, ist bei genauerem Hinsehen erkennbar, dass sie sich voneinander unterscheiden. Der Moment der Verwirrung dient dazu, etablierte Wahrnehmungspraktiken und den Prozess der Cathexis infrage zu stellen. Auf diese Weise lädt Charlotte Horn die Betrachtenden dazu ein, ihre eigene, subjektive und positionierte Sichtweise zu reflektieren.

In seiner filmischen Auseinandersetzung Park (2024), die im Kunsthaus Baselland uraufgeführt wird, widmet sich Simon Krebs der Dreirosenanlage in Basel. Der Park, direkt am Rheinufer gelegen und direkt angrenzend an die Pharmaindustrie, die Dreirosenbrücke und ein Wohnquartier, wird auf vielfältige Weise genutzt: Es wird spaziert, konsumiert, trainiert, diskutiert, ausgeruht, musiziert und getanzt. Während die einen den Ort für politische Zwecke nutzen, sehen andere in ihm einen Raum des freudvollen Mit- und Nebeneinanders. Zu Beginn der Corona-Pandemie begann der in Basel lebende Künstler und Filmemacher, das Geschehen in der Dreirosenanlage zu filmen. Zuerst filmte er im Schutz seines eigenen Heims aus dem Fenster seiner Wohnung, dann wagte sich gemeinsam mit Tanja Weidmann, die ihn mit dem Mikrofon begleitete, nach draussen. Gemeinsam dokumentierten sie das Alltagstreiben. Die daraus resultierenden Narrative erzählen fragmentarisch von einer Zeit, in der sich unsere Lebensräume verschoben haben, und handeln von Freiräumen sowie deren Einschränkungen. Dabei wird immer wieder die widerständige Aneignung öffentlicher Räume als selbstermächtigende Praxis betont. Im Kontext von Kommerzialisierung und Privatisierung urbaner Räume gewinnt die Frage nach Freiräumen im öffentlichen Umfeld, die der vielschichtige Film Park aufwirft, besonders an Bedeutung.

In Nice little cooing doves (2023) untersucht Tim Kummer das konfliktreiche Verhältnis zwischen Menschen und Stadttauben. Kummer platziert mehrere Keramiktauben auf verzinkten Stangen. Kleine, aus Ton geschaffene Exkremente hat er sorgsam auf den Ausstellungsboden gelegt. Kummer spielt dabei auf die Assoziation der oftmals als „lästig“ wahrgenommenen Tiere mit der Verschmutzung von Gebäudefassaden oder der Übertragung von Krankheiten an. Er betont aber auch die Rolle von Tauben städtischen Ökosystemen und ihre beeindruckende Anpassungsfähigkeit. So nutzen
Stadttauben Gebäudestrukturen als Nistplätze oder orientieren sich bei ihrer Nahrungssuche an menschlichen Aktivitäten. Die Platzierung der Keramiktauben auf Augenhöhe animiert Besuchende, sich mit der artenübergreifenden Beziehung im urbanen Raum auseinanderzusetzen. Es stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage nach den Lebensräumen der Tiere. Welcher Platz soll nicht-menschlichen Akteur*innen in der Öffentlichkeit zugeschrieben werden? Der Künstler lädt die Besuchenden dazu ein, sich in einem nicht-hierarchischen Verständnis der Tauben-Menschen-Beziehung zu erproben. Humor und Satire dienen ihm als künstlerische Strategie, um etablierte Normen infrage zu stellen. Die zeitintensive Herstellung der Keramiken verdeutlicht Kummers Hinwendung zu den Tieren. Obwohl die Keramiktauben seriell hergestellt worden sind, handelt es sich dabei dennoch um Unikate, an denen sich die Spuren der Herstellung ablesen lassen.

Der lateinische Begriff Tapetum lucidum beschreibt eine Zellschicht, die das auf die Netzhaut fallende Licht reflektiert. Diese Schicht erlaubt es nachtaktiven Tieren, in der Dunkelheit besser zu sehen. Besonders bekannt ist dieses Phänomen bei nächtlichen Aufnahmen von Tieren wie Rehen oder Füchsen, deren Augen im Licht geheimnisvollleuchten. Céline Lachkar zitiert dieses Phänomen in ihrer Kreidezeichnung Forêt. Voir à travers, ensemble 2 (2024), die auf den ersten Blick fast fotorealistisch wirkt und deren Komposition Anleihen an Harmonografien nimmt. Die Arbeit ist durch die Fotoserie Tapetum lucidum der Künstlerin Anne Zimmermann inspiriert. Das Panoramabild entfaltet das Narrativ einer speziesübergreifenden Begegnung. Durch die Blickbeziehungen, die in der Zeichnung etabliert werden, entsteht der Eindruck, als störe man beim Betrachten die Tiere und unterbreche ihre nächtliche Aktivität. Indem die Tiere die Betrachtenden direkt anblicken, wird ein Moment des Innehaltens geschaffen. Céline Lachkar sensibilisiert Besucher*innen damit für die Existenz dieser Wesen, die im Dunkeln agieren und oft ausserhalb unseres Wahrnehmungsbereichs bleiben. In ihrem Kunstwerk lädt sie uns ein, unseren Blick für die häufig unsichtbaren Aspekte der Natur zu schärfen.

Lena Laguna Diel widmet sich in A Body in Fragments (2023) dem Körper als „Speicher von Erinnerungen“. Die raumgreifende Installation erforscht, wie sich Erfahrungen nicht nur in unser Gedächtnis, sondern auch in unseren Körper einschreiben. Körper und Geist können insofern nicht voneinander getrennt gedacht werden: Das Physische beeinflusst das Psychische und vice versa. Dieser Gedanke wird in den zahlreichen Keramikfragmenten verdeutlicht, die diverse Erinnerungen festhalten: bunte Blumenarrangements, das Detail einer Architektur, Fischende, die im Morgengrauen ihre Netze auswerfen, oder der weiss gedeckte Tisch, auf dem nur noch die leeren Martini-Gläser stehen – unterschiedlichste Themen und Bilder ordnet die in Basel lebende Künstlerin in einer Art Metakörper an. Die einzelnen Erlebnisse scheinen sich mit Körperpartien zu verbinden und Teil der Körperempfindung zu werden. Dies geht auch einher mit Lena Laguna Diels künstlerischer Praxis: Die Künstlerin bezieht sich auf Formen der Psychotherapie, bei der verschiedene Körperteile der Patient*in berührt werden und damit Erinnerungen reaktiviert werden können. Oftmals im Kontext der Traumatherapie eingesetzt, setzt sie sich in A Body in Fragments nicht nur mit traumatisierenden, sondern auch mit freudvollen Erfahrungen auseinander. So prägen sich, wie wir wissen, neben schmerzhaften auch glückserfüllte Erlebnisse in den Körper ein. A Body in Fragments spricht daher von melancholischen wie auch von hoffnungsvollen Momenten und lädt uns ein, über den Körper als „Zuhause von Erinnerungen“ nachzudenken.

Maude Léonard-Contants künstlerisches Œuvre untersucht das Verhältnis von Objekt und Sprache. Unter dem Stichwort „mise sous presse“ setzt sie verschiedene Materialien unter Druck und ermöglicht deren Metamorphose: Die Künstlerin spannt Leder, faltet Seide und presst Pflanzen und greift dabei auf traditionelle Handwerkstechniken wie Möbelpolsterung oder Plisseeherstellung zurück. Dunkle, lederne Objekte lasten auf hellem, plissiertem Seidenstoff. Die Schwere steht im Kontrast zu den leichten Textilien und den filigranen Pflanzenornamenten. Die getrockneten Blüten, Blätter und Wurzeln stammen aus Maude Léonard-Contants Lebensorten – Basel, Val Poschiavo und der Lanaudière-Region in Quebec. Das Sammeln und Pressen der Pflanzen schafft für die Künstlerin, die aus dem frankophonen Teil Kanadas stammt und heute in Basel lebt, ein Gefühl der Zugehörigkeit. Ähnlich wie beim Erlernen einer Sprache eröffnet das Wissen um lokale Pflanzenwelten einen Zugang zur Kultur eines Ortes. Indem Maude Léonard-Contant vom Aussterben bedrohte Pflanzenarten und langsam verschwindende Handwerkstechniken in ihren ausgestellten Arbeiten verwendet, wirkt sie dem Vergessen und Verschwinden entgegen. Auf den ersten Blick scheint die in Maude Léonard-Contants Werk zentrale Sprache in den im Kunsthaus Baselland gezeigten Arbeiten abwesend zu sein. Doch ist sie in subtiler Form präsent. Die getrockneten Erdbeerblätter, die in die Falten des Plisseestoffs gesteckt sind, verleihen der Skulptur Sauvage Fraise nicht nur ihren Titel; das französische Wort „fraise“ bezeichnet neben der Erdbeere auch die Halskrause, deren Form in der unteren Partie der Skulptur aufgegriffen wird. Das Werk Herbes aux Chantres bezieht sich auf die Weg-Rauke, die auch als sogenanntes Sängerkraut bekannt ist. Wie für alle in der Ausstellung gezeigten Pflanzen hat Maude Léonard- Contant auch für sie ein ehrendes Liebesgedicht verfasst. Die Pflanzenbezeichnungen verleihen den Skulpturen nicht nur ihre Titel, sondern betonen auch die Wirkkraft dieser Benennungsprozesse, die uns helfen, Phänomene zu begreifen und unser Verständnis der Welt zu verdeutlichen.

Aus Mehl, Salz und Wasser hat die chilenische Künstlerin Manuela Libertad Morales Délano Teig hergestellt, geknetet und daraus 93 Brotlaibe gebacken. Diese ordnet sie in ihrer Installation Manito de Guagua: Economics of the Clock(2023) kreisförmig an. Aufgrund verschiedener Backzeiten der Brote variiert ihr Zustand von teigig hell bis schwarz verkohlt.
Mit zunehmender Backzeit erschöpft sich, wie die Künstlerin kommentiert, der Laib immer mehr und lässt sich mit der Ausbeutung von Arbeiter*innen weltweit in Beziehung setzen. Denn es sind nach wie vor die kapitalistischen Gesellschaftssysteme, in denen die Lohnarbeit den Lebensrhythmus vorschreibt und hiermit grundlegend die menschliche Existenz prägt. Zeit ist Macht: Ihre Normierung dient den Herrschenden dazu, ihre Dominanz auszuüben – so beispielsweise auch im Kontext der Kolonisierung des südamerikanischen Kontinents, aus dem die Künstlerin stammt. Eine Vielfalt an Zeitsystemen, die sich an Sonne, Jahreszeiten oder Kosmologie orientierten, wurde abgeschafft und durch europäische Zeitgebung ersetzt. Indem die Künstlerin ein Zeitsystem konzipiert, ähnlich einer Uhr, die jedoch keine zwölf Ziffern besitzt, bezieht sie sich just darauf. Sie aktiviert zugleich Betrachtende zur kritischen Auseinandersetzung mit dieser Zeit-Macht-Beziehung, die uns alle betrifft. Die verbrannten Brotlaibe werden mit der Juli-Revolution (1830) in Frankreich und den als Zeichen des Protests zerstörten Uhrwerken in Verbindung gebracht. Die zu „Manito de Guagua“ und zu geballten Fäusten gekneteten Brote sind zudem sowohl als Symbol von Gier als auch von Widerstand zu verstehen. Brot ist für uns alle ein Grundnahrungsmittel und verweist auf Knappheit, Zeit und revolutionäre Bewegungen.

Die Rue des Moraines in Carouge diente der Künstlerin Lisa Mazenauer als Inspiration für ihre Klanginstallation Rivières Revers. Die Benennung der Strasse bezieht sich auf die Gletschersedimente, auf denen das Städtchen gebaut worden ist. Fasziniert von der Errichtung einer Stadt auf den „Wunden“ des Gletschers, zentriert Mazenauer in ihrer Installation Wasser in verschiedenen Aggregatzuständen. Hierfür ahmt sie den Schmelzprozess des Gletschers nach und platziert gefrorenes Wasser aus den nahe Carouge fliessenden Flüssen Rhône und Arve in ein von der Decke hängendes Netz. Die Installation wird dann durch das schmelzende Eis aktiviert: Es tropft langsam auf sechs von Hand getriebene Messingschalen, die an organische Blattformen erinnern. Die Klangschalen wurden von der Künstlerin verkabelt und an einen Verstärker angeschlossen. Die so erzeugten Klänge erzählen die Geschichte der Flüsse, die von den Gletscherquellen bis zur Mündung verschiedene Körper, Landschaften, Gewässer, aber auch Städte, Vororte und Industrien passiert haben – fragmentarisch. Im Lauschen werden Rezipient*innen dazu eingeladen, über das Verhältnis von Mensch und (Um-)Welt sowie die Routinen nachzudenken, in denen wir leben. Das Aufzählen der Wasserbestandteile im Werktitel verdeutlicht, wie sich unser Handeln auf die Umwelt auswirkt: So sind Spuren von chemischen Stoffen wie beispielsweise Quecksilber im Wasser der Rhône und der Arve vorzufinden. Diese gelangen von einer nahe gelegenen Aluminiumfabrik durch den Regen in den Grund und damit in die Flüsse. Ein Plädoyer für einen sorgsamen und sorgfältigen Umgang mit der (Um-)Welt.

Im Rahmen der Regionale präsentiert Jorge Morocho erstmals seine Neuproduktion Every relic has the power to speak underwater (2024). Die konstruierte Unterwasseransicht basiert auf einer digital generierten Darstellung der Zikkurat von Ur, die im Jahr 2012 von einem Nutzer der Gaming-Plattform Minecraft geschaffen wurde. Die auf dem Grund des Ozeans platzierte mesopotamische Verehrungsstätte zeichnet sich in erster Linie durch ihre monochrom-ultramarin blaue Farbgebung aus. Every relic has the power to speak underwater setzt sich mit der kunst- und kulturwissenschaftlichen Bedeutung der Farbe Blauauseinander. Das ursprünglich aus pulverisiertem Lapislazuli gewonnene Pigment wurde aufgrund seiner Seltenheit stets mit dem Göttlichen in Verbindung gebracht und mit Gold gleichgesetzt. Der Farbe Blau wird bis in die Gegenwart eine transzendente Wirkkraft zugesprochen. Ob der Künstler auf die zahlreichen Reliquien verweist, die durch koloniale Raubzüge und den transatlantischen Handel – wenn nicht in europäischen Sammlungen – auf dem Meeresgrund verschwunden sind, oder ob er sich vielmehr auf futuristische Blockbuster bezieht, bleibt offen. Seit Längerem interessiert sich Morocho für die Wiederaneignung anthropologischer Objekte und deren Rekontextualisierung in der Popkultur. Every relic has the power to speak underwater fügt sich in ein grösseres Projekt des Künstlers ein, in dem er sich den Reibungen zwischen dem Banalen und dem Mythischen, dem Nostalgischen und dem Zynischen widmet.

Katrin Niedermeiers raumspezifische Installation Contamination in Obsolescence (2024) untersucht die Wechselwirkung zwischen Technologie und Umwelt. Anstatt „Away from Keyboard“ und digitale Räume als zwei voneinander trennbare Sphären zu denken, verdeutlicht die Künstlerin, dass die analoge und die virtuelle Welt miteinander verflochten sind. Dieser Gedanke wird in der Werkgruppe Contamination in Obsolescence (2024) weitergeführt: Die scheinbar willkürlich-chaotische und zufällige Inszenierung der Objekte – eines Stuhls, einer Staffelei und einer Palme – ist von Katrin Niedermeier präzise arrangiert. Von KI-Prompts inspiriert, bezieht sie sich auf (Fehl-)Kombinationen, sogenannte „Glitches“. Diese besitzen transformatorisches Potenzial. Der Begriff geht etymologisch auf das jiddische Wort „gletshn“ und das deutsche Verb „glitschen“ zurück. Als „Fehler, Irrtum und Funktionsstörung“ birgt der Glitch die Möglichkeit des gesellschaftlichen Wandels in sich. Contamination in Obsolescence verhandelt insofern das widerständige und unvorhersehbar-kreative Potenzial von Systemfehlern. Dies wird auch in den von Niedermeier verwendeten Materialien wie Plastik, Kabeln, Bast, Stroh, Holz sowie Kleidungs- und Stoffresten hervorgehoben. Einst wertvolle Güter, werden sie gegenwärtig mit Umweltzerstörung und einer „Wegwerfmentalität“ verbunden und stehen zugleich für Zerfall, aber auch für Innovation.

Ulrich Okujenis Werke wirken zugleich figurativ und abstrakt. In kreisenden Bewegungen führt er der Pinsel über den Bildträger und entwirft filigrane Lineaturen. In den kolorierten Schnittstellen und Flächen verfliessen angedeutete Narrative immer wieder in geometrischen Formen. Es scheint, als suche der Künstler nach einem Gleichgewicht zwischen Abstraktion und Figuration. Dieser Prozess erzeugt eine Dynamik, die für Okujenis künstlerisches Œuvre prägend ist. In Pangea Ultima (2023), das sich auf den Urkontinent Pangea bezieht, ist genau dieses Spannungsfeld zu erkennen. So fallen in der Betrachtung fragmentarische Erzählstränge auf, die nicht vollständig erfasst werden können oder zeitgleich nebeneinander stattfinden und insofern die eigene Vorstellungskraft anregen. Der Verweis auf den Ursprung der Kontinente als zusammenhängende Landmasse, wie Pangea, die alle Kontinente umfasste, ist als eine Art Parabel oder eine Reflexion über die Weltgemeinschaft zu verstehen. Verschiedene Wissensschaffende gehen davon aus, dass der jetzige fragmentarische Zustand der Erde vorübergehend sei und nach etwa 450 Millionen Jahren erneut zusammenwachsen könnten. Hiermit greift Ulrich Okujeni geologische Überlegungen auf und verbindet diese mit dem kunsthistorisch vielzitierten Motiv des Paradieses und der Endzeit. Pangea Ultima ist insofern als zeitgenössische Interpretation des kanonisierten Paradiesgartens zu verstehen. So beschreibt der Künstler seine Arbeit als Metapher für die utopische Idee eines Zusammenhalts der Menschheit, zugleich aber auch als Verweis auf die geringe Bedeutung des Menschen im geologischen Massstab.

Im Zentrum von Lou-Anne Pommés künstlerischer Praxis steht die Erinnerung. Ihr vielschichtiges Werk, das Installation, Video, Gesang und Skulptur umfasst, erforscht das Verborgene und Unterbewusste. Das Sammeln von Erlebtem, Erfahrenem und Empfundenem bildet die Grundlage ihrer künstlerischen Praxis. Indem die Künstlerin Erfahrungen aus ihrem alltäglichen Leben in den Arbeiten einfliessen lässt und in einen weiteren Kontext einbettet, verbindet sie ihre individuellen Erlebnisse mit dem Kollektiven. So auch in Murmuration (2023): Ein Storch, der sich direkt nach ihrer Ankunft vor ihrem Fenster in Mulhouse einnistete, sowie die Omnipräsenz des Zugvogels im öffentlichen Raum inspirieren die Künstlerin zu ihrer Klang- und Videoinstallation. Auf ihrer Route fliegen die Vögel, die als Wahrzeichen des Elsass eine besondere Bedeutung haben, jeden Herbst von dort aus in nordafrikanische Länder wie Algerien. Lou- Anne Pommé parallelisiert die Reise der Vögel mit ihrer familiären Migrationsgeschichte und weltweiten Migrationsbewegungen. Das gesungene Gedicht chant migratoire und die Filmaufnahmen der starren Vogelformationen vermischen Fiktives und Reales. Es entfaltet sich die Geschichte eines Storches, dem Lou-Anne Pommé im Elsass begegnet und der später verschwindet, nur um ihr schliesslich in der algerischen Sahara erneut zu begegnen.

Die fünfteilige Serie Lentezza No.1–5 (2021) von Margherita Raso basiert auf Drohnenfotografien, die die italienische Künstlerin im Frühjahr 2020 auf überfluteten Reisfeldern in Vercelli, Piemont, aufgenommen hat. Dabei interessiert sich Raso für den Kontrast zwischen der Starre der netzartig angelegten Felder und der Fluidität des darüber fliessenden Wassers. Sie schafft fünf Jacquard-Textilien, die dieses Nebeneinander künstlerisch und zugleich hoch poetisch untersuchen. Die so entstandenen Fotografien dienen ihr als Grundlage für die Textilarbeiten. Auf einem schwarzen Grund sind pastose Flächen in dominierenden Blau- und durchscheinenden Rottönen zu erkennen. Während die kontrastierenden blauen und roten Garne an Wasseroberflächen erinnern, verweist der schwarze, kreuzförmig angelegte Grund auf Landpartien. Je nach Lichteinfall sind unterschiedliche Farbnuancen zu erkennen. Raso arbeitet seit über elf Jahren mit dieser komplexen Textiltechnik und lotet dabei immer wieder die Möglichkeiten und Grenzen dieses Mediums für sich als Künstlerin aus. Dabei interessiert sie sich insbesondere für die Verbindung von Handwerkstechniken mit Coding-Prozessen: Indem Motive in eine Abfolge von Einsen und Nullen umgewandelt werden, gilt die im Jahr 1804 patentierte Textiltechnik als Vorläufer digitaler Technologien. Interessant ist in diesem Zusammenhang, inwiefern der Male Bias eines gesellschaftlichen Technikverständnisses widerlegt werden kann.

In ihrer künstlerischen Praxis beabsichtigt Marion Ritzmann die Offenlegung bestehender Ordnungen. Sie macht Konstruktionsprozesse sichtbar – so auch in ihrer installativen Arbeit Free-Floating. Ein Vorhang kleidet den Ausstellungsraum ein und lädt Besuchende dazu ein, sich das Gebäude auf neue Weise zu erschliessen. Die Intervention im Raum lässt über die Bedeutung existierender Verhaltensnormen in musealen Institutionen nachdenken und stellt in diesem Zusammenhang auch die Frage nach dem Versteckten und Unsichtbaren. Der Vorhang in seiner Funktion zwischen Verbergen und Zeigen wird in hier selbst zum Display. Free-Floating aktiviert die Architektur und setzt die fliessende Bewegung des Textils in Kontrast zum unverrückbaren Gebäude. Der korallenrosafarbene Baumwollstoff, der Intimität suggeriert und mit sich wiederholenden, rhythmischen geometrischen Mustern bedruckt ist, schafft eine schützende Atmosphäre im öffentlichen Raum.

Lionne Saluz’ Aquarelle, Zeichnungen und Wandmalereien sind von Bestehendem – oftmals von Comics und Büchern – inspiriert. Der Prozess des Abmalens und Abpausens erlaubt es ihr, sich etablierter Bildformeln aus der Kunstgeschichte und Popkultur anzueignen. Dabei fokussiert sie sich häufig auf ein spezifisches Element, das sie aus seinem ursprünglichen Kontext herauslöst, um eigene Bildwelten zu kreieren. Die Werke Zettel (2021) und Dagegen (2021) beziehen sich beide auf das bekannte US- amerikanische Comic Donald Duck. Das Text- und Bildmaterial wird mit Münzen kombiniert, die die Künstlerin auf den Bildrahmen platziert. Der in Dollarscheinen schwimmende Dagobert Duck wird mithilfe von Ironie und Humor zu einer Figur, die es Betrachtenden erlaubt, kapitalistische Strukturen und den Stellenwert von Lohnarbeit zu hinterfragen. Wie lassen sich Hingabe und Erfüllung ausserhalb der Erwerbsarbeit – in Hinblick auf zwischenmenschliche Beziehungen und (Selbst-)Fürsorge – denken? Es sind diese Fragen, welchen Lionne Saluz in ihren Werken nachspürt. Ihre Praxis orientiert sich auch an Karikaturen, die satirisch Kritik an herrschenden Machtverhältnissen übten und somit als Vorläufer des Comics zu verstehen sind. Diese implizite Referenz wird in Après vous! (2023) mit dem Bezug auf den französischen Karikaturisten Honoré Daumier explizit. Dieses Sichtbarmachen durch satirische Überzeichnung greift Lionne Saluz auch in Rules of the Icon Painter (2023) auf. In dieser Arbeit kopiert sie eine Anleitung zur Ikonenmalerei. Die festgelegten Darstellungskonventionenverweisen auf die Arbeitshaltung, Sorgfalt und Intention der Ikonenmaler*innen. Auch hier nutzt Saluz den Prozess des Kopierens, um subtile Veränderungen einzuführen: Das Personalpronomen, das das Göttliche männlich vergeschlechtlicht, ersetzt sie durch die weibliche Form. Es sind diese Momente der Wiederaneignung, die die Betrachtung von Lionne Saluz’ künstlerischem Werk prägen und es uns als Betrachtende erlauben, bestehende Ordnungen und gesellschaftliche Normen neu zu denken.

Die Installation Aufzeichnung aus dem Lichtloch (2023) von Moa Sjöstedt ist Teil einer konsequenten Auseinandersetzung der Künstlerin mit dem Medium der Zeichnung. Lichteinfälle, Schattierungen, Verdichtungen, Bewegungen und Tiefenwirkung werden herausgearbeitet und breiten sich über mehrere einzelne Blätter zu einem grossen Ganzen aus. Die aus Göteborg stammende und heute in Basel lebende Künstlerin lässt sich von den Mikrokosmen und Lebensgemeinschaften auf den Leuchtturminseln des schwedischen Archipels inspirieren. Leuchtturmwärter*innen und ihre Familien betreuten die Leuchttürme auf den Inseln, bevor diese im Zuge der technischen Entwicklung automatisiert wurden. Die einstigen Gemeinschaften verschwanden und hinterliessen von Menschen unbewohnte Orte, die Raum für verschiedene nicht-menschliche Lebensformen boten. So werden die Inseln heute vor allem von Tieren und Pflanzen besiedelt. Allein die Leuchttürme verweisen auf die Existenz des Menschen und seine Eingriffe in die Natur. Sie stehen für wissenschaftlichen Fortschritt, Technisierung, Seefahrt und transatlantische Handelsbeziehungen. Gleichzeitig sind sie als Sehnsuchtsorte auch Symbole des Mystischen. Indem Moa Sjöstedt die rationale und transzendente Bedeutung der Leuchttürme miteinander verflechtet, widmet sie sich grundlegenden Fragen der abendländischen Kulturgeschichte: Die Anordnung der Zeichnungen zu einer grossen Fläche löst die eindeutig richtungsweisende Klarheit des Leuchtturms auf. Die Fläche zeigt vielmehr eine Pluralität möglicher Wege: Im Chaos wird die menschliche Kontrolle über die Natur infrage gestellt.

Die in Basel lebende Künstlerin Julia Steiner ist in erster Linie für ihre grossformatigen Zeichnungen bekannt. Indem sie mit dem Pinsel zeichnet, lösen sich die Gattungsgrenzen von Zeichnung und Malerei auf. In ihrer Werkserie into the blue (I–V) untersucht Steiner mit hellen und dunklen Ultramarintönen die Wirkung von Licht, Luft und Wasser. Mal sehr präzise ausgeführt, mal eher ins Verschwommene fliessend, bewegen sich die Bilder zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion. Die überraschende Serie verdeutlicht, dass die Gattung der Landschaftsmalerei weiterhin nichts an Präsenz, Reiz und Sogkraft eingebüsst hat. Julia Steiner zeigt zudem auch eine installative Arbeit, die sie neben ihren Zeichnungen entwickelt und die mit diesen meist inhaltlich einher gehen. In Welten(2023) schlägt Steiner vor „die Welt“ im Plural als Viele oder Vieles zu denken. Die Keramikhalbkugeln variieren in Grösse und Glasur. Abstrakte Umrisse von möglichen Ländern oder Kontinentalflächen sind auf der Oberfläche zu erkennen. In der Installation bezieht sich die Künstlerin auf ihre zwischen 2005 und 2016 entstandene Serie Fragmente der Welten. Die insgesamt 200 Stücke umfassende Objektsammlung ist als ein persönliches Archiv von Entwürfen oder auch Verständnissen von Welt zu verstehen. So greift Julia Steiner in der Arbeit Fragmente der Welten wiederkehrende Themen ihres Schaffens auf, wie das Wachsen, Werden und Vergehen, und verweist hiermit auf Kontinuitäten in ihrem künstlerischen Œuvre.

Von Hand fertigt Vital Z’Brun Tierobjekte aus Draht und Textilien, deren Fragilität und Verletzlichkeit eine subtile Erkundung von Themen wie Macht, Repräsentation und Objektifizierung offenbart. Die vordergründig flauschige und unschuldig anmutende Ästhetik kann von der Essenz seiner Arbeiten etwas ablenken. Lässt man sich jedoch auf die Filmsequenzen und Fotografien ein, eröffnen sich Reflexionen über verschiedene Formen hierarchischer Beziehungen, die von der Mensch-Tier-Dynamik bis hin zu gesellschaftlichen Machtstrukturen reichen. In der Porträtserie Jardin à la Française (2024) lässt sich der aus dem Wallis stammende und in Basel lebende Künstler von klassischen Tierdarstellungen inspirieren, wie sie in zoologischen Illustrationen und historischen Gemälden zu finden sind. Er hinterfragt die schmale Grenze zwischen wissenschaftlicher Beobachtung und symbolischer Inszenierung. Der Künstler untersucht, wie solche Repräsentationsformen Machtverhältnisse aufrechterhalten, indem sie Tiere sowohl als blosse Objekte wie auch als Symbole für Wohlstand und Eroberung darstellen und damit eine menschliche Vorherrschaft untermauern. In der Videoarbeit Histoire sans lion (2023) wird der Löwe als „König der Tiere“ und Symbol der Macht bewusst aus der Erzählung ausgeschlossen. Seine Abwesenheit schafft Raum für andere Tiere, die die Geschichte neu schreiben können. Diese Distanzierung von einem zentralen Machtsymbol hinterfragt traditionelle Geschichtshierarchien und eröffnet eine vielfältigere Perspektive auf Geschichte und Machtverhältnisse in Erzählungsstrukturen. Vital Z’Bruns spielerisch-humorvolle und zugleich kritische Auseinandersetzung lädt uns ein, die vertrauten Narrative zu überdenken. Sie eröffnet die Vision einer Welt, in der die Vielfalt derPerspektiven im Mittelpunkt steht.