The Eternal Flame
10.8.
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5.10.2008
Über das Versprechen der Ewigkeit
‹Ewigkeit› ist eines dieser Wörter, die wir verwenden, ohne dafür ein bestimmtes Konzept zu haben. Als existentielle Erfahrung der Lebenszeit und als metaphysische Idee des ‹Überzeitlichen› ist die Frage nach unserer Beziehung zur Zeit längst ein philosophischer Klassiker.
So diskutierten schon die griechischen Philosophen Platon und Aristoteles das grosse Rätsel von der Entstehung der Welt immer in Bezug auf eine ewige Existenz von Materie. Man glaubte nicht daran, dass die Welt, wie der Mensch sie kennt, quasi aus dem Nichts heraus entstehen konnte. Auch der Theologe und Philosoph Augustinus betrachtete an der Schwelle zwischen Antike und Mittelalter die Ewigkeit als immer währende Kraft und bezeichnete sie sogar als Negation aller Zeit. Während in den nachfolgenden Jahrhunderten der Ewigkeitsbegriff unter Theologen und Philosophen immer wieder als Hoffnung auf einen Gott verstanden wurde, kümmerten sich Henri Bergson im 19. Jahrhundert und Martin Heidegger im 20. Jahrhundert eher um die modernen Schwierigkeiten mit der Ewigkeit. Bergson stösst dort vor allem auf das prekäre Defizit der Sprache, Ewigkeit zu fassen, geschweige denn, sie überhaupt zu beschreiben. Heidegger versuchte hingegen, das Ewige z.B. in der Kunst anzusiedeln — um das Unvorstellbare denkbar zu machen. An diesem Berührungspunkt zwischen Sprache und ästhetischer Erfahrung von Kunst lässt sich auch über Ewigkeit nachdenken. Wo sich die räumlich-zeitliche Orientierung aufzulösen scheint, beginnt das Nachdenken über Unendlichkeit. Obwohl unendliche Dimensionen kaum vorstellbar sind, sind sie trotzdem individuell erfahrbar. Dieses Paradox bildet den Ausgangspunkt des Ausstellungskonzeptes und findet seinen Widerhall in künstlerischen Positionen der Gegenwart, welche sich zwischen abstrakter Bildgrammatik und Landschaftsmotiven bewegen — zwei der wichtigsten Bildsprachen der Moderne, die ein Nachdenken über die Unendlichkeit möglich machen. Beide Ebenen blendet etwa Claudia Wieser in ihren Arbeiten übereinander, wenn sie Fotodrucken von imposanten Bergszenen aus der Reiseliteratur des 20. Jahrhunderts eine geometrische Form aus Blattsilber (Kessel der 5 Seen, 2007) hinzufügt. Man könnte versucht sein, die Silberform als mögliches Schema eines andauernden Prinzips der Formentstehung in der Natur zu betrachten. Was jedoch liegt zwischen der Idee von Ewigkeit und der zeitlichen Einteilung einer alltäglichen Lebenswelt? Mit der Frage nach Zwischenräumen in Bildern, Sprache und zeitlicher Ordnung beschäftigt sich der belgische Künstler Kris Martin. Auf einem lebensgrossen Spiegel steht in geschwungener Schrift THE END geschrieben, die Schrift ist spiegelverkehrt darauf angebracht. Im Spiegel zeigt sich der Raum im Rückblick zusammen mit dem Betrachter. Die pathetische Feststellung des Endes, wie man sie aus älteren Filmen kennt, fügt in dieser Arbeit eine zeitliche Ebene zum räumlichen Spiegelbild hinzu. Faktisch ist die Raum-Zeit an dieser Spiegelwand zu Ende; für den Betrachter beginnt gerade dort jedoch in Kombination von Sprache und Spiegelbild ein illusionärer Raum. Im Film Starfield(2004) überführt Jordan Wolfson einen Punkt in eine Linie, die sich schier unendlich fortbewegt. Eigentlich handelt es sich hier nur um eine simple Version des ehemaligen Bildschirmschoners Starfield, man könnte diesen abstrakten Film jedoch auch als eine mögliche Darstellung von Unendlichkeit und Ewigkeit betrachten. In der perspektivischen Illusion des Films erscheinen die Linien als Parallelen; betrachtet man die Animation jedoch als zweidimensionales Bild, laufen die Linien aufeinander zu und könnten sich tatsächlich treffen. Das mathematische Axiom «Parallelen treffen sich im Unendlichen» wäre damit möglich. Auch in Quantenprozessen der Physik spricht man etwa von einer fortlaufenden Gegenwart, die ohne ein Geschehen auskommt, das Fakten schafft. Es handelt sich dabei lediglich um eine ‹Möglichkeitsphase›, meint der britische Philosoph Colin McGinn. Eine ewige Dauer ist dabei ebenso wenig wie eine punktuelle Gegenwart vorstellbar. Und dennoch verbinden wir zumindest ein konkretes sprachliches Konzept mit dem Wort ‹Ewigkeit›, sodass sie als Behauptung auch existieren kann. Versuchen wir es mal so: Ewigkeit ist zwar nicht vorstellbar, aber möglich. Und besonders an den Grenzen ästhetischer Erfahrung — etwa in den Arbeiten einiger zeitgenössischer Künstler — wird diese Möglichkeit überhaupt denkbar.
Die Arbeiten von Eva Berendes (*1974 in Bonn, lebt in Berlin) entstehen in einer künstlerischen Auseinandersetzung sowohl mit historischen als auch aktuellen formalistischen Tendenzen. Die geometrischen Kompositionen in ihren Malereien, Skulpturen, Reliefs und Rauminstallationen erinnern an kunstgeschichtliche Auseinandersetzungen mit Abstraktion wie den russischen Suprematismus, Konstruktivismus oder des Art Déco, ebenso wie an die architektonischen und gestalterischen Errungenschaften der Bauhaus Epoche. Die Vorhanginstallation im Galerieraum des Kunsthaus Baselland formuliert eine neue Konzeption des Raumes, dessen Lichtdurchflutung zwar gebremst aber nicht verhindert wird. In formaler Korrespondenz steht die Wandskulptur mit ihrem herausragenden Geflecht von auf Bambusstäben gespannten Wollfäden, welche nicht zuletzt an eine Harfe erinnert. Das Zusammenspiel der Formen, Farben und räumlichen Verflechtungen charakterisiert Berendes‘ Arbeitsstil, der die ästhetischen Formen des Modernismus in die Gegenwart überträgt.
Michaël Borremans (*1963 in Geraardsbergen, lebt in Ghent) ist v.a. mit seinen enigmatischen Zeichnungen und Malereien bekannt geworden, die sich auf Bildsprachen des Theaters, Kinos und der Wissenschaften beziehen. Parallel zur Tätigkeit als Zeichner experimentierte Borremans mit dem Medium Film, dessen Ergebnisse erstmals in der Amsterdamer Kunstinstitution De Appel im Jahre 2007 präsentiert wurden. Die Filme stehen in enger Verwandschaft zu den Zeichnungen und Malereien; sie können als Tableaux vivants betrachtet werden. Im Film The Feeding (2006), verwandt mit dem Gemälde The Appearance (2005), vollzieht eine Gruppe Männer ein nicht näher definierbares Ritual, welches Assoziationen von Nirvana-Appellen oder Götterbeschwörungen hervorruft. Die Hände der weiss gekleideten, an Ärzte oder Wissenschaftler erinnernde Männergruppe scheinen die weissen Flächen zum Schweben zu bringen, oder beziehen sie ihrerseits Energie aus jenen Objekten? Der Film bietet keine definitive Lösung an, sondern spielt vielmehr mit dem omnipräsenten visuellen und thematischen Schwebezustand. Die aufgebaute Spannung bleibt gleichförmig und verweigert sich einer Klimax.
Steve Van den Bosch (*1975 in Antwerpen, lebt in Rotterdam) thematisiert in seinen Arbeiten, die sich zwischen konzeptuellen, perfomativen Praktiken und installativer Inszenierung bewegen, gleichzeitig ihre Entstehung wie auch mögliche Lesarten in einem Ausstellungskontext. Licht- und Farbverschiebungen, die malerische Bildqualitäten mit der Dramaturgie einer Architektur verknüpfen, werden dabei untersucht. Van den Bosch beschreibt sein Vorgehen für die Arbeit in der Ausstellung folgendermassen: «Gegen Ende 2006 begann ich während meiner Galerie-Besuche in New York bei Marian Goodman, Gavin Brown’s enterprise, Baumgartner, etc. die weissen Wände mit meiner Videokamera aufzunehmen. Nachdem ich bemerkte, dass das nicht erlaubt war, musste ich mich wie ein normaler Besucher verhalten, um überhaupt mein Vorhaben zu realisieren. Aber das machte die Sache für mich nur noch interessanter, da dort nicht nur eine Verschiebung vom Kontext zum Ausstellungsgegenstand passierte, sondern auch ein Einfluss in umgekehrter Richtung deutlich wurde. Einmal durch die Bedingungen der Galerie selbst und zum Anderen, weil sie mich zu zahlreichen ‘Performances ohne Publikum’ zwangen, die nur vom Personal des jeweiligen Ortes bemerkt wurden.»
Ausgehend von einer intensiven Auseinandersetzung mit der Minimal Art, greift Tom Burr (*1963 in New Haven, Connecticut, lebt in New York) sowohl auf deren Charakteristika, wie auch auf die vom Kunsthistoriker Michael Fried in den 1960er Jahren kritisierte Schwachstelle der Minimal Art — eine gewissen Theatralität — zurück. Seine Skulpturen nähern sich Möbeln und Alltagsobjekten, aber auch der menschlichen Figur als Referenzsystem an. Sie thematisieren das Präfabrizierte, erinnern jedoch gleichzeitig durch ihre flexible Haltung an menschliche Stellungen und Stimmungen. Ihre Instabilität und Transportfähigkeit lassen sie mobil und veränderbar erscheinen. Häufig ergänzt Burr seine Skulpturen mit Alltagsobjekten, wie Büchern, Gläsern oder wie beim Werk in der Ausstellung mit einem älteren, abgetretenen Orientteppich, womit er die Evokation einer Stimmungslage unterschtreicht. Das ewige Thema der menschlichen Stimmungen und ihrer Präsenz in den Werken der Kunst bzw. auch die Ablehnung dieser Ebene in der Kunstkritik der Nachkriegsmoderne, erfährt bei Burr eine besondere Ausformung.
Friedrich Kunaths (*1974 in Chemnitz, lebt in Köln und Los Angeles) Installationen, Zeichnungen, Malereien und Fotografien werden oft mit Melancholie, dem Absurden und mitunter etwas Surrealem in Verbindung gebracht. Seine Werke sprechen von Stimmungen und dem nur allzu Menschlichen. Trotz des hohen emotionalen Gehalts folgen sie streng konzeptuellen Konstruktionsprinzipien, wie beispielweise in der Installation der Ausstellung, bei welcher das Ofenrohr eines Ofens im Eingangsbereich seinen Weg vermeintlich durch die Mauer bricht und im nächsten Raum sich über ein weit verzweigtes Ofenrohrsystem wieder hinaus schlängelt. Wie jemand, der sich aus einer Absurdität heraus entschlossen hat, das Material zweckzuentfremden und seinem Drang zur Tätigkeit — auch wenn es noch so wenig Sinn macht — nachzugehen. Kunaths Installation thematisiert nebst dieser menschlichen Attitüde auch die Idee des Netzwerkes generell: einem Netzwerk, in welches wir alle einbezogen und/oder auch ausgeschlossen sind: Ein Drinnen- und Draussen-Sein, ähnlich wie die Rohre sich durch verschiedene Raum- und Zeitkontinua zu schlängeln scheinen. Die dazugehörige Zeichnung schildert eine Anhäufung mathematischer Formeln, welche, wie von einem Genie schnell hingekritzelt, in der Ziffer Null enden. Führt alles letztendlich ins Leere? Bedeutet Null Leere, oder ist die Null ebenso ein Abstraktum wie die gesamte Rechnung selbst. Wo ist der Anfang, wo das Ende? Kunaths Installation scheint sich in einem Raum-Zeitgefüge aufzuhalten, in welchem das permanente Schweben, Abheben oder Sinken in die Unendlichkeit führt.
Aus zwei unterschiedlichen Werkgruppen von Fabian Marti (*1979 in Fribourg, lebt in Zürich) wurde für The Eternal Flame eine neue Präsentationsform entwickelt. Dabei umrahmt die Reihe grossformatiger Scans von Metall- und Gesteinsfragmenten einige Arbeiten aus kleinformatigen Titelseiten von Groschenromanen. Beide Arbeiten sind mit Hilfe einer speziellen Scan-Technik entstanden, bei der die Abdeckung des Geräts während des Scan-Vorgangs entfernt wird. Dadurch entsteht ein tiefschwarzer Hintergrund im Bild, der mit der Möglichkeit eines unbegrenzten Hintergrundes spielt. Gleichzeitig gewinnen die stark vergrösserten Gesteins- und Metallformationen eine fast übersteigerte Präsenz im Vordergrund. Es handelt sich um Material für Wertvorstellungen und Bedeutungen, die man Steinen, Metallen oder Bildern der Natur verleiht: das kristalline Gestein als Ordnungsprinzip, eine verlaufende metallische Form, die Kopie eines Ruinenmotivs von Caspar David Friedrich. Wenn Marti die Büste eines antiken Denkers von der Sockelunterseite zeigt, so reduziert diese Handlung den bedeutsamen Gegenstand auf eine geometrische Standfläche und einen intimen Blickwinkel in die Nasenlöcher. Die Dinge erhalten ebenso wie ihre Bedeutungen oder philosophischen und historischen Fragen einen möglicherweise unbegrenzten Hintergrund.
Kris Martin (*1972 in Kortrijk, lebt in Ghent) setzt sich in seinen Installationen, Zeichnungen und Performances mit der Beziehung zwischen Betrachter, Bild und zeitlichen Konzepten auseinander. In der Ausstellung begegnet man einer Spiegelarbeit, die in lebensgrossem Masstab Besucher und Raum an der Bildoberfläche reflektiert. Allerdings mit einer kleinen, aber effektiven Veränderung: THE END steht dort in geschwungener Schrift, spiegelverkehrt geschrieben. Die pathetische Feststellung des Endes, wie man sie aus älteren Filmen kennt, fügt in der Arbeit eine zeitliche Ebene zum räumlichen Spiegelbild hinzu. Faktisch ist die Raum-Zeit an dieser Spiegelwand zu Ende; für den Betrachter beginnt in der Überblendung von Sprache und Spiegelbild ein illusionärer Raum. Möglich, dass der Spiegel eine Schwelle zum Projektionsraum des imaginären Filmprojektors markiert. Nur eine einzige Szene wird hier unter dem lakonischen Titel THE END aufgeführt: Das Spiegelbild eines Ausschnitts der Gruppenausstellung mit den Besuchern als handelnde Personen.
«Sowohl in kleinformatigen Objekten wie in raumgreifenden Installationen nährt sich das Schaffen von Edit Oderbolz (*1966 in Stein/Rhein, lebt in Basel) aus einer fast masslosen Zuneigung zu Materialien und Gegenständen, deren allgemeine Wertschätzung oft Jahre und Jahrzehnte zurücklegt» (Isabel Zürcher). Auch die in der Ausstellung präsentierten Bildarrangements aus Spanplatten hinter Glas handeln von diesem Zugang zu rezyklierbarem Material. Die Schnittstellen der verschieden geometrischen Formen tragen die ‹Verletzungsspuren› des Materials deutlich zu Tage. Sie ergänzen sich in ihrer Gesamtheit zu einer geometrischen Komposition, welche die Wand als Träger an den jeweiligen Leerstellen gleich miteinbezieht. Die verschiedenen Weisstöne zeugen von unterschiedlichen ursprünglichen Kontexten, aus denen die Materialien stammen und je nach Sonneneinstrahlung eine andere Nuancierung erfahren haben. Beinahe ironisch wirkt der Haltbarkeitsversuch, der darübergelegten Glasplatten, die den Anschein erwecken als ob sie das Dahinterliegende beschützen möchten. Doch auch sie werden zum integralen kompositionellen Bestandteil und das Schützen bzw. Haltbarmachen ad absurdum geführt.
Florian Pumhösl (*1970 in Wien, lebt in Wien) spürt in seinem Werk der visuellen Grammatik von Formen historischer Fundstücke aus Architektur, Design und Kunst nach. Dabei geht es vor allem um die Frage einer möglichen Übersetzung zwischen verschiedenen kulturellen Räumen und zeitlichen Ebenen. Der 16mm- Film OA 1979-3-5-036 stellt einen künstlerischen Transfer abstrahierter Formen aus dem Schnittmusterkatalog für Damen der höheren Gesellschaft im Japan des 17. Jahrhunderts dar. Die Schnitte der damals äusserst populären Publikation wurden vom Kimonohändler Take Hiratsugi aus Landschaftsmotiven, floralen Formen oder Architekturdetails gewonnen. Pumhösl arrangierte ausgewählte Designs für seine vereinfachten Darstellungen in einer Negativform des 16mm-Films und markierte mit dem zunächst kryptischen Titel der Arbeit den kulturellen Transfer des Musterkatalogs vom fernöstlichen Kontext über die Bibliothek eines britischen Kunsthistorikers bis schliesslich in den Bestand der British Library, von deren Inventarnummer die Arbeit nun ihren Namen erhalten hat.
Der britische Künstler Damien Roach (*1980 in Bromley/Kent, lebt in London) verwendet oft gefundenes Bildmaterial und setzt sich mit möglichen Deutungen und Stereotypen auseinander, die jene Fundstücke in heutiger Lesart auslösen können. Etwa wie der seltsame Gesichtsausdruck einer über 1000-jährigen Moorleiche, die Roach in leuchtender Signalfarbe auf Leinwand gedruckt hat. Der Mund steht halb offen, die Augen sind mit einem Band verschlossen. Es erweist sich über diesen Zeitabstand hinweg als überaus schwierig, diese Gesten zu dechiffrieren. Vielleicht liegen dem Zustand des Kopfes rituelle oder religiöse Bedeutungen zu Grunde, eventuell handelt es sich sogar um das Opfer eines Verbrechens. Roach gruppiert den Siebruck mit einem drehenden Kubus, der die umliegenden Arbeiten, Lichteinflüsse und Besucher in seiner permanenten Bewegung widerspiegelt. Hat sich etwas während der Zeitspanne einer Umdrehung verändert? Das spiegelnde Objekt macht zeitliche Distanzen erfahrbar und reflektiert gleichzeitig räumliche Fixpunkte.
Hagar Schmidhalter (*1968 in Raron, lebt in Basel) greift in ihren Zeichnungen, Collagen, Videos und Installationen auf Bildmaterialien und Bildträger zurück, die oftmals den Ergebnissen von Vervielfältigungsprozessen entspringen. Zeitungen, aneinandergeklebt und mit Silberfarbe bestrichen, werden zu einem Vorhangbild. Die metallene Oberflächenstruktur verbindet historische Diskurse um das monochrome Bild mit der Frage eines erzählerischen Moments, welches im Widerspruch zur historischen Vorlage steht. Für Schmidhalter sind das Zulassen von Strukturen und Gestik, ebenso wie die Setzung von Kompositionselementen wichtige Bestandteile ihrer künstlerischen Entscheidungen. Eine Abbildung von Caravaggios Stilleben mit Früchtekorb diente als filmisches Grundmaterial, welches mittels einer Animation umgedeutet wurde. Ein Blatt aus dem gemalten Arrangement löst sich und landet beinahe in der Mitte, wobei es eine Traube ablöst, die wiederum aus dem Bild fällt. Das vermeintlich ewige ‹Nature morte› bzw. das für die Ewigkeit festgehaltene Stilleben, bekommt eine aktuelle Neubelebung, welche ihrerseits eine Verewigung im permanenten Loop des Videos erfährt. Schmidhalter rezykliert Materialien, seien sie aus dem Alltag, aus Bildarchiven oder aus der Kunstgeschichte. Sie thematisiert die ewige Verwertbarkeit alles Bestehenden, welches in der Auflösung und Neugestaltung seine Gegenwärtigkeit erfährt.
Weite Landschaften, Korallen oder ein Architekturmodell aus der Vogelperspektive — in Shirana Shahbazis (*1974 in Teheran, lebt in Zürich) fotografischen Arbeiten scheinen diese Motive zu kulturgeschichtlichen Archetypen zu mutieren. Man könnte fast meinen, eine Reihe bedeutsamer Kulturdenkmäler abgebildet zu sehen. Einige Sujets erhalten durch monochrome Farbgebungen oder Hintergründe eine geradezu beispielhafte Wirkung: eine Blüte wird vor rotem Hintergrund gezeigt, der Ausschnitt einer Wasseroberfläche in intensiven Blautönen dargestellt. Obwohl man im Bildtitel dem fotografischen Produktionsprozess mit Aufnahmeort, —datum und der Zuordnung in eine Werkgruppe folgen könnte, gewinnen die abgebildeten Motive eine signalhafte und gleichsam überzeitliche Präsenz. Die plakativen und exemplarischen Qualitäten ziehen sofort die Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich, wodurch die Sujets aus völlig unterschiedlichen kulturellen und geographischen Zusammenhängen wohl viel Raum für produktive Missverständnisse eröffnen. In den Landschaftsaufnahmen spielt der im Titel genannte Ort — zu einem präzise genannten Zeitpunkt aufgenommen — praktisch keine Rolle mehr als einzigartiger Bildausschnitt, viel eher kann er als die typische Landschaftsfotografie gesehen werden. Für den Ausstellungskontext stellt Shahbazi aus verschiedenen Werkgruppen immer wieder neue Kombinationen zusammen, die auch auf mögliche Deutungen der ‹Archetypen› und auf die Rezeptionsgeschichte ihres Genres verweisen.
Die Ebenen von Natur, Architektur und Geometrie blendet Claudia Wieser (*1973 in Freilassing, lebt in Berlin) in ihren Arbeiten übereinander, wenn sie Fotodrucken von imposanten Bergszenerien aus der Reiseliteratur des 20.Jahrhunderts eine geometrische Form aus Blattsilber hinzufügt. Man könnte versucht sein, die Silberform als architektonisches Prinzip der Formentstehung in der Natur zu betrachten. Ein Schema, dessen Konstruktion eine geometrische Formel zu Grunde liegen könnte. Wieser spannt damit ebenso einen Bogen zu Künstlern wie Karl Blossfeldt und Architekturtheoretikern wie Siegfried Giedion, die in den 1940er Jahren ‹ewige Konstruktionsmuster› der Natur auf ästhetischer Ebene zu entschlüsseln versuchten. Zwei wandfüllende Arbeiten, die auf architektonischer Ebene in die Ausstellung eingreifen, basieren auf stark vergrösserten Ausschnitten von temporären Papiercollagen, die den Eingangsraum des Kunsthaus Baselland bestimmen. Aus einer gewissen Entfernung scheinen die fraktalen Strukturen sogar ein räumliches Gefüge anzudeuten, das an konstruktivistische Gestaltungsansätze knüpft. Bei näherer Betrachtung lösen sich die räumlichen Konstruktionen jedoch im groben Raster der kopierten Blätter zunehmend auf. Wiesers Wandarbeiten eröffnen die Gruppenausstellung mit einer räumlichen Vorahnung und lassen gleichzeitig die zersplitterte Raumstruktur des Hauses erahnen, das sich auf unterschiedlichen Ebenen und in verschiedene Richtungen ausdehnt.
Im 16mm-Film Starfield animiert Jordan Wolfson (*1980 in New York, lebt in New York) helle Punkte vor dunklem Hintergrund, die sich schier unendlich fortbewegen. Man könnte an Weltraumvisionen von Science-Fiction-Produktionen denken, wo der Blick aus dem Raumschiff ins All schweift. Tatsächlich handelt es sich hier nur um eine simple Version des in den 1990er Jahren weit verbreiteten Bildschirmschoners Starfield. Man könnte diesen abstrakten Film jedoch auch als eine mögliche Darstellung von Unendlichkeit und Ewigkeit betrachten. In der perspektivischen Illusion des Films erscheinen die Umlaufbahnen der Sterne als Parallelen; betrachtet man die Animation jedoch als zweidimensionales Bild, laufen die Linien aufeinander zu und könnten sich tatsächlich treffen. Das mathematische Axiom «Parallelen treffen sich im Unendlichen» wäre damit möglich. Wolfson evoziert in seinen Arbeiten oft die Vorstellung von unendlichen Räumen oder zeitlichen Sphären oder auch unbegrenzten Möglichkeiten und Kräften. In seinen Bildwelten wähnt man diese Optionen zum Greifen nahe, sie scheinen dem Betrachter tatsächlich ein Fenster zu neuen Dimensionen zu öffnen. Jemand, der offenbar schon die Erfahrung einer Zeitreise hinter sich hat, ist der Interviewpartner in Wolfsons neuer Arbeit End of Time. Angeblich wurde Al Bielek in seiner Vergangenheit auf eine solche Tour geschickt und kam mit erstaunlichen Erlebnissen aus der Zukunft zurück. Statt jedoch nur einen Dokumentarfilm dieser Begegnung zu zeigen, blendet Wolfson die Unterhaltung mit dem Zeitreisenden aus und thematisiert die Herstellungsgeschichte der Arbeit. Auf zwei parallelen Videospuren begleiten wir den Protagonisten auf einer schier endlosen Bootsfahrt, es wird weder Abfahrt noch Ankunft gezeigt. Die Tonspur erzählt von einem Telefongespräch des Künstlers mit einem Kollegen, in dem mögliche Präsentationen der Arbeit im Kunstkontext erörtert werden. Ist es überhaupt glaubwürdig, aus der Zukunft zu berichten? Die Figur des Zeugen bleibt eine Fiktion
Philippe Decrauzat (*1974 in Lausanne, lebt in Lausanne) greift auf Formen, Motive und Auseinandersetzungen aus der Film- und Kunstgeschichte, aus dem Bereich des Grafikdesigns, der Architektur, Literatur und der Musik zurück. Er eignet sich jene nicht bloss an, sondern baut daraus ein subtiles und weit verzweigtes Referenznetzwerk auf. Der Film A Change of Speed, A Change of Style, A Change of Scene Part II bezieht seine Inspiration aus dem Aufeinandertreffen der Welten der populären Science-Fiction-Unterhaltung, der experimentellen Filmkunst und der wissenschaftlichen Forschung. Einerseits nimmt Decrauzat Bezug auf Forschungsreisen, wie sie Ende der 1950er Jahre in der amerikanischen Fernsehserie The Twilight Zone gezeigt wurden, als das Sehen einer fremden Welt gleichbedeutend mit deren Eroberung war. Andererseits bildet die Tradition der Flicker-Filme und der Rhythmus des Pulsars, dessen Frequenz in den 1960er Jahren entschlüsselt wurde, einen wichtigen Ausgangspunkt für die Arbeit. «Hier dreht sich alles um ein zunehmend frenetisches Pulsieren, das in letzter Konsequenz die Unmöglichkeit des Sehens bedeutet.» (Katya García-Antón und Bice Curiger)