Whispers from Tides and Forests

11.4.  —
17.8.2025


Caroline Bachmann, Johanna Calle, Lena Laguna Diel, Abi Palmer, Nohemí Pérez, Naufus Ramírez-Figueroa, Belén Rodríguez, Ana Silva, Julia Steiner, Surma, Liu Yujia

Es ist eine Ausstellung der leisen Töne und zugleich der feingliedrigen, neuen Geschichten, die wir in Zeiten von Krisen und Umwälzungen anfangen sollten zu erzählen. Vor dem Hintergrund von Klimawandel, Bedrohung und Ausbeutung von Landschaften, Wäldern und Flüssen oder auch Migration infolge von klimatischen oder politischen Extremsituationen, die sich aktuell weltweit immer deutlicher abzeichnen, braucht es neue Narrationen, die von den bisherigen Geschichten abweichen mögen. Denn wir sollten uns, so formulierte es jüngst die Professorin und Anthropologin Anna Tsing, heute darauf einstellen, ohne die alten Erzählungen auszukommen, die uns sagen könnten, wo es weitergeht.

Die eingeladenen, international tätigen Künstler*innen ermöglichen diese feinen, neuen Erzählungen, die den Menschen in eine neue Beziehung von Raum, Zeit und Körper setzt. Sie erzählen von Fürsorge und Sorgfalt im Miteinander von Mensch und Natur, aber auch von einem Nach-vorne-Schreiten und der Kraft der Resilienz, ohne das gegenwärtige Geschehen auszublenden. Sie gewähren einen Blick in die Welt – von Südamerika bis Europa – zu krisenreichen Orten und Themen von Verletzlichkeit und Verlust, aber auch zu Bäumen, Waldböden mit Pilzkulturen, Flüssen und Landschaften voller Schönheit, Poesie und Zukunft.

KuratorIn: Ines Goldbach

Nohemí Pérez: Bosque No. 1; Bosque No. 5; Bosque No. 3., 2021
Nohemí Pérez: Bosque No. 1; Bosque No. 5; Bosque No. 3., 2021. Courtesy of the artist and Galería Elba Benítez. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2025. Foto: Gina Folly

Den Einstieg in den grossen Parcours machen die Künstlerinnen Nohemí Pérez, Julia Steiner und Lena Laguna Diel im ersten Raum. Die in Kolumbien lebende Nohemí Pérez widmet sich seit Jahrzehnten in ihrem vornehmlich zeichnerischen Werk den Regionen des globalen Südens. Dabei blickt sie vor allem auf Geschichten von Vertreibung, Auslöschung und Beherrschung von Lebensräumen, die – geteilt von Tier und Mensch –, abgeholzt, abgefackelt und ausgebeutet werden. Für Pérez ist es, wie sie in einem Gespräch formuliert, der Klimawandel, der die Situation globaler Verwundbarkeit noch mehr verstärkt hat; denn eben durch die globale Erwärmung werden noch mehr Brände verursacht, werden Beherrschung und Domestizierung der Region verstärkt. Zugleich, so die Künstlerin, verschwimmen auch die Grenzen zwischen Nord und Süd, denn die Auswirkungen sind vor allem global zu spüren.

Viele Wochen und Monate arbeitet die in Bogotá lebende Künstlerin an den grossen Zeichnungspanoramen, die Landschaften wie Wälder, einzelne Bäume oder auch Flusslandschaften zeigen können. Schicht um Schicht taucht man im Näherkommen in diese Naturräume ein, die auch die grössten Räume im neuen Kunsthaus Baselland vollständig einnehmen. Im Näherkommen fügen sich in die grossen, schwarz-weissen Kohlezeichnungen und Landschaften immer wieder bunte Malereien oder auch Stickereien ein – sei es auf separaten, kleinformatigen Gemälden oder sei es auch innerhalb der grossen Zeichnungslandschaften. Darauf angesprochen, berichtet Pérez von dem
Vergnügen und auch der Notwendigkeit für sie, während des Arbeitsprozesses Farbe und damit auch Leben in das dunkle Schwarz-Weiss zu bringen. Für sie sei dies ein Versuch, Wesen und Fragmente vor dem Aussterben zu retten, also etwas zu reparieren, was wir im Begriff sind zu verlieren.


Julia Steiner: whispering systems, 2022 – 2023
Julia Steiner: whispering systems, 2022 – 2023. Courtesy of the artist and Galerie Urs Meile. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2025. Foto: Gina Folly

Die in Basel tätige Künstlerin Julia Steiner wiederum schuf über den Zeitraum von zwei Jahren die Serie whispering systems mit 62 unterschiedlichen Objekte aus verkupferten Gräsern. Ähnlich wie ein grosses Gräserfeld sind nun ein grosser Teil der Serie der kupfernen, feingliedrigen Werke über die ganze Wand in Höhe und Breite verteilt. Steiner sammelte hierfür aus ihrer unmittelbaren Umgebung unterschiedliche, langstielige Gräser, die sie nach teils spielerischen, teils konzeptionellen Mustern und Netzwerken gemäss der gewachsenen Linien knickte und anordnete. In jedem Stück suchte die aus der Zeichnung kommende Künstlerin nach einer eigenen Gesetzmässigkeit der Anordnung und Struktur. Die so entstandenen feinen Raumzeichnungen wurden im Galvano-Verfahren verkupfert und damit stabilisiert und konserviert. So steckt in jedem der kupfernen Objekte noch immer das Gras selbst – gleich einer Erinnerung an die natürlich gewachsene Form und Struktur, die in der Natur meist nur von kurzer Dauer ist und nun eine langlebige Form gefunden hat.

Durch eben diese Materialverschiebung erhalten die Objekte für die Künstlerin eine neue Wirkung und zugleich Aussage. Flüchtiges wird beständig und bleibt doch im Moment von Stabilität und Fragilität; ein Grundzustand, der in der zeichnerischen Praxis von Steiner seit vielen Jahren eine wichtige Rolle spielt. Es interessiere sie, so Steiner im Gespräch, das körperliche In-der-Welt-Sein und das Erfahren von Raum und Zeit, von Bewegung und immerwährender zyklischer Erneuerung; wie alles miteinander in Verbindung steht: Mensch, Natur, Lebewesen. Daher zeige ihr auch das genaue Hinsehen auf das Leise, das Feine und das Zerbrechliche die Kraft des grossen Ganzen.

Mit umfassenden Raum- und Wandzeichnungen, die die Künstlerin sowohl für den kurzen Zeitraum einer Ausstellung als auch eine sehr viel längere Periode oder gar permanent realisierte, ist die Zeichnung für Steiner ein künstlerisches Medium geworden. Ein künstlerisches Mittel, um Natur nicht 1:1 abzubilden, sondern vor allem in ihrer Fragilität zu erfassen. «Ich versuche», so Steiner, «dieser Fragilität und Kraft, der Flüchtigkeit und Wandelbarkeit des Wachsens, Werden und Vergehens in und mit meiner Arbeit nachzuspüren und mich mit ihr zu verbinden.»


Lena Laguna Diel: De quien sembramos las semillas  (From whom we sow the seeds), 2025
Lena Laguna Diel: De quien sembramos las semillas (From whom we sow the seeds), 2025. Courtesy of the artist. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2025. Foto: Gina Folly

Auch Lena Laguna Diel ist für ihre Arbeit in die Natur gegangen, um unmittelbar mit ihr zu arbeiten. Sie sammelte Pflanzen, die an Wasserpflanzen erinnern, oder solche, die für Bewegung stehen, aber auch für Pflanzenarten, die sich unserer Sichtbarkeit meist entziehen. Das Gesammelte diente der spanisch-schweizerischen Künstlerin als Grundlage für das grosse Diptychon, das vollständig in der Technik der Cyanotypie entstanden ist. Die Cyanotypie ist ein altes fotografisches Verfahren, bei dem lichtempfindliche Eisenverbindungen durch UV-Licht belichtet werden. Dabei entstehen charakteristische Blautöne, die feine Strukturen und Formen mit hoher Präzision festhalten. Gerade durch das gewählte Verfahren entstehen tiefblaue Silhouetten, die die feinen Strukturen und Bewegungen der Pflanzen sichtbar machen und zugleich eine Anmutung an Bewegung erzeugen. In einem weiteren Schritt habe sie die Silhouetten der Pflanzen wiederum aus grossen Papieren ausgeschnitten, in Form von gleich grossen Scherenschnitten, und als Schablonen für weitere Cyanotypien genutzt. Durch diese Art der Doppelung legt sich eine abstraktere Form der Gewächse über die direkte Abbildung der Pflanzen, ähnlich eines künstlerischen Echos.

Dieser Dialog von dokumentarischer Genauigkeit und abstrakter Weiterführung ermöglicht Diel, die aus der Malerei kommt und sich seit ihrem Studium auf deren Erweiterung konzentriert, eine wichtige inhaltliche Überlagerung: Mit der Technik der Cyanotypie lenkt die Künstlerin den Blick auf Bewegungen und Erscheinungsformen von Lebewesen und Pflanzen, die unserem Auge normalerweise verborgen bleiben – von unter Wasser gedeihenden Arten bis hin zu ausschliesslich nachtaktiven Vögeln, wie sie in einer weiteren Werkserie erscheinen. Durch die Grösse der hier in der Ausstellung gewählten Arbeit war es Diel zudem nur möglich, die technische Umsetzung der grossen Leinwände im Aussenbereich durchzuführen. Die Natur hat sich daher in mehreren Schichten und auf unterschiedlichen Ebenen in die Leinwände eingeschrieben.

Abi Palmer: Abi Palmer Invents the Weather, 2023
Abi Palmer: Abi Palmer Invents the Weather, 2023. Quad HD video, single channel. Video still. © Abi Palmer. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2025. Foto: Gina Folly

Doch wie eine Beziehung mit Landschaft und Natur, den Gezeiten oder Jahreszeiten aufbauen, wenn ein Gang nach draussen verwehrt bleibt? Was viele von uns bislang nur in abzählbaren Tagen des Krankseins und des Zuhause-bleiben-Müssens kannten, nahm in Zeiten der Pandemie weltweit plötzlich ganz andere Formen an; die in Grossbritannien lebende Künstlerin
Abi Palmer begann während dieser Zeit in ihrer Wohnung zu performen und zu filmen. Da sie immungeschwächt und anfällig für Covid-19 ist, konnte sie ihre Wohnung für längere Zeit nicht verlassen. Wichtigste Protagonisten dabei sind ihre beiden Katzen Cha-U-Kao und Lola Lola; zwei Lebewesen, die die Landschaft, Natur, Wind und Wetter genauso zum Leben und Überleben brauchen wie wir Menschen, die nicht gut eingesperrt und damit abgetrennt vom Aussen leben können. Für die vier Videofolgen, die den vier Jahreszeiten entsprechen, versammelte Palmer in unterschiedlichen Kartonboxen Materialien aus der Natur oder schuf dergleichen durch Fermentation, Destillation oder auch das Sammeln von Blättern, Moosen usw. bei den spärlichen Gängen nach draussen. Ähnlich eines Liebesbriefs, wie es die Künstlerin formuliert, ist die performative Videoarbeit auch eine Anerkennung der Lebensnotwendigkeit der Natur für uns Lebewesen; aber auch an die Schönheit, Wetter und Jahreszeiten mit allen Sinnen wahr- und aufnehmen zu können, wie Regen, Gerüche, Nebel, Licht, Hitze usw. Die Katzen zeigen sich in den Videosequenzen als zarte Lebewesen, die sich aufmerksam zu dem sie Umgebenden und der von der Künstlerin realisierten Umgebung frei und ohne Zwang verhalten. Für Abi Palmer sind die vier Videokapitel zugleich eine grosse filmische Meditation über ihre eigenen Gedanken zur globalen Klimakrise: ein Versuch, mit einer natürlichen Welt zu sprechen – und sich mit ihr zu verbinden –, die nicht zurücksprechen kann.


Ana Silva
Ana Silva: Sem título [Untitled], Courtesy of the artist and Collection of Anna Federici and Roberto D’Agostino. Guardiãs 002; Guardiãs 005-007; Guardiãs 015-019, Courtesy of the artist and A Gentil CARIOCA Rio de Janeiro. © 2025, ProLitteris, Zurich. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2025. Foto: Gina Folly

Weibliche Stärke und Verletzlichkeit sind auch die anhaltenden grossen Themen der aus Angola stammenden und in Portugal lebenden Künstlerin Ana Silva. Es sei eben gerade ihrer Herkunft geschuldet, so die Künstlerin im Gespräch, dass die sensiblen, globalen Fragen wie Wassermangel, fehlende Schulen oder ein prekäres, meist nicht vorhandenes Gesundheitswesen – also jene fundamentalen Grundlagen für ein menschenwürdiges Leben – die grossen Themen ihres Werkes bilden.

Auf nahezu durchsichtigen Gazestoffen oder auch Fotodrucken auf Leinwandstoff stickt die Künstlerin in der hier präsentierten neuen Werkserie Narrationen und Fragmente intimer Erinnerungen. Die Frau ist dabei für sie ein zentrales Motiv, so Silva, da sie als Personifikation der Natur dargestellt werden kann, aber auch Fruchtbarkeit und Erneuerung symbolisiert. Erst in der Überlagerung der Bilder und ihrem Durchscheinen beim Gang durch den textilen «Bilderwald» könne sie die Verbindung von Natur, Wasser, Gezeiten, Vegetation und Tieren sowie Frauen und Kindern in ihrem wechselseitigen Verbundensein ansprechen. Totems treten ebenso in der vielschichtigen Narration auf wie Schutztiere, die in vielen afrikanischen Legenden und Traditionen die Fürsorge für die Natur und das Weibliche in eine wichtige Wechselbeziehung setzen. In Afrika, so Silva, seien die Frauen die tragende Säule, die nicht nur das Leben, sondern auch Kultur, Weisheit und Hoffnung weitergeben. Seit den Anfängen der Zivilisation spielten Frauen eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung von Gesellschaften und der Weitergabe von Wissen von Generation zu Generation. Sie seien daher wichtige Bewahrerinnen des Gedächtnisses, die Schöpferinnen von Verbindungen und die Motivatorinnen des Wandels. Mit Blick auf die anhaltend globale Stellung der Frau und ihrer teils massiven Unterdrückung und auch in vielen Ländern lebensgefährlichen Bedrohung und Verletzung versteht man den Ruf der Künstlerin nach einer weltweiten, gleichberechtigten Anwesenheit von Weiblichkeit für den Aufbau einer gerechteren und harmonischeren Zukunft.

Liu Yujia: Mushrooms, 2023
Liu Yujia: Mushrooms, 2023. Single channel 4K film Color, stereo sound. Video still. Courtesy of the artist. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2025. Foto: Gina Folly

Einen ganz anderen Blick auf das Thema Zukunft nimmt die in Beijing lebende Künstlerin Liu Yujia, die in den Ökosystemen der nordöstlichen Wälder von Asien Pilzkulturen nachspürte. Während der Dreharbeiten zu ihrem grossen Changbai Mountain Project in den bewaldeten Regionen des Changbai-Gebirges an der chinesisch-nordkoreanischen Grenze begleitete Liu Yujias häufig einheimische Ginseng-Sammler. Es war eine Reise in die Tiefen der gemischten Nadel- und Laubwälder, um nach Ginseng und anderen seltenen Heilpflanzen zu suchen. Diese eindringliche Erfahrung erinnerte die Künstlerin selbst oft an Anna Lowenhaupt Tsings Buch Der Pilz am Ende der Welt. Während Tsing in ihrer Ethnografie in erster Linie die globale Warenkette der Matsutake-Pilze und ihre Überlebensstrategien in den Ruinen des Kapitalismus untersucht, lenkte sie, so die Künstlerin Liu Yujia, ihre Aufmerksamkeit auf die verschlungenen und dynamischen biologischen Netzwerke und Mikrokosmen, die unter dem Blätterdach des Waldes gedeihen. Besonders fasziniert sei sie von dem gedämpften, flüchtigen Licht gewesen, welches das Unterholz durchdringt, gleich einem Phänomen, das sie als die belebende Kraft dieses Ökosystems betrachte. Es ist gerade dieser Blick der Videokamera, deren tiefer Standpunkt sowie der gesetzte Zeitraffer, die dem Gegenüber dieses unmittelbare Erfahren-Können von Wachsen, Bewegen und Sich-aufeinander-Beziehen von Pilzen, Moosen, Insekten, Myzelnetzen und Boden zwischen flüchtigem Licht und Schatten ermöglicht. In dieser lichtdurchfluteten Umgebung stehen die gesamte Flora und Fauna des Unterholzes in einem ständigen Energieaustausch, der eine symbiotische gegenseitige Abhängigkeit fördert und fordert. Mithilfe der Makrofotografie vergrössert die Künstlerin diese komplexe Ökologie des Unterholzes. Im Loop der Videoarbeit zeigt sich die unglaubliche Schönheit und Vielfalt an Form-, Farb- und Wachstumsvarianten. Zugleich führt Liu Yujia in ein ausgeprägtes dschungelartiges Reich und beleuchtet darin die symbolische Rolle von Pilzen, Myzel und Licht, die als subtile und zugleich lebenswichtige Energien innerhalb des breiteren ökologischen Netzwerks des Unterholzes existieren.


Surma: : hollow of an empty womb, 2025; : gasp, 2025; : decrepit, 2025; echoes : echoes, 2025; : roots of coexistence, 2025; : sempiternity, 2025; : shared threads, 2025
Surma: : hollow of an empty womb, 2025; : gasp, 2025; : decrepit, 2025; echoes : echoes, 2025; : roots of coexistence, 2025; : sempiternity, 2025; : shared threads, 2025. Courtesy of the artist. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2025. Foto: Gina Folly

Die in Portugal lebende Soundkünstlerin Surma speichert die Klänge, Atmosphären, aber auch die Stille von all jenen äusseren Reizen, die auf sie einwirken, ausserhalb ihrer täglichen Routine und Erfahrungen – meist auf Reisen. Die Natur sei, so die Künstlerin, eine ihrer wichtigsten Inspirationsquellen, denn sie böte sowohl einen Raum der Stille als auch eine breite Palette an Klängen, die sie erforschen und mit denen sie arbeiten könne.

Erstmals präsentiert sie eine Fotoserie in Verbindung mit einem Soundtrack, die sie auf ihrer jüngsten Reise nach Los Angeles realisierte – unter dem dramatischen Eindruck der grossen Brände rund um die Grossstadt. Ausgehend von diesen Bildern, überlagert die Künstlerin weitere Orte und Zeiten – eine Gleichzeitigkeit von Ereignissen. Es sei ein Gefühl der Dringlichkeit gewesen, das sie dazu angehalten habe: Es spiegelt das Chaos wider, das die Welt derzeit erlebe und das die Gesellschaft zunehmend verängstige, mit zugleich wenig Zeit für sich selbst und weniger Empathie füreinander. Dringlichkeit ist denn auch ein Wort, das Surma oftmals für ihr Werk und auch ihren künstlerischen Motor verwendet. Auch jene Überlagerung von Bild und Sound, Spannung, Chaos, Traurigkeit, aber auch von Fürsorge und Hoffnung. Denn es ist gerade die Soundkomposition, die die Stille der Bilder durchbricht. An unterschiedlichen Orten als Soundkünstlerin auftretend oder auch in Kooperation mit Künstler*innen arbeitend, sind Klang und Sound für Surma auch ein mächtiges sozialpolitisches Instrument, um Emotionen, Empathie und damit auch ein soziales Bewusstsein zu wecken – gleichsam eine universelle Sprache. Aus feministischer Sicht werden, so die Künstlerin, Klänge seit Langem eingesetzt, um Stimmen zu verstärken, die an den Rand gedrängt oder zum Schweigen gebracht werden. Schon das Erzeugen und Weitergeben von Klängen ist ein Akt des Widerstands, eine Identitätserklärung und ein Aufruf zur Gleichberechtigung. Klang sei in der Lage, die Aufmerksamkeit auf Themen wie Geschlecht, Ungleichheit und Gewalt zu lenken.

Johanna Calle: Perímetros (Guayacán), 2023
Johanna Calle: Perímetros (Guayacán), 2023. Courtesy of the artist and Galerie Krinzinger, Wien. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2025. Foto: Gina Folly

Der Gang in das erste Obergeschoss des Kunsthaus Baselland führt direkt in die feingliedrigen Werke von Johanna Calle. Gerade das Wechselspiel aus Fern- und Nahsicht birgt die Überraschung: Was von Weiten noch als Zeichnung anmutete, entfaltet sich in der Nahsicht als Linien und Naturformationen, die mit geschriebenen Texten verknüpft sind. Dabei greift die in Kolumbien lebende Künstlerin als Trägermaterial sowohl auf alte Fotografie, alte Landkarten oder Dokumente zurück. Ihr Interesse an Bäumen, Blättern, Stämmen, Wäldern, Gärten, Bonsais, Wasserressourcen geht auf eine langjährige Beschäftigung und auch Forschung zurück. Dabei interessiert sie vor allem das sich gegenseitig Bedingende: Für die Darstellung von Bäumen verwendete sie am liebsten altes Papier, für dessen Herstellung schon vor langer Zeit Bäume gefällt werden mussten. Wie könne man, so die Künstlerin, diesen Schaden rückgängig machen? Heutzutage sei die Verwendung von Papier so alltäglich, dass sein Überfluss als selbstverständlich angesehen werde. Daher sei es für sie wichtig, dem nachzuspüren, welche Bedeutung Papier in früheren Zeiten gehabt habe.

Zusammen mit ihrem Mann Julio C. Pérez N. hat Johanna Calle angefangen, sich auf historische, ethnografische und volkstümliche Vintage-Fotografien, hauptsächlich kolumbianischer und lateinamerikanischer Herkunft, zu konzentrieren. Sie besuchen Antiquitätengeschäfte, Auktionshäuser, staatliche Versteigerungen, Privatverkäufe, Antiquariate und Märkte, um Archive zu erwerben und diese zu klassifizieren und zu erforschen. Neben analogen Fotos, Negativen und Dateien ist es auch unbelichtetes altes Fotopapier, das als mögliche Ressource betrachtet wird. Gerade aus dieser Beschäftigung gehen zahlreiche schöpferische Momente hervor. So spricht Calle hier auch von Resonanzmaterial, das sie wiederum für ihre eigenen Werke benutze. Auf diese Papiere bzw. unterschiedlichen historischen Untergründe zeichnet und schreibt sie vornehmlich mit einer ebenfalls historischen Schreibmaschine aus den 1940er-Jahren. Aus den rund zwanzig Maschinen, die je nach Beschriftung, Grösse und Datum unterschiedlich sind, bestimmt die Künstlerin die Art der Zeichnung. Die Kombination einer Maschine mit einem bestimmten Papier, einem bestimmten Text, einem Jahrzehnt oder einem Bild sei für sie bewusst und bedeutungsvoll, denn sie betrachte die Schreibmaschinen durchaus als ein politisches künstlerisches Werkzeug. Etwa hätte es Zeiten gegeben, als es für Frauen kaum Arbeitsmöglichkeiten gegeben habe und die Sekretariatsarbeit eine der wenigen Tätigkeiten geblieben sei, die in der patriarchalischen und konservativen Gesellschaft ihres Landes akzeptiert worden sei.


Caroline Bachmann: Le Rhin, 2024
Caroline Bachmann: Le Rhin IX, 2024. Courtesy of the artist and Private Collection. Le Rhin II; V; VIII; XX; XVIII; XXII; XXIV, 2024. Courtesy of the artist and Meyer Riegger. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2025. Foto: Gina Folly

Im Herbst 2023 brach Caroline Bachmann auf, um sich zeichnerisch und malerisch dem Fluss Rhein anzunehmen. Mehr als 1200 Kilometer umfasst diese wichtige Verbindung von seiner Quelle in den Schweizer Alpen bis zu seiner Mündung in die Nordsee, sie führt über Grenzen, vorbei an unterschiedlichsten Landschaften und Städten. Ausgehend von zahlreichen Skizzen, die die in Berlin und in der französischen Schweiz tätige und wohnhafte Künstlerin angefertigt hat, entstanden in der Folge 24 Rundgemälde auf einem Holzträger, von denen im Kunsthaus acht zu sehen sind. Rasch vermittelt die besondere Trägerform des Tondo (Rundbildes) den Eindruck, den Blick durch ein Bullauge oder Fernrohr auf die Landschaft zu nehmen. Und zugleich stellt sich damit auch die Frage, wo man sich in dieser Ansicht vermeintlich selbst befindet: auf dem Fluss oder vom Ufer aus auf den selben blickend? Die Serie ist charakteristisch für das Schaffen von Caroline Bachmann, die sich hier einem einzigen Thema widmet. Mit kräftigen Farben, mattem Farbauftrag und klaren Konturen überträgt sie das Gesehene in eine Malerei, die eine erstaunliche Ruhe und zugleich Kraft ausstrahlt. Tages- und Nachtzeiten, Wolkenformationen, der Fluss des Wassers, der Wasserfall – alle Bewegungen scheinen vorhanden, und doch scheint alles für einen Moment still zu stehen.
Kein pastoser Farbauftrag, sondern eine konzeptionelle, fokussierte Abhandlung eines Themas und Motivs, dem sich die Künstlerin vielschichtig anzunähern weiss und mit der sie auch die Kraft der Malerei feiert. Die zurückhaltende Farbpalette wird durch kräftige, strahlende Rahmungen auf dem Rundbild aktiviert; die Erinnerung an historische Malereien wird dadurch auch sofort unterbrochen und ins Zeitgenössische verlagert.

Installiert im Raum, vermag die nebeneinander präsentierten Gemälde eine Situation zu schaffen, die sich mit der Architektur verbindet und das Innen und Aussen sowie das Hinaus- oder auch Hineinblicken für das Gegenüber physisch erlebbar macht. Zugleich erlaubt das Abschreiten der Variationen über ein Thema auch dem Verlauf des Rheins zu unterschiedlichen Zeiten nachzuspüren – wild, romantisch, heutzutage sauber, einst im Gebiet Basel auch toxisch, still.

Belén Rodríguez: I danced myself out of the womb, 2024; Cosmic Dancer (Carmen), 2023; Cosmic Dancer (Pati), 2023
Belén Rodríguez: I danced myself out of the womb, 2024; Cosmic Dancer (Carmen), 2023; Cosmic Dancer (Pati), 2023. Courtesy of the artist and Alarcón Criado Gallery, Sevilla. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2025. Foto: Gina Folly

Die in Spanien lebende Künstlerin Belén Rodríguez ist während der Pandemie mit ihrer jungen Familie aufs Land gezogen. Als sie erfuhr, dass der Wald vor ihrem Haus zum Verkauf stand und von der Abholzung und Spekulanten bedroht war, beschloss sie, ihn zu erwerben. Sie wollte ihn frei und wild lassen und ihn mitsamt den Tieren wie Vögeln, Fasanen oder anderen Lebewesen als Ausgangspunkt und Inspirationsquelle für ihr Werk nutzen. Nicht die Abbildung der Natur steht im Fokus der spanischen Künstlerin, sondern mit der Natur und aus den Materialien heraus naturgleiche Werke zu schaffen.

Das Material des Waldes ist für Rodríguez daher Rohstoff: die Federn etwa, die ein Fasan verloren hatte und die sich mit den Blättern der Bäume am Boden mischten; und auch das Wasser, das durch die Flüsse fliesst, seine Farben ändert, oder den Regen, der von den Bäumen herabtropft, mischt die Künstlerin mit den gewählten Farben, um ihre Tücher und Textilien damit zu färben. Die Farben von Wald und Wasser ziehen sich daher durch das Werk wie der Saft, der durch die Bäume fliesst. Der Zufall ist dabei ein wichtiger Aspekt, denn auch wenn Belén Rodríguez Farben aus der Natur wählt, ist das Ergebnis meist unvorhersehbar. «In der Natur gibt es keine hässlichen Farben, aber auch keine unharmonischen Farben. Die Natur ist in der Lage, unmögliche Mischungen zu kombinieren, ohne mit der Wimper zu zucken […] Mir gefällt dieses Zitat aus dem Buch The Overstory von Richard Powers: ‹Der Mensch ist nicht die Spezies, die er zu sein glaubt.› Andere Lebewesen – grössere, kleinere, langsamere, schnellere, ältere, jüngere, mächtigere – haben das Sagen, machen die Luft und essen das Sonnenlicht. Ohne sie geht nichts […] Es könnte das ewige Projekt der Menschheit sein, zu lernen, was die Wälder herausgefunden haben.»

Naufus Ramírez-Figueroa: Mimesis of Mimesis, 2016. Esquisúchil, 2022
Naufus Ramírez-Figueroa: Mimesis of Mimesis, 2016. HD 1-Kanal Video, Loop, Edition: 5 + 1 AP. Esquisúchil, 2022. Courtesy of the artist, Proyectos Ultravioleta, Guatemala City and Sies + Höke, Düsseldorf. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2025. Foto: Gina Folly

Das vielschichtige Werk von Naufus Ramírez-Figueroa, das Malerei, Skulptur, Installation und Video umfasst, spürt oftmals die in Vergessenheit zu geraten drohenden Geschichten von Verlust, Melancholie, Gewalt und kolonialer Ausbeutung nach, ohne dabei auf die Poesie seiner erzeugten Bilder zu verzichten. Meist ruft der Künstler dabei persönliche und kollektive Erinnerungen und Geschichten aus Guatemala auf, darunter auch Geschichten von Familienmitgliedern, die während des Bürgerkriegs zwischen der Militärregierung und den Rebellen über ungerechte Landverteilungen (1960–1996) in Guatemala getötet wurden. Der Künstler selbst wurde während dieser Kriegsjahre 1978 in Guatemala-Stadt geboren und zog im Alter von sechs Jahren nach Kanada.

Mit dem Werk Esquisúchil bezieht sich Ramírez-Figueroa auf den volkstümlichen Namen des Baumes Bourreria huanita, einer in Guatemala vom Aussterben bedrohten Art, die eng mit dem heiligen Pedro de San José de Betancur verbunden ist. Hermano (Bruder) Pedro, wie er auch genannt wird, war Gründer des Bethlehemitenordens und pflanzte den Baum strategisch in den Innenhöfen der Kirchen in Guatemala, um die indigene Bevölkerung anzulocken und zu bekehren. Die Spanier beobachteten, dass der Baum von den Einheimischen verehrt und als Quelle für homöopathische Medizin genutzt wurde. Nach dem Tod des Heiligen vermengte sich die Verehrung des Baumes, dem Wunder zugeschrieben wurden, mit der von Pedro, der 2002 von Papst Johannes Paul II. heiliggesprochen wurde. Die Verehrung und der Glaube an den Esquisúchil können heute als die offenste Form der lokalen Verehrung von Bäumen gelten.

In eine ähnliche inhaltliche Richtung führt die Videoarbeit Mimesis of Mimesis. Die hierbei gezeigte Performance fand im Königlichen Tropeninstitut in Amsterdam statt, eines der Institute, die noch in der Zeit der niederländischen Kolonialzeit gegründet wurden. Bei langsamer Kamerafahrt und nur mit dem Ton von prasselndem Feuer im Kamin wird der Betrachtende durch Räume geführt, vorbei an Sitzgelegenheiten wie Stühlen und Sesseln, von denen die Polster herausgelöst wurden. Zentral im Bild erscheint der nackte Körper des Künstlers, der – scheinbar schlafend, mit geschlossenen Augen – auf mehreren Lagen der abgelösten Polster liegt. Über den ganzen Körper verteilt sind kleine Polsterknöpfe angebracht, als wäre der Körper selbst, verschmolzen mit den unten ihm liegenden Polsterlagen, eine Art Chesterfield-Sofa. Mit dieser performativen Geste verweist der Künstler einerseits auf kunsthistorische Vorlagen, andererseits wird sie jedoch zu einer absurden und zugleich perfiden menschgewordenen Geste der Kolonialismuskritik: sich auf das Leben anderer zu betten, deren Kultur und Traditionen zu entreissen und sie gegen ihren Willen nackt und schutzlos der Gewalt auszusetzen.