Cooling Out

Zur Paradoxie des Feminismus

13.8. —
1.10.2006

Eine Kooperation zwischen Kunsthaus Baselland, Muttenz/Basel, Halle für Kunst, Lüneburg und Lewis Glucksman Gallery, University College Cork Ein Projekt von Sabine Schaschl-Cooper, Bettina Steinbrügge und René Zechlin.

Die ursprünglichen Ziele der Frauenbewegung sind, soweit es nicht um kulturell vermittelte Rollenbilder und um Habitusformen geht, sondern um rechtliche Gleichstellung, um Bildungschancen für Frauen und um die Einhegung männlicher Gewalt, nahezu durchgesetzt worden. Es scheint jedoch, als sei die Frauenbewegung ein Opfer ihrer Erfolge geworden, als habe sie sich de facto selbst abgeschafft, weil gerade junge Frauen unter Gesichtspunkten der Bildungsbeteiligung und Chancengleichheit nicht mehr erkennen können, wo sie gravierend benachteiligt wären. Dementsprechend reagieren sie nicht selten geradezu allergisch und gereizt auf den mainstream Feminismus, auf deklarierte Frauenförderung und auf Quotierungen, weil sie entsprechende Defizite nicht mehr sehen und auch nicht in imaginäre Opferrollen gedrängt werden wollen. Der Begriff des Feminismus ist mittlerweile somit vielfach negativ konnotiert.

Aber dass es so einfach nicht ist, beweisen Symptome wie das Cooling Out — die Integration von Frauen in die Systeme der höheren Bildung bei ihrer gleichzeitigen eher unmerklichen Lenkung in Studienprogramme, Berufsfelder und berufliche Positionen mit geringerem Status, Einfluss und Einkommen — oder auch die Ergebnisse einer Studie des MIT von 1998, welche nahe legen, «that gender discrimination in the 1990s is subtle but pervasive, and stems from unconscious ways of thinking that have been socialized into all of us, men and women alike.» Es scheint schon lange keine Frauenbewegung mit legitimen Zielen mehr zu geben, sondern nur Frauen im Gefüge sozialer Mechanismen.

Zu einer solchen Sicht tendieren insbesondere gut ausgebildete Single-Frauen der oberen Mittelschicht, die meinen, dass sie mit nahezu gleichen Chancen an der Gestaltung des öffentlich-politischen Lebens teilnehmen, sofern sie einigermaßen klug im Gefüge männlicher Strukturen agieren. Die Hebung von Selbstbewusstsein und Selbstachtung der Frau, ein deklariertes Ziel des Kampfes um Anerkennung, den die zweite Generation des Feminismus führte, scheint gelungen, nicht selten allerdings auf der Grundlage imaginärer Vorstellungen über gesellschaftliche Machtverhältnisse. Peggy Phelan zufolge beruht der Feminismus auf der Überzeugung, dass Geschlecht im Sinne von ‹Gender› eine fundamentale Kategorie für die gesellschaftliche Ordnung darstellt. Grundlegend für diese Ordnung ist ein hierarchisches Muster, das normalerweise Männer über Frauen stellt und sie in vielen Hinsichten bevorzugt. Obwohl viele Forderungen der feministischen Bewegung nachweislich durch- und umgesetzt werden konnten, ist es um das kulturelle Bild der Frau wie auch um ihre reale Verankerung im ‹Machtfeld› somit immer noch schlecht bestellt.

Ein gewisser Backlash auf der Ebene des Frauenbildes, das auch überkommenen Vorstellungen der Teilung der geschlechtlichen Arbeit in einer Zeit der Krise der Arbeit folgt, geht mit einer Marginalisierung emanzipatorischer Forderungen nach Autonomie und voller Gleichberechtigung einher. Inwiefern wird der Körper immer noch zur Basis weiblicher Identität gemacht, von Männern wie auch von Frauen? Wenn wir von einer Wiederkehr von Sexismen sprechen, stellt sich die Frage, wie gerade jüngere Künstlerinnen sich angesichts solcher Tendenzen verhalten. Schließlich haben kritische feministische Strömungen und Künstlerinnen wie Hannah Wilke oder Nancy Spero sexuelle Inhalte in der Kunst weithin salon- bzw. sogar museumsfähig gemacht.

Die Ausstellung widmet sich den aufgeworfenen Fragen. Sie sucht insbesondere nach Antworten, wie junge Künstlerinnen der ‹postfeministischen Generation› derzeit mit diesem Thema umgehen, ob und in welchen Formen auch bei ihnen Ambivalenzen oder auch ablehnende Haltungen dem Thema Feminismus gegenüber zu finden sind. Wie ist der Feminismus konnotiert? Werden Unterschiede zwischen dem ‹Differenzfeminismus› und konstruktivistischen Spielarten des Feminismus gemacht, also Unterschiede zwischen essentialistischen Auffassungen von Weiblichkeit und diskursiv-relativistischen Ansätzen, die keine identitätspolitische Perspektive verfolgen?

KuratorIn: Sabine Schaschl

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3 Hamburger Frauen, The Paradise City, 2006, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2006, Foto: Serge Hasenböhler

Das Malerinnenkollektiv 3 Hamburger FrauenErgül Cengiz (* 1975 Moosburg a.d. Isar, lebt in Hamburg), Henrieke Ribbe (*1979 in Hannover, lebt in Oslo und Berlin) und Kathrin Wolf (*1974 in Ruit, lebt in Hamburg) — realisiert grossformatige Wandmalereien, in welchen es spezifisch auf die jeweilige Ausstellungsarchitektur und -konzeption Bezug nimmt. The paradise city, ein Zitat eines Guns N’ Roses Liedes, ist der erste Teil einer dreiteiligen Wandmalerei, welche die Künstlerinnen speziell für die Ausstellungsserie Cooling Out entwickeln. Wie bereits in den vorangegangenen Gemeinschaftsmalereien arbeitet jede der drei Künstlerinnen an einer eigens gewählten Motivik und produziert diese auch selbst. Das Werk besteht somit aus drei unterschiedlichen Stil- und Themenkomplexen, welche bereits in den vorbereitenden Gesprächen zu einem kompositionellen Gesamten zusammengefügt werden. In wild wuchernden phantasievollen Bildwelten — diversen Bildvorlagen entnommen, gepaart mit Architekturelementen und Anleihen aus den jeweiligen Eindrücken des Ausstellungsortes — treten die Künstlerinnen in wechselnden stereotypen Rollen als Protagonistinnen jener gemalten Welten auf. Im Kunsthaus Baselland präsentieren sie sich erstmals nackt und deklinieren dabei die verschiedensten Konnotationen von Weiblichkeit und Natur in humoristischer Weise. Von der Frau, die den Panther besteigt und das Wilde zähmt, über die Frau, welche über ihr Spiegelbild ihr in der Welt-Sein und ihre Funktion darin hinterfragt, bis hin zur Frau, welche sich spielerisch die Pflanzenwelt als zweite Haut aneignet; die Rollen lassen sich ständig erweiternund kokettieren mit der Vielseitigkeit eines gegenwärtigen Bildes von Frau-Sein.

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Maura Biava, Polly's graduation night, 2006, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2006, Foto: Serge Hasenböhler

In der Zeichnungsserie Polly’s Graduation Night zeichnet Maura Biava (*1970 in Reggio Emilia, lebt in Amsterdam) den Weg einer jungen Frau nach, die gerade ihren Abschluss als Grafikdesignerin gemacht hat. In der Nacht hat die Designerin einen Traum bzw. mehrere Träume, in denen ihr Leben durch das Treffen mit anderen Menschen, durch die Liebe, durch berufliche Entscheidungen aber auch durch Zufälle eine jeweils völlig andere Wendung nimmt. Die Arbeit zeigt die verschiedenen Richtungen auf, die eine Biografie nehmen könnte, welche jedoch aufgrund von Entscheidungen und Begebenheiten im Leben des Einzelnen eben nur als Hypothesen bestehen. In ihrem gesamten künstlerischen Schaffen entwickelt Biava fiktive, weibliche Persönlichkeiten, die sich bestimmten sozial determinierten Begebenheiten anpassen müssen. Ihre Personen suchen in Form von Rollenwechseln nach einer ihnen angemessenen eigenen Identität. Der Ausgangspunkt für Biavas Interesse am Rollenwechsel wurde mit ihrer Teilnahme an den Performances von Vanessa Beecroft gelegt, mit der sie in den 90er-Jahren an der Mailänder Kunstakademie studierte. In der Folge entwickelte Biava daraus in ihrer eigenen Arbeit hochgradig disparate Situationen, die unterschiedliche Richtungen aufscheinen lassen. Deutlich werden hier aber auch die Konsequenzen, die aus den verschiedenen Entscheidungen resultieren. Im Selbstversuch tritt die Künstlerin als Tänzerin in italienischen TV-Shows auf, spielt die Rolle einer Hausfrau, eines Businessmanagers oder einer Unterwassersirene. Ihre fiktiven weiblichen Alter Egos namens Polly, Astrid, Iride, Doride oder Gwen pflücken am Stadtrand Blumen und geben sich online der Partnersuche hin, tauchen in immer neuen Posen und Styles auf und geben den Blick frei auf die ‹condition postmoderne›. Diese manifestiert sich als Fragmentarisierung, Vielfalt oder Verlust vom Ich und von Tiefe. Biavas fiktionale Gestalten stellen sich dieser Entwicklung entgegen, indem sie sensibel wie auch treffend die Problematik weiblicher Identitätsfindung aufzeigen.

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Esra Ersen, Which one you choose, 2003, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2006, Foto: Serge Hasenböhler

Esra Ersen (*1970 in Ankara, lebt zur Zeit in London) hinterfragt in ihrem Video Which one you choose die Stereotypie von Identifikationsfiguren, wie sie in japanischen Teenie-Zeitschriften jungen Mädchen angeboten werden. Mit einer Gruppe junger Frauen und einer Modekritikerin analysiert und diskutiert die Künstlerin die medial verbreiteten Weiblichkeits-Bilder der gegenwärtigen japanischen Gesellschaft. Zwei gegensätzliche Typen stehen sich dabei gegenüber: das ‹cool girl› und das ‹sweet girl›. Beide Präsentationsmodi entstammen der japanischen Comic-Kultur, welche in den Zeitschriften derart omnipräsent sind, dass es scheinbar neben diesen beiden Charakteren kaum Platz für Alternativen gibt. Ersen geht der Frage nach «was es bedeutet, sich mit einem stereotypen Charakter oder einem irrealen, wie den Mangas, zu identifizieren und welche Funktion solche Rollenbilder in einer Gesellschaft haben können.» (Genoveva Rückert)

Sylvie Fleurys (*1961 in Genf, lebt in Genf) Foto-Serie Here comes Santa von 2003 basiert auf dem gleichnamigen Video. Die Kamera fokussiert auf ein Paar schlanke weibliche Beine in grazilen Highheels, welche über einen von silbernen Weihnachtskugeln übersäten roten Teppich schreiten. Krachend zersplittern die Kugeln unter den Stilettoabsätzen. Anmutig, aber zielgerichtet schreitet die Zerstörung mit jedem Schritt voran: Die fragile, rot-silberne weihnachtliche Idylle zerplatzt in hunderttausend Scherben. Bekannt durch ihre durchweg unter feministischen Aspekten betrachtete Auseinandersetzung mit der Modewelt, greift Fleury auch immer wieder auf männlich dominierte Symbole oder Gegenstände zurück, die durch diverse Oberflächenmanipulationen in ihrer Selbstverständlichkeit destabilisiert werden.

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Dani Gal, P-Star, 2005, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2006, Foto: Serge Hasenböhler

Dani Gal (*1975 in Jerusalem, lebt in Berlin) zeigt in seinem Video P-Star (2005) die Erfolgsgeschichte des 9 jährigen Mädchens Pricilla Dies a.k.a. P-Star, welches bereits mit 7 Jahren in New York Harlem ihr Rap-Debüt feierte. Im 30 minütigen Porträt erzählt die Protagonistin über ihren Werdegang, ihre Stellung innerhalb der Rapper-Szene und gibt Kostproben ihrer Kunst. Die Wahrnehmung der herausragenden Jung-Künstlerin kippt jedoch insofern, als ihr Geprägt-, Geworden- und Manipuliert-Sein durch ihren alleinerziehenden Vater, der gleichzeitig ihr Musikproduzent ist, einen Schatten über ihre Genuinität und die Möglichkeit ihrer Selbstentscheidung wirft. Das Video ist der dritte Teil einer dokumentarischen Reihe über junge Rap-KünstlerInnen.

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Andrea Geyer und Sharon Hayes, Cambio de Lugar_Change of Place_Ortswechsel, 2000—2002, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2006, Foto: Kunsthaus Baselland

Das Gemeinschaftsprojekt Cambio de Lugar_Change of Place_Ortswechsel (2000—2002) von Andrea Geyer (*1971 in Freiburg, lebt in New York) und Sharon Hayes (*1970, lebt in Los Angeles und New York) initiiert eine dialogische Reihe in Berlin, Mexiko, New York und Wien zwischen Personen, welche als Frauen zu identifizieren sind und — in verschiedenen sprachlichen Kontexten leben. Die daraus resultierenden Gespräche erötern aktuell relevante politische und soziale ‹Gender›-Fragen. Im Rahmen einer ‹Interview›–Struktur diskutiert die Arbeit Fragen kultureller Feminismen, die Relation vom Queer Diskurs zur feministischen Theorie und dem Machtkampf um die Deutungshoheit im herrschenden politischen Kontext. Zur Strukturierung der Gespräche haben Geyer und Hayes einen Fragenkatalog entwickelt, der die verschiedenen Positionen vergleichbar macht. Jedes Interview besteht aus einer Interviewerin, einer Interviewten und einer Übersetzerin. Die Videodokumentation jedoch zeigt nur die Übersetzerin, die durch ihre Präsenz die konstante (permanente?) Aushandlung von Terminologie und Interpretation symbolisiert und auf den Einfluss des Übersetzungsbegriffs für die Produktion von Wissen und Bedeutung hinweist. Die Information bewegt sich kontinuierlich zwischen den drei Beteiligten und wird ständig neu gefiltert und umgedeutet. Damit wird dem Betrachter die Perspektive auf die Interviewte und den Interviewer verweigert, als sei die Aufnahme der Information nur mittels einer Übersetzung opportun. Es werden die Mechanismen freigelegt, welche die diskursive Information bedingen und letztlich auch definieren. Cambio de Lugar_Change of Place_Ortswechsel fragt kritisch nach den Zielen der Übersetzung: Wer spricht? Wer hört zu? Was bleibt ungesagt? Was bedeutet kulturelle Übersetzung? An welche soziale Gruppe wendet sich eine bestimmte Sprachwahl? Was kann nicht übersetzt werden? In dieser Welt zu sprechen und zu verstehen heißt nichts anderes, als ständig zu übersetzen, sprachlich ebenso sehr wie kulturell. Und dies ist nicht zuletzt für die Kommunikation von Geschlechterrollen von nicht zu unterschätzender Bedeutung.

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Zilla Leutenegger, Lessons I learned from Rocky I to Rocky III, 2002, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2006, Foto: Serge Hasenböhler

Zilla Leutenegger (*1968, lebt in Zürich) versucht in ihren Arbeiten sich selbst immer wieder unterschiedlich und neu zu entwerfen. Ihre persönlichen Stimmungen und Gedanken finden im Medium der Zeichnung — v.a. in der für sie zum Hauptkennzeichen gewordenen Videozeichnung — ein direktes und unmittelbares Ausdrucksmittel. Zilla Leuteneggers Arbeiten funktionieren als Momentaufnahmen und Bruchstücke von vorübergehenden gedanklichen Realitäten, die sich über die Kunst sprachlich manifestieren. In Lessons I learned from Rocky I to Rocky III, zieht die Videofigur Zilla an den roten Fäden ihres Pullovers, um sich dabei unterschiedlich grosse Brüste zu formen. Die Szene parodiert gesellschaftliche Schönheitsideale des Weiblichen ebenso wie den persönlichen Umgang mit jenen.

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Erik van Lieshout, Fantasy me, 2004/2006, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2006, Foto: Serge Hasenböhler

Das Video Fantasy Me, 2004 von Erik van Lieshout (*1968 in Deurne, lebt in Rotterdam), installiert in einer überdimensionierten roten Papierlaterne (Bitte unten durchkriechen!), erzählt von van Lieshouts mehrmonatigen China-Aufenthalt, während dem er einigen Chinesinnen Englisch beibringt und diese ihm im Gegenzug Kung Fu. Die Schwierigkeit, die Bedeutung von Feminismus und selbst das Aussprechen des Wortes ‹feminism› im chinesischen Kulturkreis zu vermitteln, bildet einen Schwerpunkt im Video. Immer wieder werden die Sprachversuche von Schimpfwort- und Kampfszenen unterbrochen, so als ob sämtliche Geduldsfäden mit der Lernenden reißen würden. Zudem schildert Fantasy Me die spezielle Beziehung zur Chinesin Tessa, der van Lieshout u. a. zu stärkeren ‹Waffen› für ihre Selbstverwirklichung verhelfen möchte. «Being strong and getting more power» vermittelt er ihr als Teil einer Überlebensstrategie. Sie jedoch lehnt das Kämpfen ab, versucht es lediglich auf spielerische Weise und verliebt sich während all dieser Aktivitäten und Auseinandersetzungen in den Künstler. «There is something uncomfortable, even abusive, about this fact, but it is at the heart of van Lieshout’s unflinchingly honest film», schreibt der Kritiker Tom Morton und folgert: «If Fantasy me has a message, it is that love is not a panacea (Allheilmittel) when it is bound up with the stuff of power. Rather, it is something that wounds both parties, making them monsters or midgets, too much or too little themselves.»

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Katrin Mayer, Shaking the Lines II, 2006, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2006, Foto: Serge Hasenböhler

Katrin Mayer (*1974 in Oberstdorf, lebt in Hamburg) re-inszeniert in ihrer Installation im Kunsthaus Baselland Motive aus der Kunst von Niki de Saint-Phalle, der 60er Popkultur, insbesondere der Mode, und dem Alltag. Bereits Ende der 50er Jahre setzt sich de Saint-Phalle mit der gesellschaftlichen Stellung des Mannes auseinander, die für sie mit Macht, Gewalt und Unterdrückung verbunden ist. Über ihre Schießaktionen zu Beginn der 60er-Jahre äußert sie sich folgendermaßen: «1961 schoss ich auf: Papa, alle Männer, kleine Männer, große Männer, bedeutende Männer, dicke Männer, Männer, meinen Bruder, die Gesellschaft, die Kirche, den Konvent, die Schule, meine Familie, meine Mutter, alle Männer, Papa, auf mich selbst, auf Männer. ... Krieg ohne Opfer?» Mit ihren Schießbildern verkörperte de Saint-Phalle schon sehr früh ein neues Frauenbild, welches erst in den 70er-Jahren auch gesellschaftlich Konturen gewinnen sollte. Katrin Mayer arbeitet bei der Wahl ihrer Vorlage mit der Erkenntnis, dass (historische) Fundstücke durch Wiederholung, Rekontextualisierung und Erinnerung neu belebt und in ihrer Bedeutung verschoben werden können. Durch die sinnhafte und formale Einbindung in andere Bezugssysteme nimmt Mayer eine Neubewertung eines spezifischen feministischen Ansatzes vor. Sie weitet diesen in die Formenwelt der 60er/70er-Jahre aus, arbeitet in eine grosse, schwarz-weiss gestreifte Wandfläche eine Collage ein, die Mode und Models, Alltagssituationen und ausserordentlich viel Popkultur zeigt. Sie spürt Korrespondenzen zwischen den verschiedenen Bedeutungsfeldern auf. Dabei beginnt sie mit einer Formensprache, die ins Politische und Historische ausgeweitet wird. Mode ist hier mit einem gesellschaftlich unklaren Kodex konnotiert. Die Streifen stehen für eine Form der Abgrenzung, für ein gewisses Aussenseitertum. Man mag sich erinnern, dass de Saint-Phalle als Model begann. Dem heutigen Glamourjob einer ganzen Generation junger Frauen. Genau gegen diese Reduzierung der Frau geht sie später vor. Mayer entwickelt nahe am architektonischen Raum Szenarien, die Sinnzusammenhänge und formale Analogien ineinander verschränken. So werfen sie auch einen aktualisierten und leicht distanzierten Blick auf die Feminismusdebatte, die längst nicht mehr mit der Radikalität einer de Saint-Phalle geführt wird.

Meckseper Josephine G 2006 1
Josephine Meckseper, Pyromaniac 1, 2003, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2006, Foto: Serge Hasenböhler

Josephine Meckseper (*1965 in Worpswede, lebt in New York), Herausgeberin von Fat Magazine, beschäftigt sich in ihren Fotografien und Installationen mit Protestformen und untersucht deren Übernahme und Neutralisierung durch Mode und Alltagskultur. Ein gutes Beispiel und immer wiederkehrendes Motiv in ihren Arbeiten ist das Palästinenser-Tuch. Ehemals Identitäts- dann Solidaritäts-Ausdruck, wurde das Tuch zur allgemeinen Uniform der Linken, bis es heute zum modischen Accessoire geworden ist. Mode und Lifestyle wird neutralisiert, Protest zum Accessoire. Und so hängen in ihren Installationen Fotografien von Demonstrationen zwischen Elementen des Glamours und Lifestyle wie Erinnerungsphotos. In Cooling out präsentiert Meckseper eine neue Zusammenstellung an Fotografien, welche die Situation des Feminismus in eine Art Allegorie verwandeln. Ursprünglich eine Bewegung mit klaren Zielen, ist Feminimus heute plötzlich zur Einstellungssache geworden. Ist die Frau auf dem Bild ein professionelles Model, oder posiert sie nur wie ein solches? Ist das brennende Streichholz im Mund ein Zeichen von Stärke oder Verwundbarkeit? Die Frau wirkt überzeugend und doch ist alles konstruiert und wird damit temporär und zerbrechlich.

Poljak Renata G 2006 1
Renata Poljak, The View (Still), 2005, Foto: Kunsthaus Baselland

Renata Poljak (*1974 in Split, lebt in Wien, Split und Nizza) verbindet in ihrem Video Great Expectations, 2005 zwei Feststellungen: Nach Kriegsende entstand in Kroatien eine neue gewalttätige Mentalität, die als sich in Form von Gewalt und skrupelloser Bautätigkeit manifestiert und auf jede Form von Tradition und Respekt gegenüber dem Nachbarn verzichtet. Die zweite Beobachtung zieht eine Verbindung dieser Gewaltgeschichte zur patriachalen Familienstruktur. Die Doku-Fiktion kritisiert letztere anhand des Wunsches des Grossvaters nach einem männlichen Erben, im Film als ‹king› bezeichnet. Die Künstlerin, die gleichzeitig auch die Erzählerin im Film ist, schildert die Familienbeziehungen mit «We know where men stand, and where women must remain». Great Expectations dokumentiert, wie eine patriachale Erziehung, die ständig nach dem «take more, earn more, more, more… It is never enough, especially not for the sons, they are the ones that matter», die sich in einer neue Form der Gewalttätigkeit — in den Zeremonien rund um das Fussballspielen und in architektonischen Umsetzungen — manifestiert.

Pong Elodie G 2006 1
Elodie Pong, Je suis une bombe, 2006, installation view Kunsthaus Baselland 2006, Foto: Serge Hasenböhler

In ihrer Videoarbeit Je suis une bombe, Teil des Zyklus Supernova präsentiert Elodie Pong (*1966 in Boston, lebt in Zürich) eine junge Frau im Pandakostüm, die analog zu einer Stripteaseperformance um eine Stange herum tanzt. Am Ende der Performance nimmt die junge Frau den Pandakopf ab und bewegt sich mit ihm in der Hand in Richtung Kamera. Sie intoniert wiederholt und eindringlich Je suis une bombe, als müsse sie sich selbst der eigenen Besonderheit vergewissern. In ihren Videoarbeiten baut Pong ein kaleidoskopartiges Bild ihrer eigenen Generation auf, welche sie als narzisstisch, als suchend und als Performance-orientiert erkennt. Der Blick ist ein distanzierter, aber dennoch setzt sie sich nie von ihren ProtagonistInnen ab, weiss sie doch, dass sie selbst zutiefst involviert ist. Der Körper wird zum eigentlichen Träger der Kommunikation, ist er heute doch auch hauptsächlicher Träger von Identität. Pong versucht die Realität einer Generation aufzuzeigen, indem sie das Subjektive neben das Objektive stellt und das Reale neben das Illusionäre. Die Künstlerin spielt die zeitgenössische Gefühlsklaviatur rauf und runter und entdeckt unter so mancher, harmlos scheinenden Oberfläche die Tiefe einer leisen, oftmals von aussen übertönten Welt.

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Naomi Fisher, Untitled, 2000, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2006, Foto: Serge Hasenböhler

Naomi Fisher for the Radical Cheerleaders «Radical Cheerleading is protest and performance! It is activism with pom-poms and combat boots! It is non-violent direct action in the form of street theatre. And it's FUN!» verkündet eine der Websites der Radical Cheerleaders. Spass ist nicht die einzige Motivation — schliesslich geht es um Themen wie Sexismus, Magersucht, sexueller Missbrauch oder herrschende Schönheitsideale. Wenn Cheerleading die Sportart für brave Mädchen ist, dann ist Radical Cheerleading dessen ironisch-kämpferische Umwandlung für die Bösen. Die aus Florida stammende Malerin Naomi Fisher, wo die Bewegung ihren Ursprung hat, (*1976 in Miami, lebt in Miami) präsentiert als Mitglied der amerikanischen Bewegung (www.nycradicalcheerleaders.org) Protestplakate, die sie in den letzten Jahren für die Gruppe zum Thema Feminismus angefertigt hat. Cheerleader spielen besonders in der amerikanischen Gesellschaft eine wichtige Rolle in der Bestätigung der körperlichen Geschlechtlichkeit. Cheerleading ist der Inbegriff der Anpassung an heterosexuelle Erwartungshaltungen. Cheerleading verwandelt Mädchen in eisern lächelnde, körperlich disziplinierte und unheimlich harmlos wirkende Aufziehpuppen, die wie von unsichtbarer Hand gelenkt, den aktiven männlichen Sportstars zujubeln. Statt sich den Schönheitsnormen und Körperdisziplinierungen des Cheerleadings zu unterwerfen, werden die niedlichen Choreographien und sexy Outfits in abgewandelter Form übernommen und radikalisiert. Statt der harmlosen Jubelrufe werden politsche Parolen oder Forderungen gesungen oder geträllert. Demonstrationen und direkte Aktionen sind scheinbar geschlechtsneutrale Kontexte, in der Repräsentation aber so, dass — wie in der Sprache — das Männliche mit dem Allgemeinen zusammenfällt. Radical Cheerleading stellt die weiblichen Attribute in den Vordergrund, stört damit den scheinbar ‹neutralen› Demonstrationskontext. Radical Cheerleading ist eine Möglichkeit, ausserhalb traditioneller Repräsentationsformen die vom Kapitalismus verlangte Kreativität und Körperlichkeit einzusetzen, um durch den Kontext, Konstruktion von Geschlechtlichkeit in Frage zu stellen und Elemente des fröhlichen Aufstands vorweg zu nehmen. «Move your ass and your mind will follow!»

Reinhard Aurora G 2006 1
Aurora Reinhard, Boygirl, 2002, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2006, Foto: Serge Hasenböhler

Aurora Reinhard (*1975 in Helsinki, lebt in Helsinki) beschäftigt sich in ihrem Video mit der Unverhältnismässigkeit stereotyper Geschlechterwahrnehmung und relativiert diese anhand ihres Videoporträts dreier ‹boygirls›: Drei junge, finnische Frauen, die anhand ihres androgynem Aussehens schwerlich in eine Geschlechterkategorie zugeordnet werden können. Die Protagonistinnen erzählen von ihren eigenen und den ihnen entgegenschlagenden gesellschaftlichen Verunsicherung im alltäglichen Umfeld. Jede der drei ‹boygirls› findet eine eigene Möglichkeit der sexuellen und gesellschaftlichen Selbstverortung. Deutlich wird aber auch, wie sehr diese Identitätsbilder aus dem gesellschaftlichen Rollendualismus ‹Mann/Frau› herausfallen: Während eine der Protagonistinnen das Problem, in ihrem Frau-Sein äusserlich nicht erkannt zu werden, zu erkennen gibt, vermittelt die andere das Abwägen der Vor- und Nachteile der jeweiligen Geschlechterkategorie um daraus ihre persönlichen Vorteile zu ziehen. Die dritte Frau bezieht wiederum eine klarere Position in Richtung einer potentiellen Geschlechtsumwandlung.

Tamura Maki G 2006 2
Maki Tamura, From a Distant Land, 2001/2006, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2006, Foto: Serge Hasenböhler

Die in den USA lebende Japanerin Maki Tamura (*1973, lebt in Seattle) verbindet in ihren Zeichnungen und japanischen Rollbildern zeitgenössische Elemente mit traditionellen europäischen und japanischen Drucktechniken, südostasiatischer Malerei und Kinderbuchillustrationen des 19. und 20. Jahrhunderts. Damit trägt sie der Tatsache Rechnung, in Japan geboren und in Jakarta aufgewachsen zu sein, um heute in Seattle zu leben. Tamura hat die meiste Zeit ihres Lebens fern der Heimat verbracht und verbindet die unterschiedlichen Eindrücke zu einem Ganzen. Die Installation im Kunsthaus Baselland besteht sowohl aus traditionell japanisch anmutenden Lampions wie auch aus der Videoarbeit From a Distant Land (2001), in der eine nicht klar einzuordnende Frauengestalt sich langsam von ihrer Situation emanzipiert: Tamura hat in Jakarta Fragmente einer historischen Aschenputtel-Geschichte entdeckt. Im Gegensatz zum westlichen Märchen emanzipiert sich die Schwiegermutter in dieser Version und verlässt das Haus, um in der Ferne ein neues Glück zu finden. Sie ist aktiv und entscheidet sich für ein neues Leben, während die Aschenputtel-Figur passiv auf das Geschehen reagiert. Stereotypen wie auch klassische Rollenbilder werden hier aufgelöst, um sie in Frage zu stellen wie auch um das eigene Handlungspotential kritisch zu reflektieren. Damit werden sie in Frage gestellt und geben Anstoss das eigene Handlungspotential kritisch zu reflektieren.

Williams Pernille Kapper G 2006 1
Pernille Kapper Williams, Longings for beauty, 2006, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2006, Foto: Serge Hasenböhler

Pernille Kapper Williams (*geboren 1973 in Odense, lebt in Frankfurt am Main) beschäftigt sich in dem in der Ausstellung vertretenen Werkkomplex mit den Pionierinnen der Schönheitsindustrie: Helena Rubinstein, Estée Lauder und Elizabeth Arden. Die Beurteilung der Frauen im Kontext der Ausstellung ist ambivalent. Alle drei begannen in den 1930er-Jahren ihre Visionen zu verwirklichen und wurden Unternehmerinnen, die ehrgeizig große erfolgreiche Konzerne aufgebaut und ihre Namen mit globalen Marken synonym gesetzt haben. Damit sind sie durchaus Vorbilder einer Generation der eigenständig und erfolgreich agierenden (Geschäfts-)Frauen. Die Kosmetikbranche mit ihren Versprechungen von Glamour und Eleganz basiert zwar auf der Suggestion, Schönheit sei für jeden erreichbar, wenn man nur die richtigen Produkte verwendet. Andererseits reproduzierten Lauder, Arden und Rubinstein damit ein Frauenbild, das Schönheit als wesentliches Kriterium annimmt. Pernille Kapper Williams setzt in einer konzeptuellen Herangehensweise Materialien und Dokumente gegeneinander, um ein referentielles Netz aufzubauen. Hier bilden die Biografien der drei über ihre Konzerne konkurrierenden Frauen den Kern, welcher ihren sozialen Aufstieg, wirtschaftlichen Erfolg und den Mythos ihrer Kosmetiklinien beschreibt und vergleicht. Bei der Recherche fand sich jedoch auch ein FBI-Dokument, das Elizabeth Arden unterstellt, in den 1940er-Jahren Nazi-Aktivitäten in ihren Filialen zu decken und zu unterstützen.

Ziegler Ella G 2006 1
Ella Ziegler, Danksagung, 2006, Foto: Kunsthaus Baselland

Mit der Arbeit Danksagung (2006) zieht Ella Ziegler (*1970 in Ilshofen, lebt in Pretoria) Bilanz über ihr Schaffen in den Jahren von 1999—2006. Im Bewusstsein als Künstlerin keine ihrer künstlerischen Arbeiten wirklich autonom, d.h. ohne Hilfe von aussen, gefertigt zu haben, erstellte sie eine Liste all derer, die sie in jenen Jahren begleitet hatten. Die «schöne, sehr lange Danksagung» (Ziegler) beginnt mit den Damen, um sie dann mit den männlichen Helfern ins Unendliche fortzusetzen. Diese fast banale Vorgehensweise, die auch bei Ausstellungseröffnungen zum unabdingbaren Teil des Rituals gehört, bekommt plötzlich Brisanz und deckt in subtiler Art und Weise auf, wie sehr der männliche Teil der Bevölkerung die gesellschaftliche und administrative Matrix beherrscht. Ziegler geht dabei akribisch vor und dankt für jede noch so kleine und periphere Tätigkeit. Ebenso dankt sie für jene Handlungen, die gescheitert sind und nicht bewilligt wurden, ist dies doch nicht selten der Anfang oder Anlass ihrer Arbeit. Die konzeptuell arbeitende Künstlerin interveniert in das alltägliche Leben und deckt durch eingehende Beobachtung ein spezielles Abbild ihres Umfelds auf. Selbst schockiert über das geschlechtliche Ungleichgewicht bei der Entstehung ihrer eigenen Arbeit, realisiert die Künstlerin ein Plakat in rot und blau, welches simpler nicht sein könnte, aber auch nicht ausdrücklicher.