Robert Cahen

Sculpting Time

17.1. —
16.3.2008

Cahen Robert E 2008 1
Robert Cahen, Suaire, 1997/08
Cahen Robert E 2008 2
Robert Cahen, Sept visions, 1995–97, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2008
Cahen Robert E 2008 3
Robert Cahen, Sanaa, passages en noir, 2007
Cahen Robert E 2008 4
Robert Cahen, Le Cercle, 2005
Cahen Robert E 2008 5
Robert Cahen, Sept visions, 1995–97, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2008

Das Kunsthaus Baselland zeigt die erste monografische Ausstellung von Robert Cahen in der Schweiz, der zu den bedeutendsten Videokünstlern Frankreichs zählt. Geboren 1945 in Valence, lebt Cahen heute in Mulhouse, unterbrochen von zahlreichen Reisetätigkeiten.

Er schloss im Jahre 1971 seine Ausbildung am Conservatoire National Supérieur de Musique in Paris ab. Die Auseinandersetzung mit zeitgenössischer, konkreter Musik und seine Tätigkeit beim ORTF, der nationalen französischen Radio- und TV-Korporation, gehören zu den zwei wichtigsten Eckpfeilern, die seine experimentelle Auseinandersetzung mit dem elektronischen Bild und Ton bestimmen.

Neben audiovisuellen Projekten, bei welchen Bild und Ton gleicherwertig organisiert, transformiert und bearbeitet werden, entstehen seit 1973 Videos, die allein visuell operieren und denen die tonalen, elektronischen Experimente als Basis zugrunde liegen. Cahens Videos zeichnen sich durch ihren charakteristischen Umgang mit Zeit bzw. den verschiedenen Möglichkeiten der Präsentation zeitlicher Dimensionen aus. «Nicht mehr die Zeit des Chronos im linearen Nacheinander gleicher Zeiteinheiten wird gesehen. Nicht mehr die Abfolge gleicher Zeiteinheiten, sondern vielmehr die Veränderung in der Zeit durch die Zeit als Bewegung der Wandlung im permanenten Entstehen und Vergehen wird auf unterschiedliche Weise versinnlicht.» (P.M. Meyer) Cahens Videos geben keine Bezugspunkte auf Vergangenes und Zukünftiges frei, vielmehr entstehen und vergehen die Bilder, sie gehen ineinander über und ‹werden› in der Bewegung. Cahens Werke sind demnach eher als bewegte Bilder, denn als Filme zu verstehen.

Die Ausstellung umspannt einen zeitlichen Bogen von 1995/97—2007 und präsentiert fünf Videoinstallationen. Das menschliche Abbild und Landschaftsmomente stehen thematisch im Zentrum. Sanaa, passages en noir (2007) fokussiert auf einen einzigen gefilmten Ort, eine Gasse, irgendwo in der jemenitischen Hauptstadt. Weder die Tageszeit noch der Blick in die Gasse ändern sich. Einzig Menschen kommen und gehen, wobei in erster Linie verhüllte Frauen auftauchen, in einem der Häuser verschwinden, mit ihrem eigenen Schatten verschmelzen oder vereinzelten Männern begegnen. Es gibt keine Interaktion. Jede Person existiert alleine und für sich, abgeschottet bereits durch das verhüllende Gewand. Dieser Film, der als einer der wenigen in Cahens Werk mit Ton agiert, nimmt Auszüge von Bachs Johannespassion auf, was nicht zuletzt ein Gefühl des Leidens, des Nicht-Wahrgenommen-Werdens, auch des Verschwindens einer weiblichen Welt als exemplarisches Scheiterns alles Menschlichen hervorruft. Auch Traverses aus dem Jahre 2002 thematisiert Werden und Auflösen, Erscheinen und Verschwinden, Sein und Vergehen. Im hochformatigen TableauxStil erscheinen und verschwinden Personen aus einer Art Nebelschleier. Cahen agiert hier wie ein Bildhauer, welcher aus dem Nebelmaterial mittels Film Menschen herauslöst — der Begriff von ‹Sculpting Time›, also einer herausgelösten Zeit, die für einen bestimmten Zeitraum etwas zu erkennen gibt — ist dafür ein gutes Beispiel. In Suaire (1997) projizieren zwei Projektoren Bilder auf ein hängendes, sich im Luftzug bewegendes Tuch. Kieselsteine unter der Installation, verwandeln jeden Schritt in ein akustisches Signal: Jeder Tritt wird zu einer Manifestation des Momentes, so wie jedes Bild am bewegten Tuch nur für eine kurze Dauer verharrt. Suaire — formal eine Anlehnung an das christliche ‹Schweisstuch der Veronika› — greift den Übergang vom Leben zum Tod, vom verschwindenden Bild hin zur Erinnerung an das Gesehene auf.

Mittelpunkt von Cercle (2005) ist eine polare Eisberglandschaft. Der Fluss der Meeresströmung verändert immer wieder seine Richtung und verläuft beinahe zirkulär. Cahens Bildsetzung schwankt zwischen realistischem Ausdruck und Verfremdung, zwischen rhythmischer Setzung und abruptem Szenenwechsel. Seine Filme entsprechen keiner narrativen Kontinuität, sondern erschaffen in der Bildwiederholung, in ihrer Variation, ihrer Rhythmisierung und Verlangsamung einen «Zeithof des Bewusstseins» (E. Husserl).

Cahens Videos zeigen Bilder vom Reisen, Bilder von Lebenspassagen verschiedenster Art und Bilder von Transformationen zwischen sein und gewesen. Sie übersetzen Emotionales und lösen in der Folge wiederum Emotionen aus.
Text von Sabine Schaschl

Kurator*in: Sabine Schaschl