Midnight Walkers
21.1.
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26.3.2006
Mit der Ausstellung Midnight Walkers sind die Kuratorinnen der beiden Ausstellungsräume, Kunsthaus Baselland und Le Credac, Sabine Schaschl-Cooper und Claire Le Restif, eine spezielle Kooperation eingegangen, bei der zum einen die architektonischen und geografischen Gegebenheiten der beiden Institutionen eine Rolle spielen.
Sowohl das Kunsthaus Baselland als auch die Credac liegen an urbanen Randzonen und sind teilweise oder zur Gänze durch ihre ‹Untergrund-Architektur› gekennzeichnet. Zum anderen wurde das historische Erbe der französischen Gruppierung der zwischen 1957—1972 agierenden Situationisten als konzeptueller Ansatzpunkt aufgegriffen, wobei vor allem das nächtlich stattfindende Umherstreifen und Flanieren in allen Ecken und Unorten von Städten und das ‹Sich Treiben Lassen› im Mittelpunkt steht. Die Stadt und ihre geheimen Randzonen wurden von den Situationisten als Orte eines intensivierten sozialen und politischen Konfliktes entdeckt und thematisiert. Das alltägliche Entdecken, das städtische Umherstreifen sind auch Antriebsfeder für ein gegenwärtiges künstlerisches Schaffen. Von diesen Überlegungen ausgehend, versteht sich die Ausstellung Midnight Walkers als romantische, synthetische und fiktive Landschaft, in der das mitternächtliche Flanieren als Symbol für eine suchende, melancholische, nachdenkliche aber auch ironische, humoristische und mit den Lebensumständen versöhnende Stimmungslage steht. Die Zusammenarbeit zwischen dem Kunsthaus Baselland und der Credac basiert auf gegenseitiger Hochschätzung der jeweiligen kuratorischen Arbeit und auf dem Interesse an jenen KünstlerInnenpositionen, die am jeweils anderen Ort noch nicht gezeigt wurden. Den Schwerpunkt der Ausstellungen bilden Werke von KünstlerInnen aus Frankreich, sowie der französisch- und deutschsprachigen Schweiz. Die zwei, je nach räumlichen Gegebenheiten und programmatischen Grundüberlegungen, unterschiedlichen Ausstellungen stehen in einem grenzüberschreitenden Dialog, der in einer gemeinsamen Publikation dokumentiert wird.
Das Werk von Saâdane Afif (*1970, lebt in Paris) rührt an Strategien, die den Kunst- und Musikbereich kennzeichnen, hinterfragt den Begriff des ‹Interpretierens› und setzt die Appropriationsmethode ein, wenn sie dem jeweiligen Gesamtkonzept einer Ausstellungsbeteiligung entspricht. Für vier verschiedene Ausstellungsprojekte fragte er die Kunstkritiker Tim Morton, Lili Reynaud-Dewar, Mick Peter und Maxime Matray für die Produktion von Liedtexten an, welche anschliessend von Musikern in Abstimmung mit den jeweiligen Ausstellungsprojekten vertont wurden. Jedes Lied hatte eine Beziehung zu einem bestimmten Objekt/Projekt und wurde gleichzeitig vom Künstler als Titel für letzteres verwendet. Für die Ausstellung Midnight Walkers wurde von der Kuratorin eine Auswahl von einzelnen Liedern aus den vorhandenen Alben getroffen, die als Schriftsätze auf die Wand montiert werden. Ebenso nutzt Afif die Infrastruktur des Kunsthaus Baselland und integriert vorhandene Bänke in eine Installation zum Hören via Kopfhörer der einzelnen Musikstücke. Eine in Afifs Oeuvre wiederkehrende Arbeit greift auf den französischen Künstler André Cadere zurück, der 1970 den Barre de Bois kreierte, einen Stab bestehend aus einer vertikalen Aneinanderreihung verschiedenfarbiger bemalter Holzringen. Cadere reiste mit seinen Stäben quer durch Europa und nach New York, wo er die Stäbe entweder wie einen Wanderstab hielt oder sie an ausgewählten Orten absetzte. Ebenso wie Cadere durch seine Aktionen Diskussionen über den Kunstbetrieb auslösen wollte, beabsichtigt auch Afif, unter Wiederverwendung von Caderes Erfindung, die künstlerische Autorenschaft und das Funktionieren des Systems Kunst beständig zu hinterfragen.
Ausgangspunkt im Schaffen von Delphine Coindet (*1969, lebt und arbeitet in Paris) ist eine digital geschaffene Konstruktion räumlicher Szenerien, welche die Künstlerin in die Realität übersetzt. Die virtuellen Computerzeichnungen in all ihrer artifizieller Farbigkeit entstehen ortsspezifisch bzw. werden den einzelnen Ausstellungsprojekten angepasst. Nach diesen entstehen Objekte bzw. skulpturale Inszenierungen, die oftmals hybriden Formulierungen zwischen architektonischen, designten und theatralischen Formen entsprechen. Delphine Coindet versucht «den Status des Werks zu redefinieren, ausserhalb jeder Gebrauchsbedeutung» (Hauviette Bethemont). In der Ausstellung Midnight Walkers werden die beiden Werke On Edge und Les Grelots ortsspezifische re-inszeniert, indem ein Vorhang sowohl die durch die Säulen vorgegebene Raumteilung aufgreift, als auch die zwei sich davor und dahinter befindlichen Werke dank seiner Transparenz verbindet. Die fünfteilige Fensterfront ist in je unterschiedliche Farbnuancen getaucht, welche der Gesamtpräsentation einen mitternächtlichen ‹Norm ver-rückten› Touch gibt. Die violette, über ein nicht näher definiertes Spiegelobjekt gelegte Federboa, korrespondiert mit den lilafarbigen Farbfiltern an den Fenstern; die überdimensionierten Schellen-Objekte (Grelots) erinnern leise an närrisches Treiben. Ihre virtuelle Ausgangsform jedoch schafft Distanz zu solchen Wahrnehmungen. Der Betrachter verharrt letztlich in seiner zwischen Realität und Fiktion schwankenden Empfindung.
Annelise Coste (*1973, lebt und arbeitet in Zürich) ist vor allem durch ihre teils kleinformatigen, teils postergrossen Zeichnungen bekannt, in welchen sie sich mit Spraydose sowohl in Worten, als auch in Kritzeleien und diversen expressiven, teils figürlich, teils abstrakten Elementen ausdrückt. Die Künstlerin verwendet auch zahlreiche andere Medien, wie Performance, Bricolage-Objekte, Gedichte und Fotografie als Audrucksmittel. Für die Ausstellung hat Coste eine Reihe von digitalen Fotos ausgewählt, die — im Plottverfahren gedruckt — intime, mitternächtliche Momente mit ihrer Freundin zeigen. Eine Verbindung zwischen den Fotografien und den Zeichnungen besteht sowohl in der Tatsache, dass die Künstlerin immer wieder existentielle Fragen aufwirft und diese beispielsweise mit Schrift, Farbe und Gestus in den Zeichnungen oder auf Fotos als direktes — jede Pore offen legende — Statement zum Ausdruck bringt, als auch in Form von «emotionalen Botschaften», die sie «in die Welt sendet» (Nadja Schneider); als solche muss die Fotoserie auch verstanden werden.
Die Malerei von Sylvie Fanchon (*1953, lebt und arbeitet in Paris) setzt am abstrakten Potential realer Dinge an, wie beispielsweise Karten, Schemas, Pläne, Wolken etc., welche sie aus dem üblichen Kontext herauslöst und in der Hybridität zwischen dem Figurativen und Abstrakten verortet. Ihre Gemälde scheinen auf den ersten Blick simpel: Sprechblasen da, Farbspritzer dort, molekulare Gebilde auf einem Bild und wiederum kunsthistorische Pinselstrich-Referenzbilder auf einem anderen. Die gezeigte Bildabfolge erinnert an Comics, die man narrativ lesen möchte. Allmählich wird jedoch klar, dass die vermeintliche Erzählung gar keine ist, sondern lediglich in der Phantasie des Betrachters entsteht. Die Ebene des potentiell Narrativen bildet einen Einstieg in die komplexen Bildwelten Fanchons, in denen weder Anfang noch Ende, weder Dreidimensionalität, noch Ordnung oder Zufall herrschen. Die Stärke der Bilder äussert sich in ihrer Fähigkeit, ‹Persönlichkeit› herzustellen, die sich beispielsweise als humorvoll, nachdenklich oder sogar ‹bösartig› lesen lässt. «Ein Bild ist wie ein Stück meines Gehirns, die Bilder sind wie Gedankenblöcke oder Repräsentanten dieser Gedanken», erklärt dazu die Künstlerin.
Sylvie Fleurys (*1961, lebt und arbeitet in Genf) Territorium für die künstlerische Auseinandersetzung ist die Welt der Mode, des Glamours, kurz der Luxusartikel generell. In ihren Objekten, Installationen, Bildern und Wandarbeiten wird die Konsumwelt jedoch nicht affirmativ bestätigt, sondern meist ironisch oder süffisant kommentiert. Immer wieder resultieren ihre diesbezüglichen Auseinandersetzungen in postfeministischen Betrachtungen, die beispielsweise männlich dominierte Symbole wie Autos (zertrümmert) in Lippenstiftfarben oder Raketen durch den Austausch ihrer ursprünglichen Oberflächen, sei es in ihrer Beschaffenheit oder Farbigkeit, in ihrer ‹Ordnung› und ‹Repräsentation› destabilisieren. Ihre Soft Rockets in Gold und Silber spielen nicht zuletzt mit der Idee der ‹weich gewordenen Männlichkeit›, deren goldene und silberne Farbigkeit trotz ihrer Luxuskonnotation nicht über die Disfunktionalität oder Unlust hinwegtäuschen kann. Mit der Wandarbeit Egoïste greift die Künstlerin auf ein Chanel Parfum zurück, welches versucht, das Egoistische als männlich positive Qualität zu verkaufen. Als grossformatige Aussage an der Wand wird jene ursprüngliche Aussage in sämtliche Interpretationsrichtungen ‹aufgeblasen›, welche nicht zuletzt aufgrund jener Blasiertheit kippt.
Mit ihren beiden Filmen Scratch und Holepunch kreiert Amy Granat (*1976, lebt und arbeitet in New York) zwei filmische Inszenierungen, die — obwohl auf einfache Weise projiziert —, auf den Raum und den Betrachter physisch einwirken. Amy Granat ist Gründungsmitglied der Experimentalfilmgruppierung Cinema Zero und arbeitet mit dem Erbe des Experimentalfilms ebenso wie an dessen aktueller Weiterführung. In Scratch werden die physischen Ritzungen auf dem Filmmaterial in eine grossformatige Projektion übertragen. «There is an interestingly incongruous relationship between the small gesture of scratching the minute film frames paired with the larger, immediate and in your face projection that results», schreibt Richard Aldrich. Raum, Licht, Sound und Film sind im Werk Granats immer mitgedacht. In der Scratch-Installation wird auf drei schwarze Leinwänden so projiziert, dass der Betrachter völlig in sie eintaucht. Der Sound unterstreicht eine Art Kratzgeräusch. Die einzelnen weiss flackernden Linien auf der Leinwand verbinden sich zu einem Konzert für Auge und Körper; der Ton bezieht zusätzlich das Hörvermögen ein. Auch Holepunch funktioniert auf diese Weise: Zwei Filme, deren Rohmaterial gelocht wurde und die von zwei Beamern auf eine Ecksituation projiziert sind, scheinen permanent von links nach rechts und von oben nach unten gestossen. Der Ton verstärkt den Eindruck des Aufschlagens und Zurückprallens. Obwohl den beiden filmischen Inszenierungen — wie in den Titeln ausgedrückt — etwas Hartes anhaftet, etwas ‹Schlagendes› und ‹Kratzendes›, beinhalten sie poetische Momente und erinnern in dieser Dualität an La Monte Young, Velvet Underground oder Malereien von Cy Twombly (Aldrich).
Mathieu Mercier (*1970, lebt und arbeitet in Paris) geht bei seiner Arbeit von mehreren Interessensschwerpunkten aus. Einerseits steht eine Auseinandersetzung über das Verhältnis von Architektur und Design im Spannungsfeld der Kunst oder kunsthistorische Vorläufer wie Mondrian im Zentrum seines Fokus. Andererseits sind es die alltäglichen Dinge, die er aufgreift, modifiziert bzw. mit einem Modernitätsdiskurs konfrontiert. Für die Ausstellung produzierte Mercier drei Vogelkäfige, deren Formen an selbstgebastelte, verzogene Drahtgeflechte erinnern, die jedoch aufgrund ihrer technisch perfekten Fertigung eher in einem Designkontext stehen. Die Käfige beherbergen für die Ausstellungsdauer Wellensittich-Pärchen, die durch die Fenster des Ausstellungsraumes einen freien Blick auf ihren ursprünglichen Lebensraum haben, der ihnen jedoch verwehrt bleibt. Die zweite Arbeit zeigt eine Reihe von kreisförmigen Malereien, deren Komposition an geschliffene Diamantstrukturen bzw. Schmucksteine erinnert. Im Kontext der Ausstellung wird die Gesamtinszenierung zu einem Bild des ‹Gefangen-Seins› innerhalb einer Welt von Kostbarkeiten, gleichsam ein Hin- und Hergerissen-Sein zwischen der freien und der abgeschlossenen Welt, oder dem Setzen eigener, mentaler Grenzen, die mit der Realität kollidieren.
Die Kunst von Olivier Mosset (*1944, lebt und arbeitet in Tuscon/Arizona) ist immer wieder unter den verschiedensten Aspekten betrachtet worden. Roland Wäspe und Yves Aupetitallot schreiben im Vorwort zu Mossets jüngstem Katalog «Olivier Mossets Praxis der Kunst als eine beständige Suche nach einer Form bildhafter Wahrheit wird sowohl mit dem reduktionistischen Programm von BMPR und den Monochromen des Radical Painting als auch mit der appropriativen Tendenz der Neo-Geo-Bewegung in Verbindung gebracht — vielleicht gerade weil sie konsequent auf den materiallen Gegebenheiten des Gemäldes gründet (Dimension, Format, Träger, Farbe, Farbauftrag usw.). Seine Kunst ist unter verschiedensten kunstkritischen und kunsttheoretischen Ansätzen betrachtet, mit unterschiedlichsten künstlerischen Bewegungen in Zusammenhang gebracht worden, einmal als amerikanisch, bald als französisch, dann als schweizerisch charakteristisch — kurz: Mossets Werk sieht sich in eine Vielzahl sich ergänzender und manchmal auch widersprechenden Zusammenhängen eingebettet.» Eine graue Wand, die ab 1,40 Höhe beginnt und den Gegebenheiten der Architektur folgt, kann in diesem Sinne vieles bedeuten: Einen Betrag zur Diskussion der Abstraktion, ein Sich-Integrieren-Lassen in Ausstellungszusammenhänge, d.h. sowohl Hintergrund als auch Vordergrund sein zu können — kurzum, flexibel und offen für alles zu sein.
Markus Augustinus Müller (*1970, lebt und arbeitet in Basel) besetzt mit seinen Skulpturen einen Zwischenbereich von barockhaftem Dekor und Theaterrequisiten, die er in einen Kunstdiskurs überführt. Auf den ersten Blick täuschen viele seiner Skulpturen aufgrund ihrer Oberflächenbeschaffenheit eine mimetische Haltung vor: Ein Tisch wirkt beispielsweise als ob er aus Marmor wäre oder überdimensionierte Achate sehen aus wie echte Halbedelsteine. Bei genauerer Betrachtung wird jedoch eine völlig andere Haltung sichtbar. Der Künstler gibt zu erkennen, dass die Oberfläche vortäuscht etwas zu sein, was sie meist nicht ist. So ist die in der Ausstellung präsentierte Skulptur keine Felsspalte, die auf einem Gestell aus zusammengezimmerten Rundhölzern liegt. Es sind ausgefräste, bemalte Holzplatten, die hintereinander gestapelt, auf einem bemalten Holzbrettergerüst platziert sind. Müller spielt mit der Kluft von Präsentation und Repräsentation, zwischen Sein und Schein, ‹arme› Materialien versus luxushafte Oberfläche.
Für Florence Paradeis (*1964, lebt und arbeitet in Paris) gibt es zwei Sorten von Bildern: Einerseits Bilder, die Momente — gelebte, gelesene, gehörte oder geträumte — wiedergeben oder andererseits Bilder, die konstruiert werden und ‹künstlich› sind. Das fotografisches Werk weist starke Referenzen an das Kino auf, die Fotografien evozieren häufig den Eindruck eines festgefrorenen Filmstills. Auch das Foto Le baiser, welches für die Ausstellung grossformatig als Poster platziert wird, erinnert an zahlreiche gesehene Filmszenen, in denen sich ein Paar küsst. Hier jedoch blickt die Frau den Betrachter mit offenen Augen an. Die Szenerie evoziert eine Situation der Unsicherheit: Etwas ist nicht so, wie man glaubt, dass es zu sein habe. Ein Moment der Intimität zwischen zwei Menschen kippt, ein Dritter — der Betrachter — wird in die Szene hineingeholt. Jene Störung wird symbolisch durch den goldenen Ring am Finger der weiblichen Person unterstrichen, welcher einen Totenkopf mit Zylinderhut darstellt. Der Himmel, der den herannahenden Abend ankündigt, unterstreicht die von Sehnsucht getragene Stimmung, welche sowohl das Ende als auch den Neuanfang einer Liebesbeziehung anzukündigen scheint.
Frédéric Post (*1976, lebt und arbeitet in Genf) ist der ‹Besetzer› unter den KünstlerInnen von Midnight Walkers. Seine Fahnenentwürfe vereinen die Musiklabels diverser ‹Underground-Bands› mit teilweise hinzuerfundenen Momenten. Eine schwarze Fahne trägt ein rundes Loch in der Mitte und erinnert an Schallplatten. Ihre Platzierung am balkonartigen Raumvorsprung im Kunsthaus Baselland trägt dazu bei, den sie umgebenden Werken mit einer revolutionslustigen Haltung zu begegnen. In der Ausstellung an mehreren Orten verstreut zeigt Post ‹Tablettenhaufen›, wobei er jede einzelne Tablette als «Miniskulpturen» bezeichnet. Jene Placebos sind auf ihrer Oberfläche durch drei erhobene Punkte markiert, deren Herkunft Post mit den ‹Bad-Boys-Zeichen› von 60er-Jahre Jugendbanden in Verbindung bringt. Diese tätowierten zwischen Zeigefinger und Daumen drei Punkte, um damit ihre Bereitschaft, ‹böse› sein zu können, zum Ausdruck brachten. Wenn Post diese Placebos über die Ausstellung verteilt und sie von in kleinen Säckchen platzierten Tabletten umkreist, so bringt er ein Stimmungbild in die Ausstellung ein, die ein mitternächtliches Konsumieren von diversen Pharmakas, ihre Gefährlichkeit und Tabuisierung ebenso wie das Realitätsentfliehen thematisiert.
Didier Rittener (*1969, lebt und arbeitet in Lausanne) beschäftigt sich in erster Linie mit dem Thema der zeitgenössischen Bildproduktion, welche zu einer massenmedialen visuellen Einheit geworden ist. Zeitungen, Zeitschriften, Musterbüchern, Kunstkatalogen und literarischen Büchern entnimmt er Bilder, die er mit einem speziellen chemischen Verfahren ablöst, sie grössenmanipuliert und auf verschiedene andere Bildträger appliziert. Dieses Verfahren erlaubt ihm, immer wieder unikate Kopien zu erzeugen, die in ihren Strukturen und Formationen variieren, sie zu manipulieren und mit anderen Bildresten zusammenzufügen, so dass neue Bildgestalten entstehen. Auch mit seinen Skulpturen schafft Rittener neue Formen aus einem über die Jahre hindurch angesammelten Bildfundus, welcher einem privaten Bildarchiv gleicht. Die sternförmigen, räumlich zu einer Formation arrangierten Skulpturen erinnern an schematisch gezeichnete, ins Dreidimensionale übersetzte Sterne, sie haben aber auch mit einer geometrischen Skulpturentradition zu tun. Atavistischen Elementen gleich erinnern sowohl die Skulpturen als auch die so genannten ‹Bildtransfers› an gängige Bildelemente. Ihre Überführung in neue Zusammenhänge lässt sie uns gleichzeitig fremd und bekannt vorkommen.
Alain Séchas (*1955, lebt und arbeitet in Paris) hat sich mit der permanenten Verwendung von Katzenfiguren selbst einen Befreiungsschlag geliefert, der sein künstlerisches Schaffen nicht auf die Form allein konzentriert, sondern auf Inhalte und Stimmungsbilder. Die Katze als skulpturale Einheit kann so jede menschliche Lebenslage in all ihren humoristischen und ironischen Verdrehungen sowie alle möglichen gesellschaftliche Situationen wiederspiegeln. Séchas positioniert die Skulpturen vor Bilder, welche eine Art Hintergrund-Szenographie für das Geschehen ausdrückt, welches die Katzenfiguren momenthaft repräsentieren. La Monitrice, die Schilehrerin, schwingt ihre sexy Hüften als dreidimensionale Skulptur von einer Landschaft mit sie beobachtenden Schafen — auf Leinwand gebannt. Une grande bêtise hingegen ist eine männliche Katzenfigur, die mit leicht heruntergelassener Hose und Pistole in der Hand im Begriff ist, eine grosse Dummheit zu machen, so wie es die Hintergrundmalerei andeutet. Alain Séchas erzeugt mit seinem Werk eine unmittelbare Nähe zum Betrachter, der sich den physisch auf ihn einwirkenden Figuren kaum entziehen kann. Eine Erzählung wird angedeutet, womit der Betrachter unmittelbar konfrontiert ist. Jimmy Hendrixs «Hey Joe I heard you shot your woman down» kommt einem in den Sinn, wenn man La grande bêtise sieht — möglicherweise war aber alles nicht so schlimm, wie es sich vor dem mitternächtlichen Blau, welches die räumliche Installation umgibt, abzuspielen scheint.