Pascale Grau

21.1.  —
21.3.2010

Tableaux Vivants

Grau Pascale E 2010 4
Pascale Grau, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2010
Grau Pascale E 2010 3
Pascale Grau, Tableau Vivant (Indien), 2009, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2010
Grau Pascale E 2010 2
Pascale Grau, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2010
Grau Pascale E 2010 1
Pascale Grau, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2010

Pascale Grau (*1960 in St. Gallen, lebt und arbeitet in Basel) zeigt im Kunsthaus Baselland erstmals die vier bisher fertiggestellten Tableaux Vivants aus der gleichnamigen Serie, die sie im Jahre 2005 begann und deren Weiterführung geplant ist. Grau, die auf ein sechsjähriges Studium der Visuellen Kommunikation und bildenden Kunst an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg bei Rüdiger Neumann (Experimentalfilm), Wilfried Minks (Bühnenbild), Bernhard Johannes Blume und Marina Abramovic (Freie Kunst) und ein zweijähriges MAS Cultural/Gender Studies an der ZHdK verweisen kann, ist in der Schweiz seit langem als Performerin und Künstlerin bekannt. Neben ihrer künstlerischen Tätigkeit doziert und kuratiert sie. Als Vorstandsmitglied war sie während acht Jahren für die Programmierung des Kaskadenkondensator mitverantwortlich. Unter Tableaux Vivants wird das Nachstellen von Skulpturen und Bildern mit lebenden Personen verstanden. Diese stilistische Methode der Bildkreation, die Elemente des Theaters mit jenen der bildenden Kunst verbindet, entstand Ende des 18. Jahrhunderts und erfährt heute nebst der künstlerischen Verwendung v.a. auf diversen Festivals ein Revival.

Pascale Grau führte bisher Tableaux Vivants in Myanmar (2005), in Bolivien (2006), in der Schweiz (2007) und in Karnataka/Südindien (2009) durch. Der Aspekt der unterschiedlichen Kulturen und der jeweils eigene Umgang mit Bildern und Bildtraditionen standen dabei ebenso im Fokus wie individuelle Erfahrungen der beteiligten Personen. Mit dem Prozess der Bildfindung ging die Künstlerin an jedem Ort sehr behutsam um. Für jedes neu zu erstellende Werk suchte sie die Zusammenarbeit mit KünstlerInnen und Kunstinstitutionen vor Ort. So endeten beispielsweise manche Workshops mit der Realisation eines Tableau Vivant. Die Künstlerin befragte die TeilnehmerInnen nach der Bildvorlage eines Motivs aus ihrer Kunstgeschichte oder aus ihrem kulturellen Leben. Das in einem Prozess gefundene Bild wurde in der Folge als Tableau Vivant öffentlich aufgeführt und gefilmt. Aus dem Filmmaterial entstanden einzelne Videos, die in der Ausstellung im Kunsthaus Baselland zum ersten Mal zusammen gezeigt werden.

In Myanmar wurde das Motiv einer im Workshop anwesenden Malerin ausgewählt, welches ein nach wie vor praktiziertes Ritual zeigt, bei dem kleine Knaben für eine gewisse Zeit in die Obhut eines Klosters übergeben werden. Für die PerformerInnen war das Aufführen des Rituals emotional wichtiger als das Nachstellen der Bildvorlage. In Bolivien wurde das Tableau Vivant ebenfalls im Rahmen eines Workshops erarbeitet, wobei viel diskutiert, verworfen und bewertet wurde. Die Gruppe wählte das Gemälde Ultima Cena von Jacopo Bassano und achtete vor allem auf die individuelle Gestaltung der einzelnen Figuren. Ziel war es, die bolivianische Kultur in die Vorlage mit aufzunehmen, wobei sich Christentum und Schamanismus, Tradition und globalisierte Moderne, indigene und europäische Lebensform gegenüberstanden. «Die Intention, in einem analogen Prozess künstlerisch kulturelle Unterschiede und Herangehensweisen auszumachen und darzustellen, gewann damit unerwartet klare Konturen, sowohl im Ablauf des Prozesses als auch im bildlichen Endprodukt» (Pascale Grau). Mit befreundeten KünstlerInnen aus Basel realisierte sie Die Nacht von Ferdinand Hodler, das dritte aus der Serie der Tableaux Vivants. Dabei wurde der Fokus vor allem auf eine möglichst genaue formale Entsprechung der Vorlage gelegt, die gleichsam von der historischen Lesart befreit sein sollte. Im letzten Werk erarbeitete die Künstlerin nach einem Workshop mit Studierenden des Chitrakala Parishath-Colleges und in Kollaboration mit der indischen Künstlerin Smitha Cariappa ein Tableau Vivant nach Vorlage eines Gemäldes der Mysore-Schule (18. Jahrhundert) Girija Kalyana. Darauf ist die Hochzeit der Götter Siva und Paravati geschildert, die, vor dem göttlichen Baum stehend, vom Vater der Braut Milch über ihre beiden Hände gegossen bekommen. Das indische Tableau Vivant ist geprägt von einer selbstverständlichen Haltung der Akteure, was sicherlich mit dem im Alltag gewohnten Umgang von Gottesverehrung und der Tradition von Bollywood in Verbindung gebracht werden kann.

Das Stilmittel des Tableau Vivant bietet zahlreiche Einsatzmöglichkeiten: Einerseits knüpft das Nachstellen unmittelbar an die jeweilige Lebensrealität an, andererseits bietet es die Möglichkeit, Traditionen performativ aufzugreifen. Pascale Grau betont ausserdem die Möglichkeit «Aspekte des kulturellen Bildergedächtnisses im Sinne einer zeitgenössischen Auffassung von Archiven lebendig zu halten. In der Wiederverwertung kann eine Neu- oder Umwertung stattfinden. Verdrängtes kann in widerständiger Form in Erscheinung treten. Dabei kommt der Performance selbst die Funktion eines Dokumentes zu, das auf neue Weise gelesen werden kann».
Text von Sabine Schaschl

Kurator*in: Sabine Schaschl