R. Sebastian Schachinger

Notizen zur 13. Stunde

17.9. —
1.10.2023

Der Titel sagt es bereits: Sebastian Schachinger (*1993, Freiburg) führt eine 13. Stunde in die gewohnte 12-Stunden-Zählung ein und verschiebt dadurch den üblichen Tag- und Nachtrhythmus der eigenen Stundenzählung, aber auch jene der ausstellenden Institution als öffentlicher Ort.

Also lösen wir uns erst einmal von gängigen Vorstellungen, Rhythmen, gewohnten institutionellen Öffnungszeiten und selbst von einer normalen Laufzeit einer Ausstellung. Denn Sebastian Schachingers Präsentation ist eine 14-tägige Langzeitperformance mit 12 unterschiedlichen, mehrheitlich neukonzipierten, skizzenhaft angelegten Einzelperformances, die dem neuen Rhythmus folgen und nach zwei Wochen eines verschobenen Tages- und Nachtrhythmus sich wieder in die Zeitnorm einschreiben. Ein rhythmischer Stolperstein innerhalb des Zeitverlaufs, der die Chance in sich trägt, ein Mehr an Zeit und dadurch Erfahrungen zu generieren. Denn während es für Schachinger jedes Mal Mittagszeit ist, in welchem er seine Performances realisiert, kann es für die Besuchenden – aus der «Standardzeit» – mitten in der Nacht oder in den frühen Morgenstunden sein.

Zentral im Foyer setzt der Künstler eine Zeitanzeige, herausgelöst aus einer ehemaligen Fabrikanlage, die zu beiden Seiten den Takt des Arbeitsalltags anzeigte. Ähnlich wie an Orten des Transits wie Bahnhöfe oder Flughäfen eine zentrale Atomuhr den genauen Minuten- und Sekundentakt vorgibt, nach dem es sich zu synchronisieren und damit sich zu verhalten gilt, setzt Schachinger im Kunsthaus Baselland nun einen neuen Taktgeber. Eine Uhr, die jene 13. Stunde einfügt und damit einen neuen zeitlichen Rhythmus und Ablauf in das Leben von Künstler und Institution einläutet.

Neben weiteren Arbeiten installiert Schachinger über die gesamte Ausstellungsfläche einen umlaufenden Fries aus 720 Armbanduhren, stehengeblieben und angehalten in einem bestimmten Moment, die zusammengenommen wieder die 12 Stunden eines Tages ergeben. Fast wie kleine Persönlichkeiten präsentieren sich die 720 Armbanduhren, und geben der jeweilig angezeigten Minute ihre Wichtigkeit – eben jener Moment, an welchem sie stehengeblieben, kaputt gegangen und somit aus der Zeit gefallen sind.

Doch es sind nicht das Zifferblatt, der mechanisch vorgegebene Rhythmus und deren Verschiebung, die den Künstler interessieren. Vielmehr ist es die Frage wie es für einen Kunstschaffenden möglich ist, innerhalb der normalen, von uns allen gelebten 24-Stunden-Tag-und Nachtzeit Kunst zu machen und zugleich allem anderen nachkommen zu können; sprich, zu essen, zu schlafen, zu waschen, zu kochen, Geld zu verdienen, zu lernen, einen sozialen Umgang zu pflegen usw. Aus diesem neuen Mehr an Zeit, jenen zwei Stunden mehr, resultiert denn auch ein Sich-nicht-mehr-synchronisieren-Können mit der Umwelt.

Die gesamte Zeit-Auslage von Sebastian Schachinger im Kunsthaus Baselland – gleich einem gewaltigen Uhrenwerk innerhalb der Kunsthaus-Räume an sich – ist aber auch Implusgeber oder Instrument für die täglich stattfindenden, jedes Mal unterschiedlichen Performances, die sich in das neue Zeitgefüge einschreiben – nicht als fertige Narration oder Stück, sondern eher als Skizze und Kommentar. Teilweise sind die Performances im Rahmen seiner Abschlussarbeit oder während der Swiss Art Awards bereits gezeigt worden und werden nun, in einer neuen Gesamtauslage, in den roten Faden seines Schaffens eingewoben.

Diese Performances, die der Künstler mal allein, mal mit weiteren Kunstschaffenden durchführen wird, aber auch die Arbeiten, die Schachinger explizit für seine Werkauslage im Kunsthaus neu realisiert hat wie das Metronom mit seinen Antriebsgewichten, konzentrieren sich auf Themen wie die (gesellschaftliche) Synchronisation über das Moment von Zeit und Vorgaben, aber auch Themen wie Dominanz und Hierarchie, die räumliche und soziale Gefüge unterschiedlichster Art vorgeben können. Demgegenüber stellt Schachinger erfahrbare Momente der Gemeinschaft entgegen, wie das Hören, Teilen und Überlagern von Musik und Sound, ein gemeinsames Warten, oder Zueinanderfinden. Das Gegenüber wird für Schachinger dabei sowohl zum Hörenden oder Besuchenden als auch zu aktiven Teilnehmenden. Sie lädt der Künstler ein, statt wie gewohnt Kunst zu den üblichen Öffnungszeiten eines Museums oder einer Ausstellungshalle wahrzunehmen, für einmal diese Desynchronisation und deren zeitliche Konsequenz mitzuerleben. (IG)

Am 23. und 24. September findet zudem der Performancepreis Schweiz 2023 im Kunsthaus Baselland statt. Mehr dazu hier

Kurator*in: Ines Tondar und Ines Goldbach