Regionale 24

Concerto finale

Pavel Aguilar, Ester Alemayehu Hatle, Marianna Angel, Stefan Auf der Maur, Amélie Bargetzi, Jonas Beile, Ana Brankovic, Ralph Bürgin, Sara Gassmann, Claudia Gutiérrez Marfull, Sophie Heukemes, Jan Hostettler, Matthias Huber, Anita Kuratle, Aimée Le Briéro, Florina Leinß, Julie Luzoir, Sugano Matsusaki, Robin Michel, Laura Mietrup, Laurie Mlodzik, Mariana Murcia, Anastasia Pavlou, Noemi Pfister, Sergio Rojas Chaves, Giacomo Santiago Rogado, Paula Santomé, Kathrin Siegrist, Yanik Soland, Dadi Wirz

26.11.2023 —
8.1.2024

Ein Dankeschön an 25 Jahre Kunsthaus Baselland und ein Aufbruch ins Neue

Die diesjährige Regionale im Kunsthaus Baselland ist eine ganz Besondere – 25 Jahren haben über 1300 Künstler*innen aus der Region und dem Ausland mit 193 Einzelausstellungen und 87 Gruppenausstellungen das Kunsthaus Baselland zu dem gemacht, was es heute ist – einer der führenden Orte für zeitgenössische Kunst in der Region, ein Ort der Kunstproduktion und deren Vermittlung. Mit dem Umzug von Muttenz nach Münchenstein auf das Dreispitz-Areal im Frühling 2024 beginnt in einem neuen Umfeld und in neuen Räumlichkeiten eine neue Ära für das Haus. Als Ausklang und grosses Dankeschön an alle werden wir zusammen mit knapp 30 Kunstschaffenden und ihren raumgreifenden Werken aus sämtlichen Gattungen neben Performances, Sound-Arbeiten und Konzerten den Ort und seine Geschichte noch einmal würdigen und feiern. Parallel zur Regionale findet die Einzelausstellung der Künstlerin Chiara Bersani statt, die sich mit ihrem performativen Werk ebenso auf das Kunsthaus Baselland bezieht und sich künstlerisch freundschaftlich mit in die Regionale einschreibt.

Die Regionale ist eine jährliche Gruppenausstellung, entwickelt im Kontext einer grenzüberschreitenden Kooperation von 20 Institutionen in Deutschland, Frankreich und der Schweiz mit dem Fokus auf lokale, zeitgenössische Kunstproduktion in der Drei-Länder-Region um Basel.

KuratorIn: Ines Goldbach, Ines Tondar

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Yanik Soland & Marianna Angel SOLAND ANGEL, Rotten Flowers, shiny shoes, 2023, Performance + Installation, Bühnenelemente (je ca. 15 × 100 × 30 cm), Metallplatten und -halterungen, Nägel, Plastikblumen, Blumen, Spiegel, Glocken, selbstgebaute Instrumente, Draht, Kenzans (japanische Werkzeuge für Ikebana), Midi-Keyboard, Keyboardständer, Plastikkegel, Holz, Stimmgabel Masse variabel. Pavel Aguilar, The Accordion Project, 2022, Karton und Holz, Video (4‘19“), je 35 x 20 cm. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2023. Foto: Finn Curry

Die faszinierende Reise und die schillernde Beliebtheit des Akkordeons in Lateinamerika wurzeln tief in den Strömungen der Migration und kulturellen Interaktion. Ursprünglich im 19. Jahrhundert in Deutschland entstanden und über ganz Europa hinweg verbreitet, fand dieses Instrument seinen Weg durch die Hände von Wandernden bis nach Lateinamerika. Dort hat es seitdem eine massgebliche Rolle bei der Verschmelzung verschiedenster musikalischer Rhythmen gespielt und sogar zur Entstehung neuer Klänge beigetragen.
In einem Video von Pavel Aguilar erhält das Akkordeon eine spielerische Bedeutung im Kontext antikolonialer Aktivitäten. Es dokumentiert die Herstellung eines Akkordeons in Deutschland und dessen Import nach Lateinamerika. «Was geschieht mit der Bedeutung eines Instruments, wenn seine musikalischen Eigenschaften und seine historische Entwicklung in Beziehung zueinander treten?» Bunte Akkordeonbälge, an der Wand drapiert, tragen Inschriften von Wörtern und Ausdrücken, welche die antikoloniale Bewegung innerhalb der Ausstellung repräsentieren. Die Inschriften gehören zu den lateinamerikanischen Denkern, die unsichtbar gemacht wurden. Aguilar lenkt unsere Aufmerksamkeit auf die Wichtigkeit dieser Worte und Symbole, die für den Kampf gegen Unterdrückung und Dominanz stehen.
Pavel Aguilars Forschungsfeld liegt im Bereich des Postkolonialismus und der Migration. Mit tiefgehender Neugier erforscht er das fein verwobene Netzwerk von Beziehungen und Verbindungen, das aus der Geschichte und Geografie eines Gebiets entsteht, sowie aus der Menschheit, die es bewohnt, gestaltet und mit Leben erfüllt hat – sei es durch Besiedelung, kulturellen Austausch oder leider auch durch Ausbeutung.
Die visuelle Darstellung von Klang tritt als zentrales Element in Aguilars Schaffen hervor. Durch seine Ausdruckskraft eröffnet der Sound uns ein Fenster in die Emotionen und Gedanken, die untrennbar mit der Musik und den Geschichten verbunden sind, die das Akkordeon in seinem harmonischen Klanggeflecht transportiert.

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Stefan Auf der Maur, Human Legacy, 2019-2023, Öl auf Plastiksack, Masse variabel. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2023. Foto: Gina Folly

Stefan Auf der Maur beschäftigt sich mit einem alltäglichen, aber symbolischen Objekt unserer Wegwerfgesellschaft: mit dünnen Plastiksäcken. Diese Säcke, leicht und transparent, sind ein weit verbreitetes Bild in unserer Umwelt und werden oft achtlos weggeworfen. Der Künstler gibt diesem achtlos weggeworfenen Material neues Leben, indem er es mit schnellen und präzisen Pinselstrichen zum Leben erweckt. Auch Tiere gehören zu seinen bevorzugten Motiven in seinem vielschichtigen malerischen Werk.
2018 hielt sich der Künstler zu einem Arbeitsaufenthalt in Panama auf, was ihn zu einer Serie von Vogelbildern inspirierte. Auf fragile Plastiksäcke, die oft in lebhaften Farben erscheinen, malte er faszinierende, bunt schillernde Vögel. Dieser Bildträger dient nicht nur als visuelles Bindeglied zu seinem Thema «Luftbewohner», sondern weist auch auf die Flüchtigkeit und das mögliche Aussterben vieler Vogelarten hin, die durch menschlichen Einfluss bedroht sind. Vermüllung, Unachtsamkeit gegenüber der Natur, Klimawandel klingen hier als Themen nach.
Stefan Auf der Maurs malerisches Werk offenbart die Fragilität der Natur und erforscht die Wechselwirkungen zwischen Mensch und Umwelt. Dabei bedient sich der Künstler oftmals nicht nur der Ölmalerei, sondern auch plastischer Techniken und Zeichnungen.

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Amélie Bargetzi, Là où nous sommes, 2019-2020, Film, 35’41’’, Fos-sur-Mer, Frankreich. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2023. Foto: Gina Folly

Die kleine Stadt Fos-sur-Mer in der Provence, zwischen dem Rhone-Delta und der Camargue gelegen, verfügt über viel Charme und ein grosses Angebot an sportlichen Outdooraktivitäten. Seit den 1970er-Jahren ist Fos-sur-Mer ausserdem eines der grössten Industriegebiete Europas. Mehr als 200 Fabriken stehen in der einst von üppiger Natur geprägten Landschaft, 80'000 Menschen arbeiten auf dem Gelände.
Das Verhältnis der Anwohnenden zur Industrie ist gespalten. Sicherlich bringen die Fabriken Arbeitsplätze und Geld in die Region. Gleichzeitig zerstören sie aber die Natur, verschmutzen die Luft und das Meer. In der Umgebung fällt eine Häufung chronischer Krankheiten auf sowie ungewöhnlich viele Krebserkrankungen.
Amélie Bargetzi porträtiert diese Beziehung zwischen der Industrie und den Bewohner*innen von Fos-sur-Mer in ihrem Film Là où nous sommes. Die Künstlerin macht Bilder, ohne zu bewerten. In der Arbeit kommen zwei Protagonist*innen zu Wort, welche deutlich werden lassen, wie gespalten das Verhältnis der Menschen zur Industrie ist: Die einen sind zufrieden und nehmen die Fabriken schon fast gar nicht mehr wahr. Die anderen erwarten, dass die Industrie sich für die Gesundheit der Arbeitnehmenden und gegen Umweltverschmutzung einsetzt.
Gegensätze ziehen sich auch durch die Bilder in Bargetzis Film: Kinder spielen am Strand – hinter ihnen, nur ein paar Meter entfernt, stehen grosse Tanks, in denen Öl gelagert wird. Im Vordergrund herrscht fröhliches Jahrmarkttreiben – dahinter schiesst eine riesige Flamme aus einer hohen Fackel in den Himmel. Alles scheint ambivalent. Bargetzis Werk vereint beide Seiten auf eine zurückhaltende, aber scharf beobachtende Weise.

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Jonas Beile und Sugano Matsusaki, GMT+9, 2022 1-Kanal-Videoinstallation (29’13’’), Textilfarbe und Acryl auf Leinwand je 40 × 50 cm. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2023. Foto: Gina Folly

Jonas Beile und Sugano Matsusaki inszenieren mit GMT+9 ein nuanciertes Porträt zweier japanischer Frauen. Die Protagonistinnen entfliehen den gesellschaftlichen Zwängen in ihrem Heimatland, um ein gemeinsames Leben in Berlin zu beginnen. In GMT+9 wird die japanische Zeitzone, wie der Titel bereits suggeriert, zur Metapher für diesen nicht immer reibungslosen Übergang zwischen Lebenswelten, Kulturen und Zeitrechnungen.
Ein ergreifender Moment in diesem Film zeigt, wie eine der Frauen die andere beschuldigt, ihren Körper und Geist auf die japanische Zeit (GMT+9) einzustellen. Diese emotionale Erzählung entfaltet sich durch geschicktes Schneiden von Interviews und Erzählungen aus der Sicht der Protagonistinnen. Jonas Beile und Sugano Matsusaki erschaffen dabei einen fiktionalen Rahmen, der Raum für unangenehme, vielleicht auch verdrängte Gedanken lässt – jene Gedanken, die oft im Verborgenen bleiben.
Auch nach langjährigem Aufenthalt an ihrem neuen Wohnort fühlen sich diese Menschen immer noch wie Fremde. Heimatlos. Der Freiheitsbegriff in den westlichen Metropolen erfordert eine ständige Betonung der eigenen Identität. Trotz der veränderten physischen Umgebung bleiben sie fest in ihrer eigenen Perspektive verankert. Der Lebensrhythmus der beiden Frauen läuft auseinander, wodurch ihre verschiedenen sozialen Hintergründe deutlicher zutage treten. Die Protagonistinnen teilen mit uns ihre Gefühle und beleuchten Themen wie Scham, Verborgenheit und die Herausforderungen, sich so zu entfalten, wie sie es sich ersehnen. Doch das Ideal der Offenheit lastet wie ein unaufhörlicher unbewusster Druck auf ihnen. Denn Berlin zeigt sich nicht immer als der erträumte Sehnsuchtsort, und die angestrebte Freiheit muss in der Realität den harten Gesetzen der Selbstbehauptung weichen.

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Ralph Bürgin, Cold Song, 2023 Öl auf Leinwand 250 × 170 cm; Concerto Giardino, 2023 Öl auf Leinwand, 250 × 170 cm. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2023. Foto: Gina Folly

Ralph Bürgins oftmals grossformatigen, skizzenhaft und fast monochrom wirkenden Gemälde entfalten eine geradezu skulpturale Wirkung. Inspiriert von Kunst und Mythologie der Antike, stellen die Gemälde einen malerischen Versuch dar, das Motiv des Janus (u.a. auch «Vater aller Quellen» genannt) mit dem Element des Wassers zu einer Art ewigen Brunnen zu vereinen. Janus ist der römische Gott allen Ursprungs und der dualistischen ewigen Gesetze wie Anfang und Ende, Schöpfung und Zerstörung, Zukunft und Vergangenheit. Der zweifach respektive gespiegelt wiedergegebene Wasserstrahl unterstreicht diese Sinnbildlichkeit und verweist indirekt auch auf die sich stetig erneuernde und aus sich selbst speisende Kraft der Kunst.
Die blockhaften Gesichter in den beiden Brunnenbildern sind keine Neulinge in Ralph Bürgins Werken. Sie sind passive Akteure, die schweigsam zu beobachten scheinen. Bürgin nennt sie auch «Eindringlinge mit geschlossenen Mündern». In den beiden Werken Concerto Giardino und Cold Song sind ihre Münder für einmal leicht geöffnet. Nicht Worte, sondern Wasser fliesst aus ihnen heraus, unerschöpflich fliessend, unentwegt – ein ewiger Brunnen.
Ralph Bürgins Werkauslage ist sowohl schön als auch tiefgehend wissend, und sie lädt dazu ein, die Vielschichtigkeit seiner Kunst zu erkunden.

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Sara Gassmann, Dreamcity, 2021, Acryl, Tusche auf Baumwolle, 130 x 160cm; Indiana, 2021, Acryl, Tusche auf Baumwolle, 120 x 120 cm; la famiglia, 2021, Acryl, Tusche auf Baumwolle, 130 x 160cm; Hevea, 2021, Acryl, Tusche auf Baumwolle, 140 x 120 cm. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2023. Foto: Finn Curry

In Farben, Formen und Gedanken, die in einer bezaubernden Symbiose verschmelzen, tauchen die Werke von Sara Gassmann auf. Die Künstlerin erkundet die Grenzen der bildlichen Realisierung in den Medien Zeichnung, Malerei und Plastik. Gassmanns Werke sind eine kühne Reise durch das Reich der Farben und Formen, die nicht nur einzelne Gemälde umfassen, sondern sich zu wandelbaren räumlichen Installationen vereinen. Hier geht es nicht nur um das, was auf der Leinwand erscheint, sondern auch um die Räume dazwischen, die den Betrachter*innen auf eine Reise der subtilen Reibungen und bewegten Gedanken mitnehmen. Die Farbkombinationen sind einfühlsam und beunruhigend, und die Pinselspur ist immer sichtbar und legt den Prozess offen. Transparenz und Schichten werden eingesetzt.
Sara Gassmanns Kunstwerke erinnern an vertraute Motive, doch sie sind nicht blosse Kopien oder Imitationen. Die Künstlerin verführt die Betrachter*innen dazu, über die Grenzen des Gewohnten hinauszudenken und die Kunst in ihren Werken zu erleben – wie eine poetische Syntax in einem Gedicht, wo Raum für individuelle Interpretationen und Bewegung zwischen den Zeilen bleibt.
So sind Gassmanns Werke wie Gedichte, in denen Wörter auf das Wesentliche reduziert sind und durch ihren Rhythmus und Klang eine einzigartige Sprache sprechen. Hier gibt es keine klare lineare Erzählstruktur, sondern es bleibt Raum für die Freiheit des Denkens und die Schönheit des Ungewissen. Die Kunst von Sara Gassmann wird nicht nur gesehen, sondern auch gefühlt und gedacht.

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Claudia Gutiérrez Marfull, Translucent rocks, 2023, Nylonfaden und Tüll, 200×120×12cm. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2023. Foto: Gina Folly

Durchscheinende Strukturen haften an der Wand und schichten sich, zart und fragil übereinander; einzelne Formen, die sich zu einem Ganzen verbinden. Sie wirken lebendig, als könnten sie wachsen und sich langsam über die Wand und den ganzen Raum ausbreiten. Claudia Gutierrez Marfull beschäftigt sich mit urbanen Unorten und Zwischenräumen, die wenig Beachtung finden und denen keine Bedeutung zugemessen wird. Die Künstlerin setzt Stadtelemente im Zustand der Auflösung aus textilen Materialien um. Der Gegensatz der dargestellten Härte zur Weichheit und Haptik von Tüll und Nylonfäden fällt im Werk Translucent rocks besonders auf und wird auch im Titel wieder aufgenommen. Die Arbeit entstand bei Streifzügen durch Basel, auf denen der Künstlerin der permanente Zustand der Umgestaltung der Stadt auffiel: Baustellen und aufgerissene Strassen, die den Blick auf das Innere, auf rohes Material freigeben: Schutt, Sand, Erde, Stein. Die gegensätzliche Gestik von Handarbeit – einerseits mit sperrigem Material auf einer Baustelle, andererseits mit fliessenden Textilien – vereint die Künstlerin wie selbstverständlich in ihrem Werk und schafft eine Verbindung zwischen dem Vorübergehenden und dem Dauerhaften, dem Zarten und dem Groben.
Translucent rocks könnte hier, am Ort der Ausstellung im Kunsthaus Baselland, einem Anfang und Ende zugleich entsprechen: eine Erinnerung an die Mauern des aktuellen Standorts des Kunsthaus Baselland und zugleich ein Grundstein, ein Fundament für etwas Neues, das auf dem Dreispitz entsteht.

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Sophie Heukemes, dark paths, 2023, Keramik mit Kerze, 29 x 24 x 3 cm; Home, 2023, Keramik mit Metallring, 34 x 18.5 x 4 cm; Nightfight, 2023, Keramik mit Metall, 25 x 30 x 3 cm; saving them for better times, 2023, Keramik, 21 x 18 x 2 cm; Fountain, 2023, Keramik mit Metallring, 110 x 54 x 3 cm; splish splash, 2023, Keramik mit Metallring, 34 x 27 x 2 cm. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2023. Foto: Gina Folly

Sophie Heukemes offenbart eine Welt, geprägt von Symbolen und Metaphern, die die Betrachtenden in eine vielschichtige Erzählung entführen. In ihren Werken findet man Tiere, die als Symbole für die verschiedenen Facetten menschlicher Eigenschaften stehen, und die dunkle Nacht als Ort des Ungewissen und des Mystischen. Heukemes’ Kunst ist ein Spiegel ihrer Gedanken, Erlebnisse, Sorgen, Ängste und Träume, ein Versuch, das Innerste ihrer Seele zu materialisieren und zu ergründen.
Durch den Einsatz einer mythologischen Bildsprache und eigenen Symbolik schafft Heukemes imaginäre Orte, die sich irgendwo zwischen ihrer eigenen Realität und jener der Betrachtenden befinden. Die Materialität spielt eine entscheidende Rolle in ihren Werken. Der Kontrast zwischen der glatten Glasur und dem rauen Ton erzeugt eine besondere Haptik, die die Werke greifbar und lebendig macht. Da Heukemes jedes Stück mit ihren Händen formt, bewahrt es eine eigene Note. Heukemes möchte mehr als nur visuelle Eindrücke vermitteln. Sie möchte einen Anreiz schaffen, das Werk zu berühren, um die Tiefe und Lebendigkeit der Materie zu spüren.

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Jan Hostettler, A, 2022, Holz, Metall 78 × 22 × 6 cm. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2023. Foto: Gina Folly

Jan Hostettler integriert in seine Arbeiten Eindrücke und Fundstücke aus seinen eigenen Recherchen – oftmals zu Fuss, in Form von ausgedehnten Spaziergängen und Wanderungen. Er nutzt unterwegs oder in Archiven, Museumsdepots oder Nachlässen gefundene Objekte als Arbeitsmaterial und verleiht ihnen dadurch eine neue Gestalt. Dabei zersetzt er beispielsweise Holzskulpturen in Pigmente für seine Malerei und bringt sie auf der Leinwand in eine neue Präsenz. Vermeintlich bekannte Gegenstände verschiebt er in ungewöhnlichen Situationen und Kontexte. Auf diese Weise hinterlässt der Künstler sowohl sichtbare als auch unsichtbare Spuren durch die Verwendung von Material, die Kontextualisierung von Orten und die Transformation von Objekten.
Bei der Arbeit A entsteht aus einer Axt, die der Künstler gefunden und restauriert hat. Auf den zweiten Blick wird deutlich, dass diese Axt kein Holz spalten kann, da ihre scharfe Klinge fehlt. Stattdessen trägt sie den Buchstaben «A», der an ein Brandzeichen erinnert. Das Objekt spielt mit den Erwartungen des Publikums, und gleichzeitig hinterlässt die Aktion seine eigene Marke am ausgestellten Ort.
Das aus Metall gefertigte Werk Durchsage erweckt die Neugier der Besuchenden. Ein Sägeblatt ragt aus ihm zur Hälfte heraus. Das Gegenüber wird sich fragen, ob der Schnitt weiterführt oder gestoppt wurde. Der Titel spielt auf subtile Weise mit unserer Alltagssprache und eröffnet Raum für Interpretationen. Jan Hostettler verdeutlicht, was kleine sprachliche Verschiebungen für mitunter große Auswirkungen haben können. Ebenfalls ist zu erkennen, dass selbst geringfügige Eingriffe im Raum in der Lage sind, das gesamte Haus zu verändern.

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Matthias Huber, GELB, 2022, Acryl auf Holz, 110 × 74cm; OHNE TITEL, 2022, Wandtafelfarbe und Acryl auf Holz, 92 × 76cm; OHNE TITEL, 2023, Acryl auf Holz, 95 × 73cm; OHNE TITEL, 2023, Wandtafelfarbe und Acryl auf Holz, 140 × 140 cm (2-teilig); OHNE TITEL, 2023, Aktivkohle und Acryl auf Holz, 117 × 85cm; OHNE TITEL, 2012, Acryl auf Holz, 90 × 75cm; OHNE TITEL, 2014, Acryl auf Holz, 80 × 60cm; OHNE TITEL, 2023, Aktivkohle und Acryl auf Holz, 85 × 117cm. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2023. Foto: Gina Folly

Matthias Hubers Malereien scheinen sich in einem Zustand zu befinden, bevor Malerei überhaupt anfängt. Der Künstler beschäftigt sich mit Fragen der Bildfindung. Dabei können die Sujets abstrakt, figürlich oder konkret sein oder auch wie Farb- und Formstudien wirken. Die Bildfindung an sich und Fragen, welche diesen Prozess begleiten, werden in seiner Arbeit zur Hauptsache, treten an uns Betrachtende heran und entlarven unsere Erwartungshaltung und Ansprüche gegenüber einem Gemälde.
Der Künstler arbeitet oft an mehreren Bildern gleichzeitig, was es ihm erlaubt, die Arbeit an einem Bild zu unterbrechen und sich einem anderen zu widmen. Diese Unterbrechungen nutzt Matthias Huber, um in abgebrochene Abläufe und Zustände neu einzugreifen, zu korrigieren und andere Richtungen einzuschlagen. Die Bilder werden in seinem Atelier nahezu zu Bauelementen, die er immer wieder umordnet und in neuen Kombinationen zusammenstellt – eine Art soziales System, in dem vermeintlich schwache von vermeintlich starken Bildern getragen werden und die Werke ihr Kräfteverhältnis untereinander über die Zeit selbstständig verändern. Die konstante Offenheit für neue Kombinationen, das Ausprobieren und Immer-wieder-neu-Denken hat etwas Spielerisches, das sich auch im Charakter der Bilder und in ihrer Präsentation widerspiegelt: Oft stellt Matthias Huber Werkgruppen aus unterschiedlichen Formaten zusammen, auf Nägel gestellt oder an die Wand gelehnt. Durch diese Mobilität wird das Spiel vom Atelier des Künstlers in den Ausstellungsraum transportiert, in dem es sich in den Köpfen der Betrachtenden fortsetzen kann.

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Anita Kuratle, Voices (Dokumenta fifteen), 2023, Papier, 720 x 240 cm. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2023. Foto: Gina Folly

Die weisse Wand ist so dicht mit schwarzen Linien bedeckt, dass sie beinahe zu einer Fläche zusammenwachsen. Eine Wand voll Gekritzel, chaotisch, unleserlich und übereinandergeschichtet. Ein visuelles Gemurmel. Je länger man sich jedoch Zeit nimmt, desto mehr scheinen sich die feinen Linien zu entwirren. Es gelingt, einzelne Stellen zu entziffern und Stimmen deutlicher zu hören. Man tritt näher heran, zoomt hinein, taucht tiefer. Ein Universum von Aussagen und Inhalten entfaltet sich: kleine Zeichnungen, Symbole, Buchstaben, Notizen.
Anita Kuratle
sammelt Kritzeleien: aus alten Schulheften, von Testblättern in Schreibwarengeschäften, Überreste aus dem Altpapier oder von Notizblöcken, die von langen Telefongesprächen zeugen.
Die Fundstücke übersetzt die Künstlerin in eine dreidimensionale Form. Dabei arbeitet sie mit verschiedenen Materialien: Papier, Keramik, Kunststoff, Gips. Die einzelnen Handschriften, Schwünge und Tempi bleiben sichtbar und werden durch die verschiedenen Materialien noch verdeutlicht. Die unterschiedlichen Stimmen, erklingen – von der Künstlerin zu einem visuellen Chor arrangiert – in unseren Köpfen beim Betrachten des Werkes Voices. Man kann sich in dieser Wand voller Geschichten und Erzählungen verlieren, wie in einem langen Telefongespräch mit einer nahestehenden Person, in dem man unmerklich von einem Thema ins nächste rutscht.

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Florina Leinß, pic190.23 double douse, 2023, Graphit auf Wand, Masse variabel. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2023. Foto: Gina Folly

Florina Leinß entfaltet in ihren Kunstwerken ein Spiel mit diversen Materialien. Dabei spielt die jeweilige Wahl eine entscheidende Rolle, sei es Lack, Grafit, Ölfarbe oder Dispersionsfarbe. Jedes Material verleiht ihren Arbeiten eine einzigartige Haptik und ruft unterschiedliche visuelle Empfindungen hervor. Leinss’ Hauptinteresse liegt dabei auf der Wechselwirkung zwischen dem Material und der Wahrnehmung desselben auf das Gegenüber.
In ihrem kreativen Prozess spielt die Intuition eine bedeutende Rolle. Rationales Überlegen fliesst ebenso in den Prozess ein, wie spontanes Agieren und emotionales Reagieren, wodurch ihre Werke aus einer rätselhaft abstrakten und dennoch seltsam vertrauten Art entstehen. Ein Beispiel dafür ist ihr Werk pic179.21transient, in dem sich flächige Linienbahnen an der Wand entlangziehen. Hier offenbart sich eine grundlegende Geste des reichhaltigen Repertoires der Künstlerin. Abstrakte Formen zwischen Zeichnung und Malerei ergeben eine eigene Formensprache, die eng mit einer bestimmten Farbwelt verbunden ist. Diese bildet die Grundlage für unterschiedliche Neukombinationen in ihren Gemälden und Rauminstallationen.
Die Flüchtigkeit, die auch in der temporären Natur ihrer Wandarbeiten nach der Ausstellung zum Ausdruck kommt, harmoniert bemerkenswert mit ihrem künstlerischen Schaffen. In ihrer Arbeit für das Kunsthaus Baselland hat sie beispielsweise Grafitpulver verwendet, das eine schimmernd silbergraue Oberfläche erzeugt. Dieses Werk entstand in der Interaktion zwischen zwei digitalen Zeichnungen, wobei diese sich gegenseitig beeinflussten und inspirierten. Nun wird die Arbeit für die Dauer von einigen Wochen fest mit den Wänden und dem Raum des Kunsthaus Baselland verbunden sein – ihn prägen und verändern.

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Julie Luzoir, La solitude des foules, 2023, paper, variabel. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2023. Foto: Gina Folly

Weisse Papierbahnen bedecken den Fussboden. Sie breiten sich übereinander aus, quellen über die Balustrade und erobern den Raum. Hunderte von kleinen gezeichneten Personen tummeln sich auf dem weissen Papier. Viele stehen für sich allein, Interaktionen finden nur subtil und vereinzelt statt. Zusammengehalten werden sie durch die langen Papierstreifen, als Gruppe formiert und vereint. Die Zeichnungen von Julie Luzoir haben eine performative Dimension. Die Künstlerin nutzt die Zeichnung als Mittel, um Verbindungen zwischen Menschen und kollektive Erfahrungen zu schaffen. La solitude des foules ist ursprünglich aus der Einsamkeit entstanden, die die Corona-Krise für viele mit sich brachte. Auf einmal fanden sich viele Menschen isoliert, allein, von ihren sozialen Kontakten abgeschnitten wieder. Dieses Gefühl der Isolation illustrieren die unzähligen Charaktere auf den unendlichen Papierbögen.
Jetzt, im Kunsthaus Baselland, bekommt die Arbeit von Julie Luzoir eine zusätzliche Ebene: Anstatt Isolation symbolisiert sie eine Gemeinschaft. Eine Verbundenheit, die sich durch das und im Kunsthaus Baselland manifestiert. Die Installation ist Rückblick und Ausblick zugleich: Rückblick auf alle Künstler*innen und Besuchenden, auf alle, die das Kunsthaus Baselland unterstützt, es mitgetragen, sich für die Institution eingesetzt und sich eingebracht haben. Ausblick auf einen grossen Neubeginn in einem neuen Zuhause, mit all jenen, die den Weg bisher mit dem Kunsthaus Baselland gegangen sind. So werden hoffentlich in Zukunft noch mehr Geschichten im Kunsthaus zusammenkommen und die Menschenmenge auf dem Papierteppich weiterwachsen lassen.

KHBL_2023_Regionale24_Mietrup_Michel
Laura Mietrup & Robin Michel, Basement Hum, 2022, Karton, Holz, Dispersion, PVC Röhren, Arduino, Ventilatoren, Hubmagnete, Flaschen, Zither, Melodica, Masse variabel. Matthias Huber, GELB, 2022, Acryl auf Holz, 110 × 74cm; OHNE TITEL, 2022, Wandtafelfarbe und Acryl auf Holz, 92 × 76cm; OHNE TITEL, 2023, Acryl auf Holz, 95 × 73cm; OHNE TITEL, 2023, Wandtafelfarbe und Acryl auf Holz, 140 × 140 cm (2-teilig); OHNE TITEL, 2023, Aktivkohle und Acryl auf Holz, 117 × 85cm; OHNE TITEL, 2012, Acryl auf Holz, 90 × 75cm; OHNE TITEL, 2014, Acryl auf Holz, 80 × 60cm. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2023. Foto: Gina Folly

In der Arbeit Basement Hum zeigen Laura Mietrup und Robin Michel Klangskulpturen, die durch das Summen von Strom- und Lüftungsschächten inspiriert sind. Die Skulpturen sind durch ein Röhrensystem miteinander verbunden, das gleichzeitig eine Zeichnung im Raum bildet und sich zusammen mit den Klängen der Skulpturen durch den Raum ausbreitet. Diese Klänge werden elektromechanisch erzeugt, indem beispielsweise Ventilatoren Glasflaschen anblasen, eine Zither von kleinen Motoren gespielt oder eine Metallschale mechanisch angeschlagen wird.
Basement Hum ist das Ergebnis eines gemeinsamen Interesses, industrielle und architektonische Elemente künstlerisch zu interpretieren. Es zeigt einen Ausschnitt der Arbeit, die als raumfüllende Installation realisiert wurde und zugleich nochmals die grosse Soloschau von Laura Mietrup im Kunsthaus Baselland 2022 in Erinnerung ruft.

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Anastasia Pavlou, Me Without U, 2022, Öl, Wasser, Gesso auf Leinwand 200 x 200 cm. Anita Kuratle, Voices (Dokumenta fifteen), 2023, Papier, 720 x 240 cm. Kathrin Siegrist, Skizzen, Dokumente & Display, 2023, Diverse Materialien, Masse variabel. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2023. Foto: Gina Folly

Für Anastasia Pavlou heisst ein Kunstwerk zu machen Raum zu schaffen – Raum für Gedanken, Gefühle, Projektionen. Auf der einen Seite ist der Raum gefüllt mit Ideen der Künstlerin. Auf der anderen Seite kann der Raum von den Betrachtenden mit eigenen Gedanken und Empfindungen gefüllt werden. Malerei ist dabei ihr Medium. Der schwarze, unergründliche Raum etwa hinter der grossen Krähe scheint unendlich Platz dafür zu bieten. In den unterschiedlichen Nuancen und Schichten von Schwarz füllt die grosse Figur beinahe die ganze Leinwand aus. Fast wirkt sie etwas düster, die Malerei von Anastasia Pavlou. Auch der Titel Me without U suggeriert zunächst eine Abwesenheit – jemand scheint zu fehlen. Auch der Vogel ist anwesend und gleichzeitig abwesend, verschwindet im Dunkel der Farbschichten. Je nach Blickwinkel wird er eins mit dem Hintergrund. Ist eine Stelle klar erkennbar, löst sich eine andere auf. Die Krähe ist so sichtbar, ähnlich wie man eine Sternschnuppe aus dem Augenwinkel sieht. Richtet sich der Blick direkt darauf, verschwindet sie in den Tiefen des Nachthimmels. Genauso scheint es sich mit der Krähe zu verhalten. Sie löst ein Gefühl aus. Beim Versuch, direkt zu erkennen, was die Malerei erzählt, wird sie unscharf und scheint zu verschwinden. Es bleibt eine vage Ahnung, ein Nachklang dessen, was eben noch greifbar schien. Die Künstlerin interessiert sich für Gedanken und Ideen, genauer gesagt für deren Formen: Gedanken können dick oder dünn sein, sie können wie ein Tunnel zu etwas hinführen oder sich wie die Leere einer Lücke anfühlen. Diese Morphologien stehen im Mittelpunkt der Arbeitsweise von Anastasia Pavlou und werden oft in formalen Aspekten ihrer Arbeit sichtbar. Die Künstlerin arbeitet schnell und viel. Die intensiven Arbeitsphasen wechseln sich jedoch mit langen Zeitabschnitten des Nichtstuns, des Denkens und Schauens ab. Das ist einer der Gründe, warum Zwischenräume sie so sehr beschäftigen. Sie lassen Platz für neue Gedanken und Ideen, die sich wiederum durch Malerei in Formen übersetzen lassen.

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Noemi Pfister, Ohne Titel, 2021; Le Ali della Libertà, 2021; Omaggio alle Mondine, 2020; Invasione di Locuste, 2023; L’ Annunciazione, 2021; Colazione sull‘Erba, 2021, Kugelschreiber auf Papier, je 50 × 60 cm (gerahmt). Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2023. Foto: Gina Folly

Eine Serie von Zeichnungen, entstanden mit Kugelschreiber und Bleistift. Das kleine Format fordert Intimität. Man muss die Arbeiten aus der Nähe betrachten, um zu erkennen, was sie erzählen: Die Tierszenen könnten aus einer Sage stammen. Wir alle kennen Geschichten, in denen Tiere die Hauptrollen spielen und die meistens mit einer eindeutigen Moral hinterlegt sind. Bei näherem Betrachten wird hinter den Märchenszenen die Gegenwart spürbar: Die beiden Kinder unter dem Baum tragen Crocs, die Blumenfee Turnschuhe. Und doch gibt es Unbekanntes in jedem Bild, in jeder Zeichnung.
Die Zeichnung Omaggio alle Mondine trägt die Datierung 1. Mai 2084. Ein Ausblick in eine düstere Zukunft: Seltsame Mischwesen sammeln angestrengt Halme aus dem kniehohen Wasser, während ein Frosch die Arbeit musikalisch begleitet. Der Titel der Zeichnung bezieht sich auf ein Ereignis aus der Vergangenheit: Mondine waren Arbeiterinnen, die im späten 19. Jahrhundert in der italienischen Po-Ebene der anstrengenden Arbeit des Reispflückens nachgingen.
Noemi Pfister
komponiert alternative Welten, die jedoch auf Fragestellungen unserer Vergangenheit und Gegenwart aufbauen: Unter welchen Bedingungen werden wir leben, welchen Arbeiten werden wir nachgehen? Werden die Grenzen zwischen den Arten im Jahr 2084 noch dieselben sein? Welche Arten von Gemeinschaften wird es geben? Die Künstlerin sieht zwischen dem Streben des Menschen nach Fortschritt und wirtschaftlichem Wachstum sowie sozialer Ungerechtigkeit und der Veränderung biologischer Systeme einen direkten Einfluss. Mit ihren Arbeiten illustriert und kommentiert sie mögliche Parallelwelten, die unserer zwar ähnlich sind, die aber zu unterschiedlichen Zeitpunkten andere Richtungen eingeschlagen und andere Narrationen entwickelt haben.

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Giacomo Santiago Rogado, Room for Intuition, 2023 Mischtechnik auf Baumwolle 4.50 ×12 m / variabel; Coalescence, 2020. Acryl und Öl auf Baumwolle 100 × 70 cm. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2023. Foto: Gina Folly

Die Bildsprache von Giacomo Santiago Rogado ist frei von raumzeitlichen Koordinaten und erkennbaren Objekten. Seine Werke, meist installativ realisierte Gemälde, zeigen evokative Formen, die als Partikel, Flüssigkeiten, elementare Lebensformen oder Planeten, Sterne oder Galaxien erscheinen. Es entsteht ein Gefühl von Widersprüchlichkeit und Transparenz, von Durchdringung und Überschneidung, von Konsonanz und Resonanz.
«Das Überflüssige weglassen, um das Wesentliche zu finden» – das ist das poetische Credo, das Rogado uns vor Augen führt. Analog dazu tut Rogado beim Malen nichts anderes als «einfach nur malen». Es gibt keine Vorüberlegungen, kein Projekt und kein vorgefertigtes Wissen, die Praxis wird mit Ausgeglichenheit und Ausdauer als eine paradoxerweise blinde Übung des Malens ausgeführt. In seinem Werk Room for Intuition überträgt er den Akt des Malens in Teilen auf die Materialien seiner Arbeiten. Es handelt sich um eigenständige Arbeiten, in denen sich seine selbst entwickelten Techniken vermischen und neuartige Malereikombinationen generieren. Die mit Farbbädern in einem Zusammenspiel von Zufall und Komposition geschaffenen Werke beeindrucken durch ihre unmittelbare Wirkung. Die Baumwolltücher saugen in einem langsamen Trocknungsprozess die Farben auf, die der Künstler in Behälter hineintröpfelt. Die Tropfen blühen auf den Stoffen zu prächtigen bunten Formen aus. Das Arbeiten ist ein Dialog zwischen Impulsgeben, Beobachten, Entstehen und Reagieren.
Giacomo Santiago Rogado geht bei seinen Arbeiten äusserst einfühlsam mit Licht und Raum um. Dieses Interesse spiegelt sich nicht nur in seinen Gemälden, sondern auch in deren reflektierten Platzierung. Affektiv, mediativ, kontemplativ – so lässt sich das Betrachten mit dem Werk von Giacomo Rogado beschreiben, und es ist zugleich ein Erfassen des eigenen Seins im Raum.

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Sergio Rojas Chaves, Green Thumb Syndrome, 2022, Holzvorhänge, Dimensionen variabel. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2023. Foto: Gina Folly

In Green Thumb Syndrome von Sergio Rojas Chaves werden verschiedene Darstellungen des Menschen im Verhältnis zur Natur untersucht, genauer zur Zimmerpflanze. Der Künstler hat Momentaufnahmen von Beziehungen zwischen Menschen und kultivierten tropischen Pflanzen aus Handbüchern und Lifestyle-Magazinen gesammelt. In diesem Kontext thematisiert Rojas Chaves die Ambivalenz unserer Beziehung zu tropischen Pflanzen, deren Anbau bis ins 19. Jahrhundert zurückreicht.
Die Pflege von Zimmerpflanzen ist eine Praxis, die tief im kolonialen Extraktivismus verwurzelt ist. Es wurden spezielle Standards für ihre Pflege entwickelt, bei denen die ästhetische Schönheit oft im Vordergrund stand, unabhängig von den tatsächlichen Bedürfnissen der Pflanzen. Viele dieser Methoden sind bis heute in der Zimmerpflanzenkultur noch unverändert und dienen dazu, den Pflanzen ein gewünschtes Aussehen zu verleihen: oft ein gepflegtes, aber dennoch naturbelassenes Erscheinungsbild.
Die Darstellungen dieser Pflanzen finden sich, poetisch und leicht, auf Bambusrollos – ein Kontrast zum weitreichenden, komplexen Inhalt. Der Schwerpunkt von Rojas Chaves liegt dabei auf dem Angebot alternativer Perspektiven zur menschlichen Natur. Er arbeitet mit Pflanzen und Tieren, um den Anthropozentrismus durch die Betonung von Wechselbeziehungen und Wechselwirkungen zu hinterfragen.
Die persönlichen Erfahrungen des Künstlers nehmen einen konstanten Einfluss auf seine künstlerische Arbeit. Aus Costa Rica stammend, lebt er seit vier Jahren in der Schweiz. Diese Erfahrungen sind stets von Gefühlen der Nostalgie und Entfremdung geprägt. Bei seinem Bemühen sich anzupassen entdeckte Rojas Chaves eine tiefe Empathie für Pflanzen, die im übertragenen Sinne einen ähnlichen Diskurs von Heimat, Unterwegssein und Anpassung durchlaufen wie viele Menschen heute.

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Paula Santomé, Ecdysis, 2023, Aluminium, je 20 × 30 cm und 10 × 15 cm. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2023. Foto: Gina Folly

Paula Santomé erforscht seit Längerem in ihrem Werk intensiv die feministische Sichtweise auf die Frau, insbesondere die Madonna-Hure-Dichotomie (MWD). Dieses polarisierende Konzept kategorisiert Frauen entweder als «gute» Frauen, die keusch und rein sind, oder als «schlechte» Frauen, die als promiskuitiv und verführerisch betrachtet werden. Somit ist die MWD entstanden, die das Patriarchat bestärkte, indem es konventionelle Geschlechterrollen belohnte und jene bestrafte, die es infrage stellten.
In ihrem Werk zeigt Paula Santomé auf, wie verschiedene Kulturen auf der ganzen Welt die Schlange als ein vielschichtiges Symbol betrachten. Die Schlange steht für die grosse Mutter, Weisheit und Macht bei den Azteken, das Göttliche in Indien und den ewigen Kreislauf des Lebens. In der minoischen Kultur symbolisierte die Kombination von Bürsten und Schlangen die weibliche Macht. Auf den Aluminiumplatten von Santomés Werke sehen wir schlangenhautähnliche Motive und deren Fragmente, jedoch ohne sie vollständig zu zeigen. Es ist, als wären die Schlangen in eine Form gegossen worden, wobei Santomé auf fragile Weise das Material Aluminium einsetzt.
Paula Santomé weist in ihren Texten über ihr Werk darauf hin, dass die Kulturgeschichte eine Geschichte der Zumutung ist. Sie zeigt auf, wie das Christentum dazu beigetragen hat, das Bild der Schlange – und damit des weiblichen Körpers – zu dämonisieren, um seine patriarchalischen Regeln durchzusetzen. Die griechische Geschichte von Medusa ist ebenso eine wichtige Metapher. Medusa war ursprünglich eine schöne Frau, bis sie von der Göttin Athene in ein «weibliches chthonisches Ungeheuer» verwandelt wurde, nachdem Poseidon sie belästigt hatte. Ihr schönes Haar wurde zu Schlangen und sie vermochte jeden in Stein zu verwandeln, der sie ansah, bis sie schliesslich von Perseus enthauptet wurde. Alle Ideen des Werkes stammen aus dem Kontext der westlichen Kultur und der westlichen Geschichte. Paula Santomé stellt damit tiefgreifende Fragen zur weiblichen Identität, zur Geschichte und zur Machtverteilung in der Gesellschaft.

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Florina Leinß, pic190.23 double douse, 2023, Graphit auf Wand, Masse variabel. Kathrin Siegrist, U (For The Nights Of The Smiling Moons), 2023, Nylon, ca. 6.5 x 6.5 x 4.85 cm. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2023. Foto: Gina Folly

Direkt unter der Lichtdecke des Kunsthauses schmiegen sich weiche Pastellfarben aneinander und formen ein organisches Gebilde. Es mag an eine Qualle erinnern, die schwerelos in den Tiefen des Meeres treibt, die hängenden Fäden die Tentakel. Die Arbeit U (for the Nights of The Smiling Moons) ist in Resonanz zu The Nights of the Smiling Moons entstanden, eine Veranstaltungsreihe des Institut Kunst Gender Natur der HGK Basel in der Fondation Beyeler. In diesem Kontext wurde Kathrin Siegrist durch Workshops und performative Beiträge verschiedener Künstler*innen aktiviert.
Siegrist erforscht in ihren Arbeiten die Praxis der Malerei: Kann sich Malerei auf einen Raum beziehen, der nicht nur Oberfläche oder Architektur ist, sondern in der der Raum den Körper darstellt? Wie können sich Pigmente im Raum materialisieren? Die Idee von Malerei als bewegte und intra-aktive Schnittmenge zeigt die Künstlerin im Kunsthaus Baselland als Methode, die sie «aktive Malerei» nennt. Eine Auswahl von Entwurfsskizzen, Dokumentationsfotografien vergangener, performativer Aktivierungen sowie Skizzen ergänzen die Installation und verbinden sich mit ihr zur Vision.
Zusammengenäht aus Notgleitschirmen, leicht, aber widerstandsfähig, nehmen die Stoffe in sanften Farben den Raum in Besitz. Gleichzeitig generiert die Arbeit Raum, der durch die hängenden Fäden definiert wird. Indem sich unsere Körper zum weichen Gewebe in Beziehung setzen, werden auch Grössenverhältnisse hinterfragt. Somit verhandelt Siegrist einen neuen Raum, der potenziell einen gemeinschaftlichen Prozess neu definieren kann. Die Arbeit bietet die Möglichkeit sich zu versammeln, zu begegnen, zu erfahren – kurzum: einen Ort zu schaffen, um anwesend zu sein.

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Sara Gassmann, la famiglia, 2021, Acryl, Tusche auf Baumwolle, 130 x 160cm; Hevea, 2021, Acryl, Tusche auf Baumwolle, 140 x 120 cm. Yanik Soland & Marianna Angel SOLAND ANGEL, Rotten Flowers, shiny shoes, 2023, Performance + Installation, Bühnenelemente (je ca. 15 × 100 × 30 cm), Metallplatten und -halterungen, Nägel, Plastikblumen, Blumen, Spiegel, Glocken, selbstgebaute Instrumente, Draht, Kenzans (japanische Werkzeuge für Ikebana), Midi-Keyboard, Keyboardständer, Plastikkegel, Holz, Stimmgabel, Masse variabel. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2023. Foto: Finn Curry

Yanik Soland bewegt sich als Künstler in den Bereichen bildende Kunst, Komposition, Improvisation, Kuration und Performance. Als Komponist hat er Musik sowohl für Theater als auch für eigene Ensembles, Bands und Soloprojekte geschrieben. Darüber hinaus hat er Video- und Performance-Soundtracks sowie Hörstücke entwickelt, darunter das preisgekrönte Hörstück Going to Switzerland von Stefanie Müller-Frank.
In den letzten Jahren konzentrierte sich Soland verstärkt auf modulare Synthese, selbst gebaute Instrumente und die Komposition von Musik für Theater und Radio. Die Zusammenarbeit mit seiner Partnerin Marianna Angel ist für Soland von zentraler Bedeutung. Gemeinsam schaffen sie fesselnde, sonore und bewegende Kunstwerke, die auf eindrucksvolle Art und Weise Performance, bildende Kunst und Musik miteinander verschmelzen lassen.
Marianna Angel begann im Alter von 15 Jahren, Klavier und Musiktheorie zu unterrichten und unternimmt seitdem eine Reise in der Welt der Musik. Neben ihrer Ausbildung als klassische Pianistin widmet sie sich auch dem Jazz und der Komposition und hat dadurch einen breiten musikalischen Horizont entwickelt.
Angel ist in kreativen Projekten aktiv, bei denen sie mit einer talentierten Videokünstlerin und einem innovativen Improvisationsorchester zusammenarbeitet.
Für den grossen Ausklang des Kunsthaus Baselland am aktuellen Ort werden Yanik Soland und Marianna Angel für ihre Performance kleinere Objekte präsentieren, die Blumen sowie Spiegel als Hauptelemente verwenden. Das Besondere daran jedoch ist, dass Elemente aus ihren Performances als Installationen im Raum zurückbleiben – wie eine bleibende Spur ihrer künstlerischen Ausdrucksweise.
Spiegel spielen auch sonst eine zentrale Rolle in ihren Arbeiten als Kommunikationsträger. Während ihrer Performances kommunizieren sie über verschiedene Winkel und setzen musikalische Einsätze ein, um eine Verbindung zwischen ihren Werken und dem Publikum herzustellen.

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Dadi Wirz, 86 Rivers, 2020–2021 Farbstift-Zeichnungen auf Karton je 28 × 15 cm. Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland 2023. Foto: Gina Folly

Ein Fluss ist ständig in Bewegung. Das Wasser fliesst unaufhaltsam, bahnt sich seinen Weg und kommt auf seiner Reise zum Meer an vielen verschiedenen Orten vorbei. Immer auf Reisen sein – ein Sinnbild für den Künstler Dadi Wirz selbst.
Dadi Wirz wurde 1931 in Papua-Neuguinea geboren. In seiner Kindheit und Jugend bereiste er auf den Forschungsreisen seines Vaters unzählige Orte in der Südsee und kehrte als Erwachsener mehrmals nach Papua-Neuguinea zurück. Als Künstler lebte er zunächst in Marokko, dann in Portugal und England, bis er sich schliesslich in Reinach im Baselbiet niederliess.
Die vielen Reisen, die er unternommen hat, und die vielen Orte, die er gesehen und an denen er gelebt hat, thematisiert Dadi Wirz in seinen Arbeiten. 86 Rivers ist ein Selbstporträt, das alle Flüsse in sich versammelt, die der Künstler in seinem langen, reisefreudigen Leben besucht hat. Die Arbeit kann auch als persönliches geografisches Archiv gelesen werden. Mächtige Ströme wie der Nil, aber auch Flüsse mit regionaler Bedeutung, wie die Birs, vereinen sich im Werk zu einem Strom der Erinnerungen. Dadi Wirz wählt Teile der Flussläufe aus, die durch einen interessanten Verlauf hervorstechen. Er zeichnet diese Strecken als persönliche Notiz, notiert Orte, an denen er war, und schreibt manchmal Koordinaten dazu. Die Formen der Flussläufe werden aus Metallplatten gefräst und, zusammen mit den Zeichnungen, in Plexiglasboxen gesammelt. Es entsteht so ein Archiv mit Tagebuchcharakter, eine persönliche Erinnerungschronik entlang von Flussläufen.